press release only in german

Die Erschließung und Veröffentlichung der Friedrich Christian Flick Collection im Hamburger Bahnhof erfolgt im Laufe der vereinbarten sieben Jahre in verschiedenen Ausstellungsformaten. Einmal im Jahr wird eine thematische Ausstellung in den Rieckhallen gezeigt, die aus den umfangreichen Beständen der Sammlung heraus konzipiert wird. Daneben gibt es monographische Auftritte derjenigen Künstlerinnen und Künstler, von denen der Sammler größere Konvolute erworben hat. Nachdem die erste Einzelausstellung im Sommer 2005 dem Schweizer Künstler Urs Fischer gewidmet war, stellt der Hamburger Bahnhof nun den aus Kalifornien stammenden und in der Nähe von Los Angeles lebenden Künstler Richard Jackson mit seinem ersten großen Museumsauftritt in Deutschland vor.

Richard Jackson widmet sich seit den 1960er Jahren der räumlichen und konzeptuellen Erweiterung der Malerei. Der bekennende Kunstanarchist, der stärkere internationale Beachtung durch seine Beteiligung an der Biennale in Lyon 1997 und in Venedig 1999 gewann, mag zwar mit Farbe und Leinwand arbeiten, doch entsteht dabei noch lange keine Malerei im herkömmlichen Sinne. Vielmehr macht Jackson Kunst über Kunst; sein Nachdenken über Farbe, den Pinsel, das Malen und den Maler hat zur Entstehung eines Werks geführt, das eine komplexe, instinktive, performance-basierte Befragung des Potentials der Malerei und des Phänomens der Zeit darstellt. In Ablehnung der expressiven Geste in der Malerei konfrontiert Jackson seine skurril-stringenten Parameter sowie seinen handwerklichen Ansatz mit den Kaprizen des Zufalls. Dabei entstehen beispielsweise Räume aus an Pollock erinnernden Leinwänden, wandgreifende Malereien, bei der umgedrehte, rotierende Leinwände als Pinsel dienen und ins Werk integriert werden oder wild herumspritzende Malmaschinen.

In der Friedrich Christian Flick Collection befinden sich zahlreiche Werke von Jackson, die zusammengenommen einen Überblick über die wichtigsten Stationen in seinem künstlerischen Werdegang ergeben. Mit drei großformatigen Schlüsselwerken Jacksons aus den 1980er Jahren, die in Halle 3 der Rieckhallen gezeigt werden, und einer Auswahl von Modellen und Zeichnungen, die in den nebenan liegenden Kabinetten zu sehen sind, bietet die Ausstellung eine vielfarbige Begegnung mit den prozeßhafte Skulpturen, Installationen und performativen Malerei- Aktionen des Künstlers.

Abgesehen von seinen Malmaschinen gehen Jacksons verschiedene Werkkomplexe – von den Wandbildern und gestapelten Bildern bis hin zu den Labyrinth- und Raumbildern – auf seine malerischen Experimente in den 1970er Jahren zurück. Auch die großformatigen Werke aus den 1980er Jahren, die im Mittelpunkt der Berliner Ausstellung stehen, lassen sich auf ältere Gedankenprozesse und Experimente zurückführen. Häufig ausgehend von einer bestimmten Anzahl einfacher, mitunter mathematischer Parameter werden Jacksons Werke im Atelier auf der Grundlage von Zeichnungen und Modellen konzipiert, wie etwa die kleinen Pappmodellen in den Kabinetten veranschaulichen. Die tatsächliche Größe der zuletzt in ortsspezifischen Installationen realisierten Werke beruht auf Jacksons Einschätzung der Grenzen der menschlichen Fähigkeit sowie raumzeitlichen Beschränkungen. Er verbringt lange Zeitabschnitte mit Experimentieren, mit dem Verfeinern und Bauen von Komponenten, wobei die investierte Zeit und Arbeit letztlich Teil des Werkes sind. Für Richard Jackson ist das Endergebnis, das ausgestellte Werk eine Dokumentation der Art und Weise, wie er seine Zeit „mit dem Malen als Job“ verbringt, weniger ein herkömmliches, sich selbst genügendes „Kunstwerk“.

Ein zentraler Aspekt von Richard Jacksons „Job“ sind Wandgemälde. In dieser Ausstellung wird sowohl die Konstruktionszeichnung für ein 1988 in Houston ausgeführtes Wandgemälde als auch eine für die Rieckhallen adaptierte Variante der für Houston konzipierten Installation gezeigt. Beginnend mit einer Reihe von Richtlinien in den frühen 1970er Jahren hat Jackson immer wieder Wandgemälde in veränderlichen Variationen und Formaten produziert; sie reichen von Installationen, die aus einer einzelnen Leinwand bestehen, bis hin zu der Installation in der gegenwärtigen Ausstellung in Berlin mit 48 Leinwänden. Indem diese Wandgemälde eine Art zufällige „Soft Edge“-Version von Kenneth Nolands Zielscheiben bilden, die von geometrischen Permutationen rechteckiger Leinwände durchsetzt sind, fordern sie unsere Gewohnheit heraus, die Leinwand als Bildträger und das Gemälde als zweidimensionales Phänomen zu betrachten. Dort, wo die Leinwand zum „Pinsel“, die Wand zur „Leinwand“ und das vom Zufall beeinflusste System zum „Maler“ wird, bleibt dem Betrachter kaum eine andere Alternative, als seine Wahrnehmungsstrategien und die Grundsätze der Malerei neu zu überdenken. Doch Jacksons Dekonstruktion konventioneller Malerei auf der Grundlage eines automatisierten, iterativen Verfahrens läuft zugleich auf eine bunte, monumentale Konstruktion hinaus.

„Big Ordeals“ (1985/88) und „Good Deal“ (1987), die zusammen mit dem Wandgemälde in Halle 3 der Rieckhallen präsentiert werden, vertreten einen weiteren Schritt in Richard Jacksons Projekt der Erweiterung der Malerei. Während das Wandgemälde noch auf traditionell frontale Weise betrachtet wird, obwohl es sich räumlich erstreckt, platzieren diese Werke den Betrachter innerhalb des Gemäldes bzw. der aus Leinwänden bestehenden Räumen. „Big Ordeals“ beruht auf einem System austauschbarer Komponenten und offenbart seine Farbe und Struktur erst, wenn man den Raum betritt. Hier begegnet dem Betrachter am offenkundigsten die in Jacksons OEuvre allgegenwärtige Dialektik von Chaos und Ordnung: wild bespritzte, an Jackson Pollocks Action Paintings erinnernde Gemälde, die allerdings in einem extrem starren architektonischen System angeordnet sind und denen die Form eines Sterns zugrunde liegt. Die instabile Bildebene innerhalb der gebauten Struktur wird außerdem verstärkt durch die Destabilisierung der Farbe mittels fluoreszierender Lichter.

Mit „Good Deal“ greift Jackson eins seiner frühesten Konzepte wieder auf: das Labyrinth. Die Kontinuität seiner Faszination für das Labyrinth als räumliche Möglichkeit läßt sich in den Kabinetten verfolgen. „Good Deal“ basiert auf einem einfachen System von Linien und Farben, das mit seiner Geometrie und konzeptuellen Wirkung an Josef Albers’ Projekte zum optischen und perzeptorischen Bewußtsein denken läßt. In visueller Hinsicht eher an Buren denn an Pollock erinnernd, befindet sich auf der Innenseite der Außenwänden von „Good Deal“ ein gemaltes Streifenmuster, während die Innenwände aus quadratischen Stahlstangen bestehen, die ein käfigartiges Gitter bilden. Drei der Wände weisen Komplementärfarben auf, während die vierte schwarz und weiß gestrichen ist. Während sich der Betrachter durch die stringente Geometrie des Raums bewegt, verschiebt sich die Perspektive: Jeder Schritt entlang der Stangen, die die Linien auf der Leinwand überlagern, spaltet den Raum und die Farbe innerhalb der „Bildebene“, konfrontiert den Betrachter mit der Kontingenz der Wahrnehmung und vergegenwärtigt die Aktivität, den Prozeß des Sehens.

Ein weiterer wichtiger Werkkomplex für Richard Jackson, der in der aktuellen Ausstellung mit einem größeren Modell sowie zwei Bleistiftzeichnungen vertreten ist, sind die so genannten „Stacked Paintings“. Das Konzept wurde 1970 als Atelieraktion ins Leben gerufen, bei der eine einzelne, mit Farbe versehene Leinwand mit der Vorderseite nach unten auf den Boden gelegt wurde, wobei lediglich einige Flecken an der Seite darauf hindeuteten, dass sich darunter ein Gemälde verbarg. In seinen frühesten Erscheinungsformen trug das Konzept der „gestapelten Gemälde“, das die Malerei unwiderruflich in den dreidimensionalen Bereich der Skulptur beförderte, den ironischen Titel „Big Ideas“. Die Werke des Komplexes, die 800, 1000, 3000 oder 5050 im noch feuchten Zustand übereinander gestapelte Leinwände umfassen, wurden in verschiedenen Konstellationen angeordnet, mal als Reaktion auf eine bestimmte Architektur, mal als eigenständige Architektur. Zwar bezieht sich diese Werkgruppe in formaler Hinsicht auf die Wiederholung der standardisierten Module in der minimalistischen Skulptur und die paradoxe Monumentalität, die viele Beispiele der klassischen Minimal Art kennzeichnen, doch zugleich fordert es diese künstlerische Bewegung auch offen heraus. Denn nicht nur lehnt Jackson den industriellen Produktionsmodus ab, indem er jede Leinwand selbst anfertigt, sondern die mit Farbe beklecksten Ränder und etwas unregelmäßigen Stapel dienen auch dazu, den „Finish-Fetisch“ und die vollkommen graden Linien des Minimalismus zu unterminieren.

Der neueste Werkkomplex Richard Jacksons fügt noch das Element der Bewegung bzw. der Automation und Kinetik zur Malerei hinzu. Vertreten in dieser Ausstellung durch eine Auswahl von Modellen und Zeichnungen, sind Jacksons Malmaschinen oft Assemblagen aus Readymades, wie zum Beispiel Autos, Ventilatoren oder Locktieren aus dem Jagdsportgeschäft. Während sich Richard Jacksons Maschinen zwangsläufig auf ihre mechanischen Vorläufer in der Kunst beziehen, zeugen sie zugleich von der anhaltenden Inszenierung bzw. Persiflage der Kunstgeschichte durch den Künstler. „Painting with Two Balls“ (1997) etwa, das hier in der Form einer Zeichnung zu sehen ist, lässt sich als schräge und für Jacksons Ansatz charakteristische Inszenierung des gleichnamigen Werks von Jasper Johns aus dem Jahr 1960 betrachten. „Deer Beer“ (1998), ein sich drehendes Karussell mit Hirschen, das sich ebenfalls in der Friedrich Christian Flick Collection befindet und zu einem späteren Zeitpunkt ausgestellt wird, setzt sich wiederum mit Bruce Naumans „Animal Pyramid“ auseinander. Jacksons spritzende Malmaschinen fetischisieren die Automatismen des Körpers, so daß der Akt des Malens mit einer körperlichen Auslöschung, Ausstoßung, Ejakulation gleichgesetzt wird, mit Prozessen die denkbar weit vom Geniekult oder Expressivität entfernt sind.

Die Betonung des Prozesses gegenüber dem fertigen Werk, die Erweiterung des Bildfeldes über das mit einem Blick zu erfassende Format hinaus und der konzeptuelle Ansatz, der Jacksons Malerei zugrunde liegt, verbinden ihn mit vielen Künstlern seiner Generation. Minimal Art, Conceptual Art, Post-Minimalismus und Land Art gehören deshalb neben der Malerei eines Jasper Johns oder Kenneth Noland und den Environments eines Edward Kienholz oder Paul McCarthy zum kunsthistorischen Horizont, von dem ausgehend Richard Jackson seine Erweiterung der Malerei seit den 1960er Jahren entwickelt hat. In den an die Ausstellungsräume angrenzenden Hallen sind Werke der genannten Kunstrichtungen – etwa von Sol LeWitt, On Kawara, Bruce Nauman und Robert Smithson – zu sehen, die verdeutlichen, welcher künstlerischen Generation Jackson angehört und wie er sich in dieser Generation positioniert.

Seit 2004 wird die Zeitung „Museum für Gegenwart“ vom Hamburger Bahnhof begleitend zu den im Hause gezeigten Ausstellungen publiziert. Anläßlich der Ausstellung zu Richard Jackson erscheint die 5. Ausgabe der Zeitung in deutscher und englischer Sprache. Um einen Überblick über den Sammlungsbestand zu geben, sind alle von Friedrich Christian Flick erworbenen Werke des Künstlers in der Publikation aufgeführt. Die Zeitung ist erhältlich zu einem Preis von €8.

Pressetext

only in german

Richard Jackson
Werke aus der Friedrich Christian Flick Collection im