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Der kanadische Künstler und Musiker Rodney Graham (geb. 1949) hat seit den 1970er Jahren ein vielfältiges Werk geschaffen, das sich so unterschiedlicher Medien wie Film, Fotografie, Installation, Malerei, Druckgrafik, Literatur und Musik bedient. Mit viel poetischer Ironie, Raffinesse und konzeptueller Originalität visualisiert er die Querverbindungen zwischen den verschiedenen Ebenen des Alltagslebens und der Kulturgeschichte. Er erforscht und bezieht sich dabei auf Arbeiten der Kunst, Musik und Literatur ebenso wie auf Ereignisse der Geistesgeschichte aller Epochen und hat so ein komplexes Œuvre geschaffen, das sich durch ein subtiles Gleichgewicht von Realität und Fiktion auszeichnet.

Lobbing Potatoes at a Gong 1969, seine aktuelle Ausstellung in der BAWAG FOUNDATION, imitiert gekonnt die nahtlose Endlosschleife, in der kulturelles Schaffen gefangen ist. Im Mittelpunkt der Ausstellung, die vom 30. März bis 16. Juni 2007 zu sehen ist, stehen drei neue Arbeiten, die zusammen eine Trilogie ergeben. Diese Gruppe von Werken im Bereich Film und Fotografie, die alle den Künstler als Darsteller zeigen, fokussiert auf die 1970er Jahre mit ihrem Optimismus und Idealismus und wirft einen gleichermaßen kritischen wie ironischen zeitgenössischen Blick auf dieses Jahrzehnt.

Im Zentrum steht ein fiktiver Künstler der Fluxus-Jahre, dem wir in "Lobbing Potatoes at a Gong 1969", (2006) einem 16-mm-Schwarzweißfilm, bei einer Performance vor einem lässigen alternativen Publikum zusehen. Der Film geht auf eine Anekdote über den Schlagzeuger der Rockband Pink Floyd zurück, der im Lauf einer langen Jamsession in den sechziger Jahren einen Gong mit Gemüse bewarf. Graham hat den Auftritt nachgespielt und ihn als fiktives Fluxusevent kontextualisiert. Er nimmt sich den Künstler Dan Graham als modisches Vorbild und trägt Sachen, die er als New Yorker Künstler jener Zeit getragen hätte (ein kariertes Hemd, Jeans und Red-Wing-Stiefel). Aus den auf den Gong aufschlagenden Kartoffeln wurde anschließend eine limitierte Wodka-Edition gebrannt (auf den Flaschen findet sich ein maschinen-geschriebenes Etikett, das an die Ästhetik der konkreten Poesie jener Jahre erinnert). Neben diesem Schlüsselwerk zeigt die Ausstellung die Frühwerke des fiktiven Künstlers "Lead Gong R52/9B 1966", (2006), eine minimalistische 9B-Bleistiftzeichnung eines schwarzen Kreises mit einem Radius von 132 cm, und die Fotografie "Potatoes piled up to block my studio door 1968", (2006).

In mehreren anderen Arbeiten versetzt sich der Künstler in der Zeit zurück und schafft so die Folie für eine hypothetische künstlerische Entwicklung. Das Lichtbox-Triptychon "3 Musicians (Members of the Early Music Group "Renaissance Fare" Performing Matteo of Perugia’s "Le Greygnour Bien" at the Unitarian Church of Vancouver, Late September 1977)", (2006) zeigt ihn zum Beispiel als einen der Musiker des Ensembles. Die Arbeit ist von einer in den siebziger Jahren entstandenen Aufnahme inspiriert, die das David Munrow Consort von einem berühmt "modernen" atonal wirkenden Stück von Matteo von Perugia, einem bahnbrechenden italienischen Komponisten des späten 14. Jahrhunderts, gemacht hat. Das Triptychon-Format leitet sich aus der Art der Komposition ab. Das Stück ist für drei Instrumente geschrieben (in diesem Fall Leier, Tenorblockflöte und Laute), und die Beziehung der Stimmen zueinander gestaltet sich so, dass jeder Musiker die meiste Zeit in seinem oder ihrem eigenen "Raum" zu sein scheint. Moderne Kritiken haben diesbezüglich von Free-Jazz-Parallelen gesprochen. Jeder einzelne Musiker wird dargestellt, das Gesamtwerk funktioniert aber durch die kohärente Renaissanceperspektive; es wurde aus einem Blickwinkel aufgenommen, wobei das Negativ erst anschließend in drei Bilder geteilt wurde. Der Aufführungsort ist eine modernistische Kirche der frühen sechziger Jahre, und die Kostüme der Musiker ähneln den bescheidenen selbstgemachten Kleidern, wie sie bei gewissen Familienensembles der siebziger Jahre en vogue waren.

Das Doppelbild von "Awakening", (2006) hat einen musikalischen Hintergrund. Es geht auf ein Foto der Band Black Sabbath aus dem Jahr 1970 oder 1971 zurück. Die Originalaufnahme des Rockfotografen Chris Walter zeigt die Band auf einem Weg in einem Park, wo sie um einen älteren Mann, möglicherweise einen Landstreicher, herumsteht, der auf einer Bank liegt. Mit einer spöttischen Geste zeigt Ozzy Osbourne auf ihn. Die übrigen Bandmitglieder schauen in die Kamera und lachen. Sicher teils auch als ironische Anspielung auf seine Rock-’n’-Roll-Ambitionen hat Rodney Graham sich in der Position des liegenden Mannes ins Bild gerückt: "Ich habe erst eher spät in meinem Leben Rock zu spielen begonnen, und mir hat das Bild dieser Gruppe junger Heavy-Metal-Typen, die über mich lachen, gefallen." Das Bild erinnert an die Stimmung von Caravaggios Berufung des heiligen Matthäus. Vielleicht wird der Künstler auch von einer Gruppe von Passanten, die wie die Black-Sabbath-Leute aussehen, zum Rock "berufen". Religiös gesehen sollte man den Titel mit den Heavy-Metal-Kreuzen in Verbindung bringen, die Ozzy und Tony Iommi um den Hals tragen: Sie sind wiedergeborene Rocker. Bei dem Bild wurden links und rechts vertauscht, und es wurde ein Diptychon daraus gemacht. Die "negative" Version der Arbeit (die an die Verwendung von Negativen für Heavy-Metal-Albumcover denken lässt) kehrt zur ursprünglichen Links-Rechts-Anordnung der Fotografie von Chris Walter zurück.

Neben der Trilogie zeigt die Ausstellung auch die Arbeit "Screen Door" (2005). Der im Titel genannte Gegenstand, eine scheinbar einfache, billig produzierte Metalltür mit Fliegengitter, lehnt gegen eine Wand und wirkt in einer Kunstausstellung fehl am Platz. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Nachbildung der Eingangstür der Villa Elvis Presleys aus massivem Silber. Die Originaltür wurde zusammen mit anderen Presley-Erinnerungsstücken 1999 bei einer Auktion versteigert. Die Wahl des exklusiven Materials für ein so gewöhnliches Objekt steigert den legendären Status seines ehemaligen Besitzers, während die Positionierung in einem Kunstkontext dem Gegenstand neue Bedeutung zuschreibt.

Andere in der Schau zu sehende Fotografien wie "Artist in his Studio" sind von Plattencovers der 70er Jahre inspiriert. Ebenfalls präsentiert wird eine Auswahl neuer Gemälde und Arbeiten auf Papier. Die kleinformatigen Gemälde der Serie aus dem Jahr 2006 zeigen sich als raffinierte Dekonstruktionen von Ikonen abstrakter Malerei. Mit einem relativ begrenzten Repertoire visueller Zeichen imitiert Graham mit einem Augenzwinkern die Ästhetik der Abstraktion, etwa die eines Kubismus à la Picasso, und entfaltet ein ebenso verwirrendes wie rätselhaftes Bezugssystem. Die Mischung von ernsthafter Nachahmung, ironischer Distanz und Spiel mit dem historischen Kontext, mit der er vorgeht, konfrontiert uns mit "Übungen in einer An- und Verkaufsmoderne" oder ergibt "wiedererstandene Verbildlichungen des Modernen" (Rodney Graham).

BIOGRAPHIE Rodney Graham wurde 1949 in Vancouver geboren. Seit mehr als zwanzig Jahren werden seine Arbeiten international gezeigt und in zahlreichen Einzelausstellungen präsentiert, so etwa in einer Retrospektive, die 2004/2005 durch die USA und Kanada tourte (MoCA Los Angeles, ICA Philadelphia, Vancouver Art Gallery u. a.) sowie in Ausstellungen in der Whitechapel Gallery London (2002) und am Hamburger Bahnhof Berlin (2001). Der Künstler nahm an der "documenta IX" (1992), der Biennale di Venezia1997 und der Whitney Biennial 2006 in New York teil. In Verbindung mit dem Kurt-Schwitters-Preis, den Graham 2006 erhielt, fand am Sprengel Museum in Hannover eine dem Künstler gewidmete Schau statt. Ebenfalls 2006 wurden in Montreal und in der Kunsthalle in Bergen, Norwegen, Einzelausstellungen gezeigt. Die Arbeiten Rodney Grahams befinden sich in den Sammlungen bedeutender Museen wie dem Museum of Modern Art New York, dem Centre Pompidou, Paris, und dem Metropolitan Museum of Art.