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Pop, der zweite von insgesamt drei aufeinander folgenden Teilen der Ausstellung Sigmar Polke. Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen wird ab dem 12. Juli in der Hamburger Kunsthalle gezeigt. Die sich von Clique über Pop zu Politik ergänzenden Teile haben einen gemeinsamen Ausstellungs-Mittelpunkt: die bislang weithin unbekannte, zehnteilige Werkgruppe Wir Kleinbürger – Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Sie besteht aus großformatigen Arbeiten auf Papier, deren Präsentation in der Hamburger Kunsthalle erstmals nach mehr als 30 Jahren die Gelegenheit gibt, sich eingehend mit der Werkgruppe (1972-76) auseinanderzusetzen. Mit dem zweiten Teil Pop rückt der künstlerische Umgang mit Pop-Kulturen ins Zentrum der Ausstellung, die nun um die außergewöhnliche Werkgruppe Original + Fälschung bereichert wird. Das 38teilige Ensemble ist in einer aufwändigen Rekonstruktion der ersten Präsentation von 1973 zu sehen. Wie schon im ersten Teil Clique (der dem Entstehungsumfeld, dem künstlerischen Austausch innerhalb der Kunstszenen von Köln/Düsseldorf und der Schweiz sowie Kooperationen mit Freunden gewidmet war) ergänzen auch im zweiten Teil Pop Filme, Photographien, Zeichnungen und Gemälde in Verbindung mit dokumentarischen Materialien und Bildvorlagen die Werkgruppen und zeigen die mediale Bandbreite von Polkes Schaffen.

Wir Kleinbürger – Zeitgenossen und Zeitgenossinnen sowie Original + Fälschung – entstanden in Polkes Zeit auf einem niederrheinischen Bauernhof – stehen im Mittelpunkt der explosiven Kunstentwicklung der 1970er Jahre. Sie verbinden die Bilderwelten der Massenmedien mit Anspielungen auf die kunsthistorische Tradition. Die Hamburger Ausstellung bietet die einzigartige Möglichkeit einer Zusammenschau dieser beiden Werkblöcke. Im Zusammenspiel der beiden Arbeiten wird Polkes Vorreiterrolle für die figurative Malerei oder auch für die anarchischen Aktionen jüngerer Künstler-Generationen offensichtlich: Der Post-Pop von Polke & Co. beschränkt sich keineswegs auf Leinwandformate und museale Präsentationsformen sondern umfasst auch – teils politische – Aktionen, die nicht ausstellungstauglich sind. Anders als in der zu diesem Zeitpunkt längst kanonisierten Pop Art US-amerikanischer Prägung werden bei Polke & Co. die Bilder aus dem Alltag stärker von Verweisen auf internationale Gegenkulturen durchdrungen. Hier vermischen sich Populärkultur, Underground und politischer Aktivismus, wie z. B. zahlreiche Collage-, Film- oder Fotoarbeiten, etwa von Katharina Sieverding oder Klaus Mettig, zeigen.

Wir Kleinbürger – Zeitgenossen und Zeitgenossinnen

Die Kleinbürger-Werkgruppe markiert einen Wendepunkt im Œuvre des Künstlers: Hatte Polke in den 1960er Jahren die Lebenswelt der Wirtschaftswunderzeit ironisch analysiert, geht er hier zum Angriff auf gesellschaftliche Normen über. Er schafft ein Panorama der durch Hippie-Kultur, die neue Frauenbewegung und Terrorismus geprägten BRD der 1970er Jahre. Individuelle wie kollektive Träume und Ängste werden kritisch reflektiert, satirisch zugespitzt und humorvoll hinterfragt. Die kleinen und großen Fluchten aus bürgerlichen Welten – seien es Konsum, Exotismus, Sex oder Drogen – stehen zur Disposition. Kippbilder zwischen Männerfantasien und Feminismus, friedlichem Protest oder Waffengewalt loten Alternativen zum bürgerlichen Dasein aus.

Original + Fälschung

Die Werkgruppe Original + Fälschung besteht aus 24 so genannten Haupt- und 14 zugeordneten Kommentarbildern, für die Polke erstmals mit Achim Duchow zusammenarbeitete. Sie war seit den 1970er Jahren nur selten zu sehen – zuletzt in einer Ausstellung der Kunsthalle Tübingen 2007/08. Doch während der Zyklus dort unter den Bedingungen des White Cube gezeigt wurde, rekonstruiert die Inszenierung in der Hamburger Kunsthalle den anti-musealen Charakter der von Polke und Duchow mit Klaus Honnef eingerichteten Präsentation im Kunstverein Münster 1973. Wie damals verknüpft Original + Fälschung mit hunderten Spiegeln und farbigen Leuchtstoffröhren als raumgreifende Installation nun erneut eine vielschichtige Reflexion über Bilder mit dem Glamour der Club Culture von Discotheken wie dem legendären Düsseldorfer Creamcheese.

Ausgangspunkt des vielfältigen Bilderkosmos ist eine kuriose Sammlung von Zeichnungen und Zeitungsausschnitten. Sie diente den Künstlern als Fundus für Collagen, die sie den 24 Gemälden als Kommentarbilder beigaben. Einige der Hauptbilder beruhen auf einer Interpol-Liste, die gestohlene Gemälde alter Meister zeigt. Diesen erkennungsdienstlichen Bilderatlas haben sich die beiden Künstler vorsätzlich stümperhaft angeeignet. Außerdem sind die Variationen über Werke von Rembrandt, Rubens oder Toulouse-Lautrec in einen Bilderreigen aus Zirkusattraktionen, Politsatire, Machogehabe, Übersinnlichem und Spießertum eingegliedert. In Auseinandersetzung mit Kunstdiebstahl und -fälschung sowie den Mythen von künstlerischer Autorschaft und Authentizität werden in Original + Fälschung die Mechanismen des Kunstmarkts und Ideale bürgerlicher Kunstvorstellung attackiert. Im Verlauf der Ausstellung werden mehr als 100 Werke und Werkgruppen aus internationalen Museums- und Privatsammlungen gezeigt. Sie machen ein vielschichtiges Aneignen, Wiederholen, Sampeln und Umdeuten von visuellem Material anschaulich. Polke & Co. bedienten sich der schrillen Bildsprache von Plattenhüllen, Comic-Heften oder internationaler Satire-Magazine und linker Zeitschriften. Zitate werden übereinander geschichtet, ergänzen sich oder treten miteinander in Konkurrenz. Polke hat diese Wirkung durch die Verwendung vorfabrizierter Dekorationsstoffe als Malgrund auf die Spitze getrieben. In den entstandenen Wimmel- und Vexierbildern erweitert der Künstler kollektive Bildreservoirs und analysiert und kommentiert sie zugleich. Harmlos wirkende Bildergalaxien verwandeln sich in Alpträume voller düsterer Comicfiguren und grotesker Spukgestalten. Hier wird greller Pop mit seiner morbiden Kehrseite konfrontiert. Gesteigert wird diese Gegenüberstellung durch das Zusammensetzen von Einzelwerken zu Bildpaaren. Einige von ihnen sind in der Ausstellung erstmals seit ihrer Entstehung wieder in der von Polke beabsichtigten Form zu sehen.

Zeitgleich mit der Ausstellung ist im Verlag der Buchhandlung Walther König eine von Petra Lange-Berndt und Dietmar Rübel herausgegebene, umfangreiche Publikation erschienen, die den Entstehungskontext von Wir Kleinbürger – Zeitgenossen und Zeitgenossinnen aufarbeitet und die Serie in einem größeren Zusammenhang verhandelt.

Kuratoren der Ausstellung: Dr. Dorothee Böhm und Dr. Dietmar Rübel, in der Hamburger Kunsthalle Dr. Petra Roettig

Ermöglicht durch die Michael & Susanne Liebelt-Stiftung.

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Sigmar Polke. Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen
Teil 2: Pop, 12. Juli 2009 bis 4. Oktober 2009
Kuratoren: Dorothee Böhm, Dietmar Rübel, Petra Roettig