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Albanien oder sonstwo am Rand.

Am Eingang der Ausstellung ein Foto, ein verlassenes Schwimmbad . Kurz dahinter das Meer, daneben gebaute Theaterprospekte aus Beton. Alles menschenleer. Absurd. Das zubetonierte Leben ist erstarrt, der Raum der Datschas ist gelöscht, er ist überbaut. Die Geister könnten wie in Shining wieder erscheinen. Man ahnt ein Mysterium des Dahinter, was liegt unter dem Palimpsest? Der Ausstellungstitel assoziiert auch die Begriffe: Verleuchtung, Verlichtung. Vielleicht kommt man nie an, irrt durch Wände hin und her. Ich stand an der Küste, im Rücken die Ruinen von Europa, und redete mit der Brandung: BLA BLA, so Heiner Müller in den 80er Jahren. Was folgt, ist der Zusammenbruch Osteuropas, dann eben dort die Hoffnung auf goldene Welten im Schnellzugtempo. Nun das Ankommen in der Realität hinter den Fassaden der Spekulationen. Unorte sind in zehn Jahren entstanden. Kein Ort nirgendwo, auch so eine zur Floskel gewordene Literatenzeile, die wieder einfällt, 2009. Die Dokumentation ist eine Chimäre der Globalisierung, deshalb Dokumentarfilmfestivals und Dokumentarfotografie allerorten. Was will man sich eigentlich ansehen oder gar aneignen, das Fremde? Es wird nicht mehr zu finden sein. Nach den traurigen Tropen kommen nur noch die Tropen als Fatamorgana. Was bleibt, sind gesehene Bruchstücke der Erinnerung. Verlassene Hotelswimmingpools, direkt hinter der See, leerstehende Theaterkulissen á la Paris, alles erst wenige Jahre alt und schon wieder dem Vergessen anheim gegeben. Was ist in den Bildern Silva Agostinis nur schief gegangen bzw. was bilden sie ab? Sind es Metaphern für Kulissen des Sozialen? Dokumentarisches ist es nicht, zu abstrakt, zu trocken. Es ist eine metaphorische Herangehensweise. Das entstandene Bild ist die Verfremdung des Realen. Mit geringen Verschiebungen der Perspektive erreicht die Künstlerin eine Irritation des Betrachters. Nichts ist ausgedacht, inszeniert, alles im besten Sinne nur aufgenommen. Der Besucher der Bilder wird dadurch gestimmt. Die Gesamtatmosphäre der Ausstellung ergibt einen Klang der Tristesse. Ob Filme oder Fotografien, alles erzeugt einen Eindruck des Außenstehenden. Die Künstlerin hat einen kühlen, abstandshaltenden Blick. Die einzelnen Elemente der Ausstellung schließen sich zusammen zu einem Kanon der Abwesenden. Es gibt eine Serie kreisrund ausgeschnittener Landschaftsdetails, man fragt sich, was man sieht, denkt an nicht beabsichtigte Details und merkt dann, irgendetwas fehlt da. Ausgewählt sind die Vorlagen aus den noch weltweit vorhandenen Schuhkartons voller Familienfotos vor Landschaftskulisse, hier denen der eigenen Familie. Aber das ist fast egal. Was hervorsticht, ist das Fehlen der Personen. Man denkt an die Anfänge der Fotografie im 19. Jahrhundert, die solche runden Formate verwendete. Hier ist man an einen voyeuristischen Blick erinnert, nur der zu betrachtende Gegenstand ist abhanden gekommen. Wir sehen in ein Loch. Die Entropie hat die eigentlich konstituierenden Personen des Bildes hinweggeweht. Der Ursprung der filmischen Idee liegt zwischen Fiktion und Realität. Was soll das Primat haben? Der filmische Blick lebt unter anderem von Einstellungen und Kamerafahrten. Agostini interessieren diese filmischen Elemente, sie dreht nur einzelne Vektoren um. Hier die Richtung der Bewegung oder die Projektionsachse, dort wird die Geschwindigkeit verlangsamt. Was herauskommt, sind saugende Fahrten durch die Ränder der Städte. Unscheinbare Stadtrandbebauungen werden zu rätselhaften, ausgrenzenden Anlagen. Wer wohnt hinter diesen endlosen Mauern? Ein beliebiger Straßenzug stellt die Frage nach dem Woher und Wohin, wo liegt diese Straße, ist sie verifizierbar oder allgemeine Metapher? Aus welchem Kulturraum stammen diese Bilddokumente?

Silva Agostini kommt aus Albanien und hat an der UdK in Berlin studiert. Nur, ist das wichtig? Vielleicht ja, denn es zeigt die Überlagerung der Blicke zum Rand Europas hin und von diesem auf uns zurück, die wir meinen, im Zentrum zu sitzen. Die Ausstellung Silva Agostinis erinnert daran, dass authentische Kunst in vieler Hinsicht ebenso sehr die Schöpfung eines bestimmten Ortes wie die des Künstlers selbst ist.

Peter Lang, Berlin, 2009

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Am hellichten Tag
Silva Agostini