press release only in german

Das mutige und außergewöhnliche Werk des US-amerikanischen Malers Philip Guston (1913– 1980) war eines der meistdiskutierten seiner Zeit. Guston brachte als Erster die Figur in die amerikanische Nachkriegsmalerei, leistete durch die Verbindung von »hoher Kunst« und Bildern der Populärkultur Bahnbrechendes und wird heute als Vorreiter der postmodernen figürlichen Malerei gefeiert. Anlässlich des 100. Geburtstages des Künstlers zeigen die Deichtorhallen Hamburg in Kooperation mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 22. Februar bis 25. Mai 2014 in der Sammlung Falckenberg das Spätwerk von Philip Guston und damit einen Meilenstein der amerikanischen Malerei. Mit einer Auswahl von rund 80 Gemälden und Zeichnungen vereint die von Ingrid Pfeiffer kuratierte Ausstellung bedeutende Leihgaben aus dem Museum of Modern Art, New York, dem Centre Pompidou, Paris, oder dem Stedelijk Museum, Amsterdam.

Im Laufe der 1950er-Jahre fasste der Autodidakt Guston in der New Yorker Kunstszene Fuß und wurde zu einem der wichtigsten Vertreter des Abstrakten Expressionismus mit Jackson Pollock, Willem de Kooning oder Mark Rothko. Ende der 1960er-Jahre begann eine intensive Phase des Zeichnens. Diese gipfelte schließlich innerhalb seiner Malerei zu einem Bruch mit dem Reinheitsgebot der Abstraktion: Guston führte derbe Figuren und Figurenfragmente in seine Werke ein; rauchend, trinkend, nicht selten auch malend bevölkern sie die in den Farben Pink, Rot, Schwarz und Blau gehaltenen Leinwände. Große Köpfe, behaarte Beine, klobige Schuhe und allerlei Architekturfragmente wie Mauern, Türen und Glühbirnen gehören zu Gustons Motiven, die an Comics der 1920er-Jahre erinnern. Seine Bilder werden häufig als Vorläufer des »Bad Painting« verstanden. Die großformatigen Werke begegnen dem Betrachter mit unvermittelter Vehemenz. Der formalen Schwere, inhaltlichen Offenheit und scheinbaren Verrätselung liegen eine tiefgründige Sensibilität und weitreichende inhaltliche wie malerische Überlegungen des Künstlers zugrunde. Die erste Ausstellung dieser mit anarchischem Sinn für Humor und für das Groteske ausgestatteten Gemälde geriet 1970 zum New Yorker Kunstskandal. Den »Verrat« an der Abstraktion verübelten ihm viele Kritiker. Bis heute übt Gustons rätselhaftes Spätwerk in seiner Intensität und verstörenden Kraft großen Einfluss auf viele jüngere Künstler aus.

Philip Guston wird 1913 als Sohn einer russisch-jüdischen Familie in Montréal, Kanada, mit dem Namen Philip Goldstein geboren. Er wächst in Los Angeles auf und zeigt schon früh malerisches Talent. Der Besuch einer Kunstschule scheitert an seiner künstlerischen wie persönlichen Eigenwilligkeit. Zeit seines Lebens ist Gustons Schaffen geprägt durch eine intensive Beschäftigung mit der europäischen Kunstgeschichte. Zu seinen Vorbildern zählen Pablo Picasso, Max Beckmann und Giorgio de Chirico, aber auch Goya und Rembrandt. Guston reist nach Italien, um sich mit den Renaissance- und Barockmalern Giotto, Piero de la Francesca und Tiepolo auseinanderzusetzen. Gleichzeitig gilt sein Interesse den mexikanischen Muralisten. Dieses geht einher mit einem starken politischen Engagement, wobei er mit links gerichteten Gruppierungen und Künstlern sympathisiert. 1936 nimmt er den Künstlernamen Guston an und zieht an die Ostküste. In den 1950er-Jahren fasst er Fuß in der Kunstszene von New York. Er wird zu einem der bedeutendsten Vertreter des Abstrakten Expressionismus mit Weggefährten wie Jackson Pollock, Willem de Kooning oder Robert Motherwell. In den Augen der Kritik fällt seine spätere Abkehr von dieser für Amerika so entscheidenden künstlerischen Strömung umso schwerer ins Gewicht.

1965 stürzt Guston in eine malerische Sinnkrise und konzentriert sich für gut zwei Jahre auf das Zeichnen. Erst in den späten 1960er-Jahren wendet er sich wieder verstärkt der Malerei zu, nun kehrt die Figuration in sein Werk zurück. Die erste Ausstellung dieser neuen Bilder 1970 stößt selbst im eigenen Umfeld auf Unverständnis und ruft in der Kunstkritik feindselige Reaktionen hervor. Erst Ende der 1970er-Jahre wird das Potenzial dieser anspruchsvollen Gemälde erkannt. 1980, kurz vor seinem Tod, widmet das San Francisco Museum of Modern Art Guston eine große Retrospektive. Die letzte umfassende Ausstellung im deutschsprachigen Raum zum OEuvre Gustons fand 1999 in Bonn statt.

Mit rund 650 großformatigen Gemälden und Hunderten von Zeichnungen stellt sich Gustons Spätwerk als seine insgesamt produktivste Schaffensphase dar. Aus einer veränderten Motivwelt heraus entwickelten sich neue Ideen. Zum einen drang nun die in Gustons Kindheit zurückreichende Beschäftigung mit teilweise skurrilgewalttätigen Comics an die Oberfläche, zum anderen durchwob er seine Arbeiten mit einer Vielzahl von Allegorien und Symbolen: Tätige, übergroße Hände, die etwa wie das Jüngste Gericht mit ausgestrecktem Finger vom Himmel zeigen; Uhren, die wie ein Memento Mori die verrinnende Zeit vor Augen führen; Glühlampen, die das Licht der Erkenntnis und die spontane Idee versinnbildlichen; brennende Zigaretten als Symbol für die Kürze des Lebens, das sich umso schneller verbraucht, je intensiver man lebt; fragmentarische Gliedmaße, die an Massaker und ausufernde Gewalt denken lassen. Der hochgebildete Künstler spielt mit der Symbolik dieser Motive, gibt dem Betrachter jedoch keinerlei Deutungsansatz für seine allegorische Bildsprache an die Hand. Durch eine scheinbar primitive Motivwahl und comichafte Szenerien schafft er Distanz, vermischt High and Low und irritiert so die Erwartungshaltung des Betrachters.

Über die Beweggründe für Gustons künstlerische Ausrichtung und seinen Richtungswechsel ist viel spekuliert worden. So sah man den Grund etwa im lebenslangen Kampf Gustons gegen die Depression, ausgelöst durch tragische Kindheitserlebnisse, oder in einer Identitätskrise, unter anderem hervorgerufen durch den Namenswechsel Mitte der 1930er-Jahre. Gesichert scheint, dass sein gesamtes Leben durch Melancholie und schwarzen Humor gekennzeichnet war. Doch wie vielen Künstlern gelang es Guston alle Zweifel, Ängste und Konflikte produktiv in eine große Zahl ausdrucksstarker Bilder einfließen zu lassen. Dies zeigt sich vor allem auch an den vielen Selbstporträts, die sich in Gustons Spätwerk finden. Letztere erinnern an verfremdete Figuren, traurige Riesen mit überdimensionalen Köpfen. Dabei zeigt der Künstler sich bevorzugt in düsterer Stimmung, bei übermäßigem Essen, Trinken und Rauchen als Obdachloser oder mit Maske. Unterstrichen wird dieser schonungslose Umgang mit der eigenen Person durch die großen Formate dieser Arbeiten, die gewissermaßen viel Raum für die Analyse des Ichs lassen. Ebenso betont dies noch das vom Künstler bevorzugte Cadiumrot, das, mit Weiß abgetönt ins Rosa verwischt, bewusst zur »Un«- Farbe wird. Es intensiviert den Ernst und die Schwere dargestellter Szenen und steigert eine skurrile Wirkung bis ins Absurde. Dramatisch und effektvoll verstärkt Gustons bevorzugte Farbpalette aus Schwarz und Rot die Strategie des Unterlaufens, der Brüche und Überraschungen.

Entfremdung, Kombinatorik und Metamorphose – drei Grundprinzipien des Surrealismus, die auch in Gustons Spätwerk immer wieder zu finden sind. Der Künstler setzt unerwartet Gegenstände zusammenhangslos ins Bild. Ständig scheint sich das einzelne Objekt zu verändern. Guston ruft Irritation und Unsicherheit hervor, erzeugt zugleich aber auch überraschende Momente und Mehrdeutigkeit. Hiermit setzt er gezielt gedankliche und psychologische Prozesse beim Betrachter in Gang. Guston selbst äußerte, dass das Unbewusste am Gelingen einer Arbeit beteiligt sei und sich mit Macht in seine Bilder dränge.

Eine Ausstellung der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt in Kooperation mit den Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg und dem Louisiana Museum of Modern Art.

only in german

PHILIP GUSTON
DAS GROSSE SPÄTWERK

Künstler:
Philip Guston

Kurator:
Ingrid Pfeiffer

Veranstaltungsort:
Sammlung Falckenberg, Hamburg-Harburg