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Keep in Touch: Der Soziale Gebrauch von Bildern Ein Projekt von Camera Austria in Zusammenarbeit mit Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas

Der Austausch zwischen Camera Austria und dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu über die vergangenen Jahre mündete in ein weit reichendes Projekt: Pierre Bourdieu hat Camera Austria sein gesamtes Archiv von Fotografien, die während seiner Feldforschungsarbeiten in Algerien zwischen 1958 und 1961 entstanden sind und sein frühestes und zugleich aktuellstes Werk darstellen, mit dem Ziel anvertraut, diese Fotografien in einer Ausstellung und Publikation erstmals der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In Zusammenarbeit mit Pierre Bourdieu (der zu Beginn des Jahres 2002 Jahres leider verstorben ist) und Franz Schultheis wurden die fotografischen Dokumente gesichtet und strukturiert und zu zeitgleich in Algerien entstandenen ethnographischen und soziologischen Studien in Beziehung gesetzt. Die Ausstellung "Pierre Bourdieu: In Algerien. Zeugnisse der Entwurzelung." wird die historischen, politischen, wissenschaftlichen, aber auch biographischen Kontexte zeigen, innerhalb derer diese Arbeiten entstanden sind.

Als im Rahmen eines Gesprächs mit Pierre Bourdieu über die Algerien-Studien die Rede auf diese (bisher weit gehend unveröffentlichten) Fotografien kam, entstand aus der spontanen Neugierde bald das Projekt, diese bisher unbekannte Facette Bourdieu’scher Ethnologie zu veröffentlichen. Diese Fotografien aus Algerien stellen ja zunächst wichtiges ethnographisches Primärmaterial dar, dürfen also nicht losgelöst vom spezifischen Erkenntnisinteresse, das der Selektion der Motive, dem jeweiligen Blickwinkel, dem Einbezug des Kontextes und somit der Konstruktion des festzuhaltenden Gegenstandes selbst zugrunde lag, betrachtet und interpretiert werden, will man nicht einem ahistorischen ästhetischen Purismus huldigen und die kontextspezifische gesellschaftliche Bedeutung und politische Dimension dieser Bilder ignorieren. Diese sind schon von ihren Entstehungsbedingungen her "gerahmt" und datiert, stehen in einem klaren sozio-historischen Zusammenhang und zielen darauf ab, diesen in einer spezifischen Art und Weise zu dokumentieren bzw. in Bourdieus eigener Sprache: zu objektivieren.

Alle grundlegenden Themen der Bourdieu’schen Soziologie sind schon in diesem frühen Stadium präsent: Er fragt nach den unterschwelligen Regeln des Tauschs, nach der sozialen Einbindung des Wirtschaftens, dem Verhältnis von Zeitstrukturen und Rationalität, den symbolischen Ordnungen der Gesellschaft und Herrschaftsbeziehungen zwischen den Geschlechtern, Generationen und sozialen Klassen: Fragen also, die auch in seinen jüngsten Schriften erkenntnisleitend sind. Die Fotografien werden als "Achsenwerk" verstanden und dienen als Katalysatoren, verschiedene Themenkomplexe, die im theoretischen Werk Pierre Bourdieus angelegt sind, herauszuarbeiten.

Die nun erstmals um ihre fotografische Komponente ergänzten wegweisenden Feldforschungen Bourdieus bieten Einblick in den Status nascendi der Bourdieu’schen Soziologie. Neben dieser werkgeschichtlichen Dimension bleibt den Fotografien Bourdieus aber auch der Charakter eines beeindruckenden sozio-historischen Dokuments. Sie zeugen von einer gesellschaftlichen Welt voller Ungleichzeitigkeiten, deren Menschen auch heute noch nicht ihre Heimatlosigkeit und Entwurzelung – eine Entfremdung gegenüber Tradition und Moderne zugleich – überwunden haben. Vielleicht liegt die hier zum Ausdruck kommende Tragik Algeriens ja gerade darin, dass sie auch nach vier Jahrzehnten nichts an Aktualität und Realismus eingebüßt haben.

Zur Ausstellung erscheint ein Buch mit einem Interview mit und Texten von Pierre Bourdieu sowie Einführungen von Christine Frisinghelli und Franz Schultheis: Pierre Bourdieu: In Algerien. Zeugnisse der Entwurzelung, Edition Camera Austria, Graz, Oktober 2003. (240 Seiten, 170 SW-Abbildungen). Französische Ausgabe: Pierre Bourdieu: Images d'Algerie. Une affinité élective, Actes Sud in Zusammenarbeit mit CAMERA AUSTRIA, Paris 2003. Pressetext

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Pierre Bourdieu: In Algerien. Zeugnisse der Entwurzelung
Ausstellung und Symposium