press release only in german

Rob Pruitt: The Church
16.12.2017-13.05.2018

«Rob Pruitt makes art easy», sagte der New Yorker Modefotograf Cris Moor einmal. Genau das ist die Crux und Herausforderung, denn tatsächlich durchschreitet Rob Pruitt (*1964, lebt in New York City) seit Anfang der 1990er Jahre die Höhen und Untiefen zwischen «art» und «easy». Das mag auf den ersten Blick einfach erscheinen, ist in Wirklichkeit aber ein Hochseilakt und ein stetiges Balancieren zwischen unberechenbaren Welten. Die Kunst lebt von – und scheitert oft an – ihren hohen Ansprüchen, während das «easy», also die populäre Kultur, scheinbar die Oberfläche zelebriert. Natürlich ist alles viel komplizierter und wer, wie Pruitt, diese beiden Welten verbinden will, setzt sich Missverständnis, Erfolg und Scheitern aus. So ist ein Werk entstanden, das zuweilen einer tragisch-komischen Gratwanderung gleicht, das mit Ideenreichtum und Unverfrorenheit besticht und Stil hat. Begonnen hat alles Anfang der 1990er Jahre als Duo mit Jack Early unter dem Namen Pruitt & Early. Die beiden jungen Künstler analysierten respektlos die Kultur der «white boys», der weissen Jungs, (Bier, Sprüche und Posen) und wurden damit über Nacht bekannt. Leo Castelli, damals einer der wichtigsten Galeristen New Yorks, nahm sie in sein Programm auf. Die erste Ausstellung wurde gleich zum Skandal und als rassistisch gebrandmarkt, weil sie Bilder der afroamerikanischen Popkultur für sich ausnutzten. Ihre Beziehung und Karriere implodierten, ihre Wege trennten sich und jeder schlug sich in den folgenden Jahren mit Gelegenheitsarbeiten durch. Gegen Ende des Jahrzehnts wagte Pruitt in der New Yorker Galerie Gavin Brown’s Enterprise ein Comeback. Er blieb dem Graben zwischen «art» und «easy» treu. Eine Reihe unvergesslicher Ausstellungen (u.a. Cocaine Buffet, 1998, Evian Fountain, ab 1998, und Rob Pruitt‘s Flea Market, ab 1999) brachten ihm viel Respekt und Bewunderung ein, aber auch Kritik. Tatsache ist, dass man sich von Pruitts Aktionen und Kunstwerken gerne vereinnahmen lässt und dann staunt, wie man von deren Macht gleichzeitig umarmt und in der Schwebe gehalten wird. So zieht er uns rein in den unberechenbaren Raum des Dazwischen. Genau dort findet bekanntlich das «Andere» statt, weswegen wir uns Kunst aussetzen. Und dieses Andere orchestriert Pruitt mit viel Sinn für Schönheit, Respektlosigkeit, Verzweiflung und Witz.

Daraus entsteht für die Kunsthalle Zürich eine Ausstellung, die zuerst einmal einen Ausschnitt aus Pruitts reichen Schaffen bieten will. Rob Pruitt: The Church ist als klassische Einzelausstellung konzipiert, die Malerei, Skulptur und Zeichnungen nach Zürich bringt. Hinzu kommen Möbel, ein Fanzine, alltägliche Objekte und politische Statements – eine Auswahl aus den Jahren 1999 bis 2017. Dazu gehört The Congregation (Die Kongregation, 2010), eine Gruppe von gefundenen Stühlen, die einheitlich mit Silberpapier überzogen sind und auf die Sie sich gerne setzen dürfen. Die Arbeit war Teil einer Ausstellung in 2010, die sich mit dem «Rumspringa» beschäftigte, diesem wichtigen Moment im Leben eines amischen Jugendlichen: Während eines Jahres entfernt sie oder er sich von der Gemeinschaft, um das Leben «draussen» zu erproben und herauszufinden, ob er oder sie zurück in die Gemeinschaft kehren oder mit ihr brechen will. Mit wenig Aufwand und einiger Lakonik bringt hier Pruitt die uralte Spannung zwischen Individuum und Gruppe auf den Punkt.

Am Eingang der Ausstellung empfangen die Besucherinnen und Besucher zwei People Feeders (Fütterer, 2010). Sie sind gleichzeitig Skulptur, Behälter, Spender oder Opferstock. Bitte bedienen Sie sich, oder spenden Sie! Dazu kommt eine Auswahl von sogenannten Suicide Paintings (Selbstmord-Bilder), welche zu einem kapellenartigen Raum angeordnet sind. Gesellschaft und Kirche haben ein gespanntes Verhältnis zum Selbstmord. Er ist erschreckend einfach und menschlich, gleichzeitig unendlich kompliziert und zerstörerisch. Entlang der Fenster hängt ein 35 Meter langer Vorhang, welcher Hunderte religiöse und spirituelle Bilder vereinigt, wie sie zu Millionen im Internet kursieren. Daraus ergibt sich ein schier endloses Mosaik der Religiosität und wie diese von Populärkultur, Massenmedien und Politik instrumentalisiert werden. Dieses Bildpanorama wird durch die Zeichnungen aus der Serie Studio Calendar (Atelier Kalender, 2017) und die Studio Lunch Tables (Esstische Atelier, 2016) kontrastiert. Wie die Titel verdeutlichen, entstanden diese Werke in Pruitts Atelier. Sie sind das Resultat einer Gemeinschaftsarbeit zwischen dem Künstler, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, seinen Freunden und Besucherinnen. Während der monumentale Vorhang mit der Anonymität und Beliebigkeit des Internets spielt, bringen Studio Calendar und Studio Lunch Tables die intimere, zuweilen erotisch aufgeladene und oft rührende Welt von Kritzelei und Tagebuch an die Öffentlichkeit. Die Beleuchtung zur Ausstellung wurde extra für die Kunsthalle Zürich entworfen, und erstmals überhaupt haben wir die eingezogene Decke sowie alle Wände für The Church entfernt.

Zur Ausstellung erscheint eine neue Version von Pruitts Buch 101 Art Ideas You Can Do Yourself (101 Ideen, wie man selber Kunst machen kann), das 1999 erstmals erschien. Es erscheint unter dem Titel Use A Museum as A Church Or A Church As A Museum (Benutze ein Museum als Kirche oder eine Kirche als Museum). Das Heft erhalten Sie beim Eintritt in die Ausstellung mit der Aufforderung, baldmöglichst aktiv zu werden. Denn eine Kirche ist, genau wie eine Kunsthalle oder ein Museum, ein Ort, wo die Besucherinnen und Besucher ihr Verhältnis zum Raum, den Objekten und den anderen Menschen aktiv selber definieren müssen. So betritt man eine Kirche aus ganz unterschiedlichen Gründen. Manche sehnen sich nach Ruhe und Einkehr, andere sind wegen der Architektur und Kunst da, wiederum andere, weil sie Gott suchen, sich in der religiösen Gemeinschaft aufgehoben fühlen oder Trost brauchen. Aus diesem Grund ist The Church mehr als eine Ausstellung, aber auch mehr als eine Kirche. Sie ist ein gemeinschaftlicher Ort, der sich massgeblich von Projekten wie Rob Pruitt‘s Flea Market inspiriert, also die Flohmärkte, die der Künstler immer wieder anstelle von Ausstellungen in Galerien und Institutionen installiert hat. Und The Church ist auch mehr als ein gemeinschaftlicher Ort, denn sie wird auch für die Dauer der Ausstellung auch zur Bildungsstätte für die Lehre von unten. Von Dezember 2017 bis Mai 2018 finden hier Theory Tuesdays (immer dienstags) des in Zürich lebenden Künstlers Philip Matesic statt, sonntägliche Gottesdienste von angehenden und ausgebildeten Pfarrerinnen und Pfarrern (jeweils 17-18 Uhr, organisiert vom Theologischen Seminar der Universität Zürich), aber auch Gesprächsreihen zur Geschichte der Zürcher Galerien, Konzerte und vieles mehr. Das ganze Programm ist online einsehbar auf www.kunsthallezurich.ch. In Zusammenarbeit mit den Aktivisten von openki.net wird The Church für peer-to-peer Bildung genutzt. Openki ist eine «interaktive Web-Plattform mit dem Ziel, einen hürdenfreien Zugang zu Bildung für alle zu ermöglichen». Das heisst, Sie, Ihre Freunde oder Ihnen Unbekannte schlagen Kurse vor, die Sie selber organisieren und zum Teil in der Kunsthalle abhalten – wo Lehrende gleichzeitig Lernende sind (Details auf http://kunsthallezurich.ch/de/openki bzw. www.openki.net) Somit ist The Church eine Ausstellung, die Kirche ist, die Gemeinschaftsraum ist, die Bildungsstätte ist und Treffpunkt.

Daniel Baumann