press release only in german

Seit geraumer Zeit erfährt eine Kunst, die sich selbst bio- und gentechnologischer Verfahren für ihre Kunstproduktion bedient, eine immer größer werdende Aufmerksamkeit. Etliche internationale Ausstellungen, die sich einer solchen BioTech-Kunst widmeten oder sie zu ihrem wesentlichen Ausstellungsschwerpunkt machten, haben auch hier zu Lande ein breites Medienecho gefunden. Mit der Ausstellung PUT ON YOUR BLUE GENES werden eine Anzahl von künstlerischen Arbeiten aus dem Bereich der BioTech-Kunst zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sein.

Die Auseinandersetzung um die Bedeutung der Genetik und Biotechnologie wird heute im gesamten kulturellen Feld ausgetragen. Auch eine sogenannte BioTech-Kunst unterliegt einer scharfen Kritik und ein renommierter Biotechnologie-Gegner wie der US-amerikanische Gelehrte Jeremy Rifkin äußert pauschal den Verdacht, dass jede Biotech-Kunst allein der Durchsetzung der immer noch gesellschaftlich umstrittenen Interessen der Biotechnologie-Branche diene.

Tatsächlich scheint die von dem BioTech-Künstler Eduardo Kac vor wenigen Jahren inszenierte Medienkampagne um ein mit einem Quallengen ausgestattetes fluoreszierendes Kaninchen, den Befürchtungen der Kritiker recht zu geben: Eine explizit kritische Reflektion der politischen und sozialen Effekte der neuen Biotechnologien wird in vielen BioTech-Kunstwerken zu Gunsten einer weitgehend affirmativen, spektakularisierenden Annäherung vernachlässigt. Das dem nicht so sein muss, belegen jedoch eine Reihe von künstlerischen Arbeiten, die im Rahmen der Ausstellung PUT ON YOUR BLUE GENES zu sehen sein werden. Künstler und Kunstprojekte wie Paul Vanouse, das Critical Art Ensemble oder das Tissue Culture & Art Projekt zeigen mit ihren Arbeiten, dass sich gerade eine Kunst, die sich die Werkzeuge der Genetik und Biotechnologie zu eigen macht, wichtige Anstöße zu einer Kritik der Life Sciences liefert.

Ausgehend von einer solchen BioTech-Kunst reflektiert die Ausstellung PUT ON YOUR BLUE GENES das Verhältnis von Biowissenschaft und Kunst und wirft mit den ausgewählten Arbeiten, den als Katalog veröffentlichten Essays sowie einem begleitendem Veranstaltungsprogramm eine Reihe von fundamentalen Fragen auf. Diese beziehen sich u.a. auf die Bereiche der populären Kultur, des Rechts, der Ökonomie, der Ethik sowie auf die Felder von Innerer Sicherheit und militärischer Kriegsführung. Sie thematisieren den öffentlichen Diskurs um einen genetischen Determinismus, um Rassismus und historische Eugenik sowie um neue Konzeptionen eines individualisierten Gesundheitsmanagements und die daraus resultierende Selbstkonzeption der Subjekte.

Ausstellung u.a. mit The Agency, Suzanne Anker, Critical Art Ensemble, Reiner Maria Matysik, Tissue Culture & Art Project, Paul Vanouse, Virgil Wong

Hintergrundinformationen zu einigen der beteiligten KünstlerInnen und ausgestellten Arbeiten:

Suzanne Anker kuratierte 1994 die erste Ausstellung in den USA zu Kunst und Genetik und veröffentlichte 2003 das Buch „The Molecular Gaze: Art in the Genetic Age“. Als Künstlerin setzt sich Suzanne Anker seit Mitte der 90iger Jahre mit der genetischen Ikonographie auseinander. Die Direktorin der School of Visual Arts in New York ist in der Ausstellung mit ihrer Bildserie „Golden Boy (Stemcells)“ vertreten. Die abstrakten Images fungieren, wie die Stammzellen in der Forschung, als eine Art Wunschmaschine, die dementsprechend als jedes beliebige Körperorgan betrachtet werden können.

Das Critical Art Ensemble (CAE) untersucht mit seinen Projekten, Büchern und Performances seit rund 10 Jahren die politischen und sozialen Effekte der neuen Life Sciences. Mit ihrer hier erstmals ausgestellten Arbeit „Germs of Deception“, widmet sich das US-amerikanische Künstlerkollektiv der Frage, ob die Angst vor terroristischen Anschlägen mit biologischen Waffen tatsächlich die immensen Ausgaben für Forschungsprogramme und Sicherheitsmaßnahmen rechtfertigt. Die in diesem Zusammenhang auch in der NGBK als Anthrax-Simulant ausgestellten Bakterien trugen dem CAE-Mitglied Steve Kurtz in den USA 2004 eine strafrechtliche Verfolgung unter dem Vorwurf des „Bio-Terrorismus“ ein, nachdem eine solche harmlose Bakterienkultur und weitere biotechnologische Laborutensilien in seinem Haus vom FBI beschlagnahmt wurden. Eine breite internationale Medien- und Unterstützungskampagne von Künstlern und Kuratoren hat zwar dazu geführt, dass die „Terrorismus“-Vorwürfe fallengelassen werden mußten, dennoch ist der Strafprozess gegen Professor Kurtz noch nicht endgültig abgeschloßen.

(Eine Veranstaltung mit Steve Kurtz findet am Sonntag, dem 25. September um 19.30 im Veranstaltungsraum der NGBK statt.)

Das australische Kunstprojekt The Tissue Culture & Art Project (TC&A) arbeitet seit Mitte der 90er Jahre mit ‚halb-lebendigen‘, aus tierischen und menschlichen Zellen gezüchten Objekten. Ihre organischen Skulpturen wie beispielsweise ein in Zusammenarbeit mit dem australischen Künstler Stelarc gezüchtetes Miniaturohr („Extra Scale 1/4 th Ear“) stellen einen Verstoß gegen viele unserer Kategorien von Leben und Körper dar, mit denen TC&A auf die Diskrepanz zwischen unserer (anthropozentrischen) Ethik und einer biotechnologischen Praxis zu verweisen versucht. Im Rahmen der Ausstellung zeigt TC&A eine Videoinstallation, mit der ihre Arbeit „Disembodied Cuisine“ dokumentiert wird. Während der „L‘art Biotech“ (Nantes 2004) züchtete TC&A in einem Bioreaktor einen zum Verzehr vorgesehen „Froschmuskel“. Dieser gleichwohl ironische Verweis auf eine Zukunft in dem ein „opferloser“ Fleischkonsum denkbar wird, bescherte den KünstlerInnen eine breite öffentliche Aufmerksamkeit (siehe z.B. „Der Spiegel, Heft 34, 2005 „Rumpsteak ohne Rind“).

(Eine Veranstaltung mit dem Tissue Culture & Art Project findet am Donnerstag, dem 29. September um 19.30 im Veranstaltungsraum der NGBK statt.)

Mit seinem „Gerät zur Aufzeichnung der Geschwindigkeit von Familienangehörigen“, einer interaktiven, multimedialen Installation, schickt Paul Vanouse die DNA seiner multi-ethnischen Familienangehörigen in ein Rennen. Die genetischen Proben, der dunkelhäutigen jamaikanischen Mutter, des weißen amerikanischen Vaters und der beiden Kinder wurden aus den vorgeblich für die Hautfarbe verantwortlichen Genen gewonnen. Die Bewegung der DNA durch das Sequenzierungsgel wird bewertet, als ob jede Probe wirklich an einem Wettlauf zum Beweis der eigenen ‚genetischen Fitness‘ teilnehmen würde. Diesem absurden ‚genetischen Pferderennen‘ gegenüber gestellt, wird der frühe Eugenik-Diskurs des amerikanischen Wissenschaftlers C. Davenport, der 1929 die Untersuchung „Race Crossing in Jamaica“ veröffentlichte.

only in german

Put on your Blue Genes
BioTech-Kunst und die Verheißungen der Biotechnologie
Ausstellung, Veranstaltungsreihe, Internet und Video

Künstler: The Agency  (Kobe Matthys), Suzanne Anker, Critical Art Ensemble , Reiner Matysik, Tissue Culture & Art Project , Paul Vanouse, Virgil Wong