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In einer Serie von großformatigen Zeichnungen stellt Siggi Hofer verschiedene Themen in jeweils zwei Varianten dar. Durch diese Strategie der Verdoppelung stellen die Bilder aber den eigenen Wahrheitsanspruch auf die Probe. „Durch Wiederholung bzw. Betonung wird das Harmlose unglaubwürdig.“ (Siggi Hofer)

Der Titel der Ausstellung „ I forgot 1988“ legt mehrere Fährten aus. Stadtansichten und Landschaften formt Hofer zu Schiffen, Archen (Arche Noah?) und verschmilzt sie mit Text- und Zahlenblöcken. Die Zahl 88, die er auch im Titel zitiert, entstammt der mehr oder weniger zufälligen Auseinandersetzung des Künstlers mit einem gefundenen Buch, in russischer Sprache, mit dem Titel „88“. Der Inhalt des Buches - „irgendetwas über Energie“ - blieb Hofer zwar verborgen, was aber die Faszination des Buchtitels keineswegs minderte. Die Willkürlichkeit der vorgefundenen Jahreszahl und die spiegelbildliche Verwendbarkeit dieser sonderbaren Zahl, wirken doppeldeutig und geben Rätsel auf in Bezug auf mögliche historische, persönliche und politische Bezüge. „Voglio spazio per crescere – ich will Raum um zu wachsen“ wird später der Titel einer Ausstellung heißen. Stets steht ein Gefühl des Außenseitertums, des Ungenügens, der Desorientierung, das Bedürfnis nach Freiraum und Schutz, einer Welt mit dem Anspruch auf strukturierter Perfektion entgegen - einer Welt allerdings, die alles andere als perfekt zu sein scheint, sondern explosiv brodelt. „Eines Tages brennt die Idylle, die Häuser im Gebirge, eines Tages fliegt das Haus, in dem der Künstler wohnt in die Luft und eines Tages sind ganze Städte bedroht und stehen vor ihrem Untergang.“(Hofer) „Übermaß“ prangte 2006 in der AR-GE Kunst in Bozen als Titel über einer Skulptur, die eine mittelalterliche Burg nachbildete, die der Künstler in planerischer und handwerklicher Kleinstarbeit mit modernen Anbauten ergänzt. „Neubeginn ist schmerzhaft, da erst Altes beseitigt werden muss, Treue hemmt den Fortschritt. Schnell wird Neues alt, wenn Neueres immer mehr und schneller hinzukommt. Hemmschwellen müssen abgebaut werden. Der Anfang ist durch Vorsicht gekennzeichnet, durch eigene Intervention passiert Vereinahmung. Das Streben nach totaler Vereinahmung ist nur eine Frage von Zeit, die tatsächliche Vereinahmung bleibt allerdings in der Realität Illusion.“(Hofer) Es ist das „Übermaß an Realität“, das über die Menschen hereinzubrechen scheint, wie Susan Sonntag sich in Bezug auf die damalige Fernsehberichterstattung rund um 9/11 geäußert hat: nie sei Amerika weiter von der Wirklichkeit entfernt gewesen als zu dem Zeitpunkt, als ein Übermaß an Wirklichkeit auf Amerika hereinstürzte.

In seiner Wiener Ausstellung zeigt Siggi Hofer großformatige Städte- bzw. Landschaftsansichten aus der Vogelperspektive. Rasterartig angeordnete Wohnsiedlungen, Industriebauten, Autobahnen, Brücken und Flüsse erstrecken sich in den großen Landschaftsbildern über zerklüfteten Gegenden. Schon als Kind, wenn andere Kinder noch primitive Strichhäuschen mit Sonne frontal malen, beginnt Hofer endlose Reihen würfelförmiger Häuser, die sich zu quasi maurischen Stadtstrukturen auswachsen, zu zeichnen – in Perspektive und Vogelsicht! Macht und Kontrolle wird anhand einer rigiden, vom Künstler vorgegebenen Ordnung ausgeübt, die jedoch immer wieder an unterschiedlichen Stellen derart unterbrochen wird, dass sie sich letztlich verzettelt. „Keine Konsequenz“ nennt dies der Künstler. „ Immer wieder ist die Rolle des Künstlers sichtbar. Der Künstler der fiktive Welten schafft, diese mit realen Ereignissen mischt, produziert seine Macht über das weitere Schicksal dieser Welten mit. Er legt seine wahre Identität nicht offen, versteckt sich hinter einer Figur die ihm aber sehr ähnlich ist. Philosophiert über seine Möglichkeiten in seiner Rolle zu agieren, und weiß wie schwer es ist, immer und überall das zu sagen, was man fühlt. Oder sich im Vorfeld überhaupt über seine Gefühle klar zu werden. Ist das alles, was Kunst kann, oder ist diese Bescheidenheit nur eine gute Tarnung?“(Siggi Hofer)

In die architektonische Struktur eingefügte Textblöcke, wie „Prawda“, „88“ oder „Mensch“, deren Bedeutung innerhalb des Bildes kryptisch bleiben, haben die Funktion kompositorischer und inhaltlicher Brüche und heben den narrativen Erzählstrang auf eine andere, parallele Ebene, jenseits der gewohnten Interpretationslinien von Bild – Inhalt - Text. Neuerdings gestaltet Hofer seine Städtebilder unter Weglassung des Verkehrsgeschehen und der Bewohner. Bilder von Lebewesen kommen im Rahmen der Ausstellung lediglich als Großportraits von Figuren aus „Micky Mouse“–Heften vor und zwar Portraits von undefinierten Anti-Charakteren – halb Tier, halb Mensch, halb Mann, halb Frau - so wie sie üblicherweise als unbeachtete Staffage den Hintergrund von Komikszenen bevölkern. Figuren denen Hofer schon als Kind seine zeichnerische Zuwendung exklusiv widmete und die er später in vielen seiner Städtebilder wieder verwendete. In einer weiteren Verdoppelung trifft Fiktion auf Realität: Ein 24 Meter langes Geländer teilt die Ausstellung und entspricht in seiner Länge genau dem Geländer des mütterlichen Hauses in Südtirol, ist Hürde und assoziative und optische Spielmöglichkeit zugleich. Auf dem Geländer steht ein Modell aus einem Ausschneidebogen, welches das babylonische ISCHTAR Tor aus dem Pergamon Museum in Berlin zeigt und eine weitere geheimnisvolle, persönliche und historische Perspektive eröffnet.

„In der künstlerischen Strategie von Siggi Hofer geht ein Werk aus dem nächsten hervor und erzeugt eine Botschaft aus der Kombination unterschiedlicher kultureller Codes, von den Möbelzitaten aus dem eigenen privaten Interieur zu den künstlerischen Skizzen, Studien und Modellen, von den Erzählungen des Alltäglichen zur Geschichte der Kunst.“ (Marion Piffer Damiani)

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Siggi Hofer "I forgot 1988"