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Eröffnung am Freitag, den 27. April 2012, 18- 22 Uhr

In seiner zweiten Soloshow in der Jette Rudolph Galerie beschreitet der für seine raumgreifenden Cut- Outs bekannte Zeichner Philip Loersch (geb. 1980 in Aachen; lebt und arbeitet in Berlin) den Weg des investigativen (Feld-) Forschers und präsentiert neben zwei Installationen eine Werkgruppe neuer naturalistischer Arbeiten auf Papier.

Nach wie vor faszinieren Loersch die Bildwelten des Diagramms und dessen Mittelstellung zwischen ikonischer Darstellung und numerischer Ordnung. So basiert sein künstlerischer Ansatz auf der Untersuchung einer etwaigen Anwendbarkeit naturwissenschaftlicher Gesetze auf die gezeichnete Linie- von der einfachen Zeichnung über den durchlässigen Cut-Out im Raum bis hin zum hologramm- artigen Projektionsschirm bestehend aus halbtransparent Nylonfäden. Letztere reduzieren die Zeichnung sogar auf den simplen Akt des partiellen Markierens jener kilometerlang, als "Wand" zwischen Decken und Boden gespannten Fäden, bis allein aufgrund der Bewegung des Rezipienten etappenhaft ein abstraktes Ornament sichtbar wird. Im Spiel des Künstlers mit den Leerstellen des Sichtbaren lässt sich widerum auf die Grundeigenschaft des Diagramms verweisen, in dessen Präfix "dia- " sich geradezu die Intention der ikonischen Selbstverleugnung offenbart: das Diagramm beschreibt nicht sondern weist auf etwas hin. "(Es) würde sich, was seinen materiellen Träger angeht, am liebsten unsichtbar und seinen Urheber am liebsten vergessen machen." (Karin Leonhard, Bild und Zahl. Das Diagramm in Kunst und Wissenschaft am Beispiel Wassily Kandinskys und felix Auerbachs, in: Sichtbarkeit und Medium. Austausch, Verknüpfung und Differenz naturwissenschaftlicher und Ästhetischer Bikdstrategien, Hg. Anja Zimmernmann, Hamburg 2005, S.232.)

Den installativen Arbeiten Loerschs steht die Werkgruppe jener für den Künstler in ihrer konsequenten Präsentation ungewohnt naturalistischen Zeichnungen auf den tradtionellen Bildträgern Papier und Bütten gegenüber. Hier liegt die Betonung auf der etymologischen Herkunft des Grafischen als einer Disziplin, die das Zeichnen mit dem Schreiben generativ verbindet. Der Künstler begleitet an ausdrücklich motivischen Bildbeispielen und in der Manier des detailliert und objektiv beobachtenden Feldforschers einen anonymen Wissenschaftler bei der Arbeit. Er zeigt ihn als Spaziergänger im Wald, indem sich dieser vermittels seiner Handlungen wie das Einkratzen von Diagrammen im laubbedeckten Boden auszeichnet oder an anderer Stelle mit einem weissen Papierbogen hantierend nach vermeintlich wissenschaftlichen Formeln in der Natur sucht, um diese als Beweis auf der Fläche probeweise festzuhalten.

Im Gegensatz zum Feldforscher ist Loersch Beoachtungsgegenstand nicht die Kultur oder eine entspr. soziale Gruppe, sondern sein Bestreben besteht vielmehr darin, eine zeichnerische Grammatik zu entwickeln für seine vergleichenden Beobachtungen zwischen Natur und wissenschaftlicher Erkenntnis. Dabei scheint der spezifischen Art der investigativen Vorgehensweise Loerschs- gleich jener des Feldforschers- auch ein performativer Erfahrungsprozess zugrunde zu liegen. Dieser überführt das Motiv des wissenschaftlichen Diagramms in die Geste der Metapher. Wo er in der zweidimensionalen Zeichnung beschreibend verfährt, setzt Loersch in seinen installativen Arbeiten- im Sinne der von den Naturwissenschaft ähnlich faszinierten Architekten Gropius und van der Rohe- einen die Arbeit "(...) umkreisenden und durchwandernden Betrachter als einen dynamischen Benutzer voraus (...). Auch sie blieben auf einer metaphorischen Ebene, aber diese inkorporierte die zentrale Idee, die Zeit als Funktion und Bestandteil von Raumbewegung zu begreifen, auf haptisch-körperliche Weise." (Horst Bredekamp, Architektur, die fließt. Ein Paukenschlag: Wie Einsteins Relativitätstheorie die Kunst der Avantgarde inspirierte. in: Die Zeit, 25.02.2005)

Loersch führt seine Beobachtungen weiter an ausschnitthaften Studien wie dem illusionistisch festgehaltenen Abbild einer von handschriftlichen Kommentaren besetzten Buchseite, deren wissenschaftlicher Kontext durch die Lesbarkeit mathematischer Formeln und Texte gegeben ist. Dem vermeintlichen trompe- l'oil steht allerdings die sichtbare Faltung in der Bildmitte entgegen, während der Bildträger eine dem Motiv entsprechende perspektivische Verkürzung vermissen lässt. Ähnlich verhält es sich mit der Arbeit "Faltung", wobei das Bildfeld links und rechts des Motivs durch weisse Leerflächen erweitert wird, um gänzlich von einer Fensterglasfläche bedeckt zu werden.

Loersch arbeitet in seinen Cut- Outs, installativen Arbeiten und naturalistischen Zeichnungen auf Papier mit den Facetten von Fülle und Sättigung, Detail und All- Over, die die Grundlage eines mannigfaltigen Spiels von Illusion und Desillusion bieten. Weiter referierend auf die stilistische Epoche des Barock findet man bei Loersch die Intention, den Betrachter durch Faltungen und spiegellose Glasflächen auf Distanz zu halten, ihn zum Zuschauer zu machen. (Franziska Sick, Theater- Illusion- Publikum. ..., Frankfurt/ M 2002).

Zuletzt sei daraufhingewiesen, dass der Künstler diesmal auf einen Ausstellungstitel zwecks einer thematischen Spezifizierung verzichtet, wenn man mit vorangegangenen Überschriften wie "eindimensional" (Kunstverein Friedrichshafen, 2011), "wenn zwei Seiten zwei Seiten entsprechen" (Kunstverein Lippe, Detmold, 2011) oder "Eine schöne Menge Symmetrie" (Overbeck Gesellschaft, 2009) vergleicht. Jedoch ist im Einladungskopf ein Buchstabe des den Künstler bezeichnenden Namens in die darunterliegende Zeile verrutscht. Vermutlich um den Rezipienten zu animieren, die so entstandene Leerstelle als ein Experimentierfeld hinsichtlich seiner Identität zu nutzen? Und die Wahl zu treffen zwischen der Option einer logischen oder metaphorischen Ergänzung?

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Philip Loersch