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Eröffnung Donnerstag, 13. September 2007, 19.00 Uhr

Die von Jörg Heiser kuratierte Ausstellung Romantischer Konzeptualismus in der BAWAG FOUNDATION zeigt ausgewählte Werke von 23 internationalen Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Generationen, die belegen, dass die Reflexion des Romantischen nicht nur ein vernachlässigbarer Seitenstrang, sondern ein zentraler Aspekt des Konzeptuellen ist. Die präsentierten Arbeiten - aus den frühen Sechzigern bis hin zu exklusiven Neuproduktionen - bringen auf teils emphatische, teils kritisch-humorvolle Weise romantische Motive wie Sehnsucht und Melancholie und Methoden wie das Fragmentarische, das Ephemere und das Prozesshafte ins Spiel. Sie durchkreuzen den üblichen Gegensatz von romantischer Innerlichkeit und konzeptueller Rationalität.

Seit den 1960er-Jahren wird die Konzeptkunst vielfach mit der Forderung nach strengen, auf Objektivierbarkeit zielenden Regeln in Verbindung gebracht. Die historische Romantik - ob in Literatur oder Malerei - gilt hingegen als Kunst des Subjektiven, Emotionalen und Transzendenten, entstanden als Gegenbewegung zum Nützlichkeitsdenken der beginnenden Industrialisierung und zum universalistischen Denken der Klassik. Darin aber deutet sich schon eine Parallele an, denn auch die Konzeptkunst entwickelte sich - begleitet von den gesellschaftlichen Umbrüchen und politischen Veränderungen in den 60er- und 70er-Jahren wie der beginnenden Bürgerrechtsbewegung, dem Vietnamkrieg, der Frauenbewegung und der Gegenkultur - als Gegenentwurf zum akademisch-formalistischen Werkbegriff des Abstrakten Expressionismus.

1967 fordert der amerikanische Künstler Sol LeWitt in seinen "Paragraphs on Conceptual Art" ein, dass Konzeptkunst nüchtern und trocken sein solle, weil ein "emotionaler Kick den Betrachter davon abhält, diese Kunst wahrzunehmen", und formuliert, dass die Idee selbst bereits ein Kunstwerk sein kann. Mit dieser Definition leitet Sol LeWitt eine radikale Umwertung der künstlerischen Praxis ein. Die künstlerische Praxis verfolgt nun die Unabhängigkeit von der Materialität des traditionellen Kunstgegenstandes, erweitert ihr Handlungsfeld um Aktion und Performance und operiert offensiv mit den Mitteln und Strukturen der Kommunikation. Aktionen oder Handlungsanweisungen, Briefe, Postkarten, Film und Fotografie, Sprache und Text werden verstärkt als künstlerisches Material eingesetzt und dienen zugleich der Dokumentation.

Die kritischen, emanzipatorischen und politischen Impulse der Konzeptkunst führen bis heute zu einer Einordnung, die mit dem Attribut "romantisch" kaum vereinbar scheint. Am Beispiel von ausgewählten Arbeiten zeigt Jörg Heiser jedoch, dass sich konzeptuelle Kunst von ihren Anfängen bis heute selbstverständlich auch romantischer Methoden und Sujets bedient.

Mit seinen performativen Fotografien und Filmen zählt der holländische Künstler Bas Jan Ader, der seit seiner Atlantiküberquerung mit einem Einmannboot 1975 als verschollen gilt, zu einer der Schlüsselfiguren des Romantischen Konzeptualismus. In seinem 16-mm-Stummfilm I´m sad to tell you (1971) thematisiert Ader Trauer und ihre Unsagbarkeit: Wir sehen ihn, wie er während der Dauer der Filmrolle vor der Kamera sitzt und weint.

Der 16-mm-SW-Stummfilm Kiss (1964) von Andy Warhol zeigt 54 Minuten lang zwölf hetero- und homosexuelle Paare beim Küssen. Warhol filmt die verschiedenen Paare in einer einzigen Nahaufnahme, kommentarlos, ohne Ton und jegliche Dramatik, einfach nur echte Küsse, volle Lippen und rückhaltlose Hingabe. Für Jörg Heiser ist Warhols "Kiss" mit seiner streng seriellen, als Handlungsanweisung formulierbaren Form wegweisend für das, was sich erst einige Jahre später als Konvention der Konzeptkunst durchsetzt.

In seiner Installation Envoy: Untitled Nations (2000), die aus drei Fotografien und einer 7´-45´´-Minuten-DVD besteht, dokumentiert der britische Künstler Ross Birrell seinen vergeblichen Versuch, den Vereinten Nationen in New York am 5. November 2000 als Gesandter ein Exemplar von Thomas Morus´ "Utopia" zu übergeben - und damit die Unwahrscheinlichkeit, dass dieses Geschenk irgendeinen Einfluss auf die UN gehabt hätte.

Der "private" zwischenmenschliche Austausch als Utopie öffentlich-gesellschaftlichen Austauschs steht in zwei Arbeiten der Ausstellung im Mittelpunkt: Die dokumentarische Fotografie Hands Dialog (1966) der brasilianischen Künstlerin Lygia Clark zeigt die Hände von zwei Personen - von Clark selbst und ihrem Künstlerkollegen Hélio Oiticica, die mit einem weißen elastischen Möbiusband am Handgelenk verbunden sind, als wäre es eine Kreuzung aus Liebesband und Fessel. Für den aus Kuba stammenden Felix Gonzalez-Torres symbolisieren in seinem Werk Untitled (Perfect Lovers) (1987/1990) zwei synchronisierte Zwillingsuhren die enge Verbundenheit und Liebe zwischen zwei Männern. Die Arbeit entstand in einer Zeit des Kampfes für die Rechte der Schwulen und Lesben und der erstmaligen Thematisierung von AIDS in der breiten Öffentlichkeit.

Seit über zehn Jahren erforscht Didier Courbot die Wahrnehmung von Landschaften. In der Farbfotoserie Needs behandelt der französische Künstler seit 1999 die städtische Umwelt, indem er in verschiedenen Städten als "hoffnungslos idealistische Figur", die den Großstadtraum mit dem eigenen Garten verwechselt, in Aktion tritt. Wir sehen ihn unter anderem beim Blumengießen im römischen Straßenverkehr oder beim Befestigen eines Vogelhäuschens an einer belebten Pariser Kreuzung.

Bekannt geworden ist Tacita Dean mit ihren 16-mm-Filmen, jedoch zählen auch fotografische Arbeiten, Zeichnungen und Schriften zu ihren bevorzugten Medien. Ausgangspunkt für ihre 20-teilige Fotogravüre-Serie The Russian Ending (2001) sind gefundene alte Katastrophen-Postkarten - Bilder von gestrandeten Walen, gekenterten Schiffen und Vulkanausbrüchen -, die zu Radierungen verarbeitet und mit Inschriften und gekritzelten Instruktionen versehen werden. Durch diese Technik verschwimmen die Grenzen zwischen Fotografie, Zeichnung und Radierung, sodass ein eigenes Genre entsteht: Storyboard-Bilder, die an Schlussszenen imaginärer Katastrophenfilme erinnern.

Im Werk des schwedischen Künstlers Henrik Håkansson stehen die Bedingungen der Beobachtung von Natur im Mittelpunkt. In der Installation A Tale From A Forest Without A Name (Pitta gurneyi) (2002) stellt uns der Künstler den Goldkehlpitta vor, einen kleinen thailändischen Vogel mit prächtigem Federkleid, der stark vom Aussterben bedroht und nur selten im Urwalddickicht zu sehen ist. In Zeitlupe hüpft der Vogel ins Zentrum des Blickfelds und verschwindet wieder.

Tomislav Gotovac, der sich kürzlich in Antonio Gotovac Lauer umbenannte, ist eine herausragende Figur der Experimentalfilm-, Konzeptkunst- und Performance-Szene des ehemaligen Jugoslawiens. In der sechsteiligen SW-Bilderserie Showing Elle hält er, in einem winterlichen Wald stehend, lachend das französische Modemagazin "Elle" vor seinen nackten Oberkörper. Zu sehen ist das Bild einer Frau in Unterwäsche. Mit dieser einfachen Geste wird auf witzige Weise die Distanz zwischen Natur und Konsumgesellschaft, aber auch die Distanz zwischen Kommunismus und Konsumgesellschaft kurzgeschlossen.

In der 26-minütigen Realzeiteinstellung Halcion Sleep (1994) übt sich der amerikanische Künstler Rodney Graham in Kontrollverlust. Der Betrachter sieht den Künstler schlafend auf dem Rücksitz eines Autos, das durch eine Großstadt fährt. Für diese Aktion hat sich Graham eine doppelte Dosis des Schlafmittels Halcion verabreicht.

Das Werk Woman to go von Mathilde ter Heijne (2005) besteht aus Hunderten verschiedener SW-Postkarten, die zum Mitnehmen auf rollenden Ständern präsentiert werden. Zu sehen sind Fotoporträts von anonymen Frauen aus dem 19. Jahrhundert aus allen Teilen der Welt, nach dem Zufallsprinzip kombiniert mit sorgsam recherchierten Biografien von bekannten Wissenschaftlerinnen, Universitätsabsolventinnen und Künstlerinnen. Auch Susan Hiller entwickelte seit den frühen 1970ern den methodologischen Ansatz eines experimentellen Sammelns, Indexierens und Katalogisierens kontinuierlich weiter. In Dedicated to the Unknown Artists (1972-1976) stellt sie 305 Postkarten zusammen, die allesamt die raue Brandung an verschiedenen Abschnitten der britischen Küste zeigen: eine konzeptuelle Verbeugung vor den unzähligen Seestücken unbekannter Künstler und eine romantisch-ironische Metapher für die aufgewühlte Künstlerseele.

Bekannt geworden ist Douglas Huebler mit seinen zahlreichen Arbeiten, in denen er auf sehr subtile Art und Weise eine Spannung zwischen Foto und Text geschaffen hat. So zum Beispiel auch in der SW-Fotografie Duration Piece #31 Boston (1974). Diese Aufnahme entstand am 31. Dezember 1973 genau eine Achtelsekunde vor Mitternacht. Sie zeigt eine lachende nackte Frau, die sich mit einem Handtuch bedeckt. Im Text zum Foto erklärt Huebler, dass durch die Belichtungszeit von einer Viertelsekunde die eine Hälfte des Körpers noch im alten Jahr, 1973, verharrt, während die andere bereits in das neue Jahr, 1974, eingetreten ist.

Ausgangspunkt für Jan Timmes Arbeit Sweeping the Desert (2007) ist ein Foto von den Dreharbeiten zu dem Film "Lawrence of Arabia" (1962). Es zeigt einen Mann, der den Wüstensand fegt, um für die nächste Filmaufnahme alle Spuren zu beseitigen. Im Vordergrund jedoch sind noch Spuren von Kamelhufen sichtbar. Dieses Bildsujet ist exemplarisch für den Topos der Romantik: die einsame Figur in der Landschaft, abgewandt vom Betrachter und im vergeblichen Versuch zu handeln gefangen. In der Ausstellung positioniert Timme zwei Bilder an unterschiedlichen Orten: Die Reprofotografie eines bereits reproduzierten "Originals" wurde ein weiteres Mal in einem Bildausschnitt reproduziert, der die Spuren im Sand isoliert und abstrahiert.

Bei Frances Stark sind Schreiben und künstlerische Praxis eng miteinander verschränkt. Ihre Textobjekte - z. B. in Vitrinen gezeigte Bücher und Hefte - sind emotional aufgeladene Fragmente möglicher Publikationen. Ihre Arbeit A German View of my Forthcoming Book (2007) basiert auf einer früheren Collage, in der sie Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer", abgebildet auf dem Cover der Penguin-Ausgabe von Nietzsches "Ecce Homo", ein Stiefmütterchen als Kopf verpasst hat - nun erweitert um weitere Stiefmütterchen, die diesmal den Kopf des Philosophen selbst ersetzen.

Allen Ruppersbergs Posterinstallation You And Me Plus (2007) erinnert an zahlreiche verstorbene Künstler und Kuratoren von Bas Jan Ader bis Marcia Tucker, von Anne Truitt bis Pontus Julten; die Geburts- und Todesdaten werden von den Wörtern "You" und "Me" unterbrochen. Die nüchternen Daten und knallbunten Farbkombinationen erzeugen eine Spannung, die Verlust und Erinnerung dieser Persönlichkeiten als etwas kenntlich macht, was nicht abgeschlossen ist.

Kirsten Pieroths künstlerische Praxis kreist um die Idee, methodische Permutationen mit dem Wörtlichnehmen von Dingen zu kombinieren. So kürzte sie zum Beispiel die Taschenbuchausgabe von Jules Vernes Roman "Reise um die Erde in 80 Tagen", indem sie das Buch entlang des Buchrückens in der Mitte halbierte und es mit "Reise um die Erde in 40 Tagen" betitelte. Ihre aktuelle Arbeit Böttger vs. Böttger (2007) geht auf eine persönliche Alltagserfahrung der Künstlerin zurück. Pieroth erhielt vom Rechtsanwalt ihres Vermieters einen Brief, in dem ihr angeboten wurde, den Mietvertrag gegen einen gewissen Betrag zu lösen, der sich nach Ablauf von fünf Tagen täglich um 100 Euro verringern würde. Pieroth antwortete als Künstlerin und machte einen Berliner Rechtsanwalt mit gleichem Namen ausfindig. So bekam Rechtsanwalt Böttger einen Brief von seinem Namensvetter, in dem er davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass seine Mandantin bereits schriftlich Widerspruch gegen die geplanten Renovierungsarbeiten eingelegt hatte.

In dem siebenminütigen Sound-Stück Birdcalls (1972/1981) von Louise Lawler hören wir Vogelstimmen. Jede Vogelstimme ahmt den Namen eines berühmten männlichen Künstlers nach. "Kosuth, Kosuth" ruft ein ausdauernder Kuckuck, während ein Papagei "Dan Graham" krächzt. Die Idee zu diesem Werk stammt aus den 70er-Jahren. Bei einem Hudson-River-Projekt hatten die beteiligten Künstlerinnen einen extrem großen Teil der anfallenden Arbeit übernommen, schließlich waren jedoch nur Werke ihrer männlichen Kollegen ausgestellt worden.

Die russische Künstlergruppe Kollektive Aktionen wurde 1976 von Andrei Monastyrski, Georgii Kizevalter und Nikita Alekeev gegründet. Ihre Aktionen finden manchmal mit, manchmal ohne Publikum statt, auf dem Land, in der Stadt oder in Privatwohnungen. Bei Losung (1977) steht ein rotes Banner im Mittelpunkt, das zwischen Bäumen auf einem Hügel außerhalb von Moskau aufgespannt war. Der Slogan lautete: "Ich beklage mich über nichts, und fast gefällt es mir hier, obwohl ich nie da gewesen bin und nichts über diesen Ort weiß." (Zitat von Andrei Monastyrski aus dem Buch "Nothing happens".)

1962 schrieb Yoko Ono: "Entzünde ein Streichholz und warte, bis es ausgeht." In ihrem Film No.1 (Match) (1966) experimentiert Yoko Ono auf Einladung des Fluxus-Künstlers George Macunias mit einer Hochgeschwindigkeitskamera und lässt in extremer Zeitlupe ein Streichholz abbrennen. Auf diese Weise verwandelt sich der banale Akt in eine stark aufgeladene Handlung, die ein ganzes Leben zu einem einzigen Augenblick verdichtet.

In Scences from a Marriage (2003) zitiert Cerith Wyn Evans Ingmar Bergmanns Fernseh-Mehrteiler "Szenen einer Ehe" aus dem Jahr 1973. Die ultimative Untersuchung einer langjährigen Beziehung und deren Scheitern zitiert der britische Künstler mit einem weiß leuchtenden Neonschriftzug, der die Umgebung in kaltes Licht taucht.

Mit der Textarbeit One Standard Air Force Dye Marker Thrown into the Sea (1968) stellt Lawrence Weiner seine Position als Künstler zur Diskussion. Ein Jahr später, 1969, wirft der amerikanische Künstler tatsächlich während seiner Ausstellung am Nova Scotia College of Art in Halifax einen "Dye Marker" - einen kleinen Beutel mit roter Farbe, den US-Piloten im Zweiten Weltkrieg im Fall eines Absturzes zur Haiabwehr und Positionsbestimmung verwendeten - ins Meer. In einem Fernsehinterview erklärte er: "Dies ist keine Kunst. Sie hätten ihn werfen können, praktisch jeder hätte es tun können."

Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog in deutscher und englischer Sprache mit Beiträgen von Jörg Heiser, Susan Hiller, Collier Schorr und Jan Verwoert im Kerber Verlag, Bielefeld, erschienen.

Die Ausstellung wurde von der BAWAG FOUNDATION und der Kunsthalle Nürnberg organisiert.