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Ort: Zeughauskino, Berlin

Zum dritten Mal zeigt das Rumänische Kulturinstitut Berlin im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums REKONSTRUKTION − FILMLAND RUMÄNIEN, und die Rekonstruktion, auf die das diesjährige Programm zielt, ist die bislang ambitionierteste, weil sie 25 Jahre nach der Dezemberrevolution nicht nur Re-Visionen an der Wahrnehmung einer der weltweit produktivsten Kinematographien betreibt, sondern das Verhältnis zwischen Film und Geschichte in den Blick rückt: Wie das Medium Geschichte schreibt, mit welchen Geschichten sich das Kino dem Geschichtsmoment der Revolution nähert, wie es davon erzählt und wie sich diese Erzählungen in der Zeit wandeln. Welche Filme in die gesellschaftliche Wahrnehmung der Revolution eingreifen. Und vielleicht kommt die Filmreihe damit auch weitreichenderen Beziehungen zwischen Filmbildern und Geschichtsbildern auf die Spur.

2010 war der Titel gleich dreifach Programm: Die Filmreihe rekonstruierte die filmischen Werdegänge der Protagonisten der Neuen Rumänischen Welle Cristi Puiu, Cristian Mungiu und Corneliu Porumboiu, sie präsentierte die herausragenden Filme des Jahres und stellte damit auch Radu Muntean als deren vierten Protagonisten vor. Und sie rekonstruierte rumänische Filmgeschichte und schrieb Filmgeschichte, als sie dem Altmeister des rumänischen Kinos, Lucian Pintilie, nicht nur Mircea Veroiu zur Seite stellte, sondern auch den aus der Wahrnehmung politisch verdrängten Mircea Săucan. 2012 präsentierte die Reihe eine zeitgenössische Filmproduktion, die nicht nur mit programmatischen Spielfilmdebüts neuer Filmemacher, sondern auch mit Dokumentar- und Animationsfilmen aufwartete und widmete zwei Spielfilme dem nationalen Erinnerungsjahr des Dramatikers Ion Luca Caragiale.

In diesem Jahr eröffnet die Reihe mit Radu Munteans Tragikkomödie HÂRTIA VA FI ALBASTRĂ (2006), dem Film der Bukarester Revolutionsnacht vom 22. auf den 23. Dezember 1989, mit der das letzte kommunistische Regime des Ostblocks gefallen war in einem Regimewechsel, der nicht friedlich verlief. Es ist die Geschichte eines Wehrdienstleistenden bei der Miliz, der seine patroullierende Einheit verläßt, um sich der Revolution anzuschließen. Mit Corneliu Porumboius Debüt A FOST SAU N-A FOST? (2006) zeigt die Filmreihe den zweiten, die kollektive Erinnerung an die Revolution prägenden Film, eine brillant komödiantische Gesellschaftsanalyse aus dem Fernsehstudio eines Lokalsenders, der live der Revolution gedenken will.

Der Essayfilm VIDEOGRAMME EINER REVOLUTION (1992) von Harun Farocki und Andrei Ujică rekonstruiert die Revolutionstage im Dezember durch die Blicke der Kameras, die nicht nur Zeitzeugen waren, sondern zu Akteuren der Geschichte wurden, mit PIAŢA UNIVERSITĂŢII − ROMÂNIA (1991) von Stere Gulea, Sorin Ilieșiu und Vivi Drăgan Vasile zeigt die Reihe, mit welchen Erzählmitteln Filmemacher den bis Juni 1990 anhaltenden postrevolutionären Protest am Bukarester Universitätsplatz dokumentarisch aufgriffen. DUPĂ REVOLUŢIE (2009) von Laurenţiu Calciu ist in seinen Aufnahmen eine Zeitkapsel, eine Flaschenpost des nachrevolutionären politischen Diskurses, im zwanzigjährigen Abstand montiert, BUCUREŞTI, UNDE EŞTI? (2014) von Vlad Petri eröffnet, indem er mit der Kamera die Bukarester Proteste des Jahres 2012 begleitet, einen Bezugsraum des historischen Vergleiches.

Zwei Dokumentarfilme folgen biographischen Zäsuren, zwei den Geistern der Archive: Réka Kincses konfrontiert mit BALKÁN BAJNOK (2006) die Intrigen, die im März 1990 ihren Vater als Bürgermeister von Târgu Mureş stürzten, aber auch die Rolle, die sie durch seine Verteidigung einnimmt. ANATOMIE DES WEGGEHENS (2012) von Şerban Oliver Tătaru vergegenwärtigt mit der Flucht seiner Familie ein doppeltes Exil. Milo Rau, Marcel Bächtiger und das "International Institute of Political Murder" entwerfen DIE LETZTEN TAGE DER CEAUŞESCUS (2010) als filmische Version des Reenactments des Prozesses, aufgrund dessen Nicolae und Elena Ceauşescu exekutiert wurden. Andrei Ujică hingegen montiert AUTOBIOGRAFIA LUI NICOLAE CEAUŞESCU (2010) aus dem über 30jährigen im staatspolitischen Auftrag angefertigtem Bildarchiv.

È PERICOLOSO SPORGERSI (1993) von Nae Caranfil ist der Film des Übergangs: Das Drehbuch lag den Filmstudios des alten Regimes schon vor, mit dem Zusammenbruch der Filmzensur konturiert Caranfil die Emanzipationsgeschichte seiner drei Helden, die in der sommerlichen Provinz die Umbrüche des Winters noch nicht erahnen können. Stere Guleas VULPE − VÂNĂTOR (1993), Mircea Daneliucs SENATORUL MELCILOR (1995) und Lucian Pintilies TROP TARD (1996) stehen stellvertretend für die Erzähltechniken des rumänischen Kinos vor dem Generationswechsel der Neuen Rumänischen Welle. Die nach Tagebuchaufzeichnungen von Herta Müller entworfene Dissidentengeschichte einer Temeschwarer Lehrerin, die in die Groteske changierende Politsatire um das Wochenende eines Provinzsenators und der Kriminalfilm um einen im Bergarbeitermilieu des Jiu-Tals ermittelnden Staatsanwalt, widmen sich allesamt den gesellschaftspolitischen Machtstrukturen, die der Systemwechsel verwandelt, aber nicht überkommen hat.

Und der Blick der Reihe erfaßt mit Cristian Mungius Abtreibungsdrama 4 LUNI, 3 SĂPTĂMÂNI ŞI 2 ZILE (2007) die Spielfilm gewordene Erinnerung an die Zwänge und Widersprüche, denen die rumänische Gesellschaft unter Ceauşescus Regime ausgesetzt war, mit Cătălin Mitulescus Coming-of-Age-Geschichte CUM MI-AM PETRECUT SFĂRŞITUL LUMII (2006) die Melancholie von Kinder- und Jugendjahren, deren Ende mit dem Regimesturz zusammenfallen und mit dem Episodenfilm AMINTIRI DIN EPOCA DE AUR (2009), bei dem Hanno Höfer, Răzvan Mărculescu, Cristian Mungiu, Constantin Popescu und Ioana Uricaru Regie führten, die Legendenbildungen, in deren bizarren und absurden Wendungen Generationen ihre zurückliegenden Erfahrungen gegossen haben.