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Kunsthalle Vogelmann

Seit etwa fünfzehn Jahren sieht man auf Messen und Biennalen immer häufiger Skulpturen aus Papier. Dabei handelt es sich nicht um Modelle oder Studien, sondern um vollendete Werke. Wie kommt es, dass Künstler gerade im Bereich der Skulptur dieses empfindliche und vergängliche Material verwenden? Seit wann wird es für die beständige Skulptur eingesetzt und woher stammt die Idee, Bronze und Marmor durch Papier zu ersetzen?

Pablo Picasso ist einer der ersten, der bereits 1912 Skulpturen aus Papier herstellt. Aus einzelnen abstrakten Formen konstruiert er eine Gitarre. Wie funktioniert ein Bild, ein Abbild, diese Frage treibt Picasso an. Auch sein Zeitgenosse Kurt Schwitters beginnt in den 1920er-Jahren, Collagen aus gefundenen Papierresten herzustellen, um herauszufinden, was eine bildnerische Komposition ausmacht. Wir zeigen in der Ausstellung drei Collagen von Schwitters, die seine Entwicklung von den zarten Kompositionen der 1920er-Jahre hin zu wilden, gestischen Arrangements in den 1940er-Jahren sichtbar machen. Durch seine Collagen modelliert sich Schwitters von der Fläche in den Raum: Resultat ist sein Merzbau, eine „Collage“ aus Papier und Alltagsfunden, die mehrere Zimmer füllt und von Schwitters über Jahre hinweg fortgeführt wird.

Die französische Gruppe der „Affichistes“ knüpft nach dem Zweiten Weltkrieg direkt an Schwitters an, dreht dessen Prinzip aber um: Durch das Abziehen der obersten Schichten vielfach überklebter Plakatwände schaffen sie neue Kompositionen. Kunst wird auf der Straße gemacht, die Bilder sind bereits vorhanden, man muss sie nur entdecken.
In den 1960er-Jahren erlebt die Papierskulptur eine erste Hochphase, als man dem ehrwürdigen Charakter der Kunst und seiner für die Ewigkeit geschaffenen Bildwerke entkommen möchte. Kunst, so das neue Credo, soll für jeden verständlich und erschwinglich sein, sie soll einen möglichst direkten Kontakt zum alltäglichen Leben haben. In diese Zeit fallen die Arbeiten von Charlotte Posenenske, Erwin Heerich, Franz Erhard Walther und Dieter Roth. Posenenske entwickelt riesige Skulpturen aus Karton, die aus seriell gefertigten Einzelteilen bestehen. Trotz ihrer Größe kann man sie mit einer Hand zur Seite schieben, so karikiert die Künstlerin die Monumentalität der Bildhauerei. Das Auf- und Abbauen der Werke durch die Besucher gehört durchaus zum Konzept. Auch für Franz Erhard Walther spielt das Prozesshafte eine wichtige Rolle. Der Arbeitsprozess im Atelier soll sich in die Werke einschreiben, sie dürfen die Spuren des Entstehungsprozesses zeigen. Durch einfachste Methoden – beispielsweise den Atem des Künstlers – werden aus aufeinander geklebten Papierbahnen Skulpturen.

Seit den 1990er-Jahren macht Thomas Hirschhorn durch große Installationen aus Karton auf sich aufmerksam, die sich ganz explizit auf die Geschichte der Skulptur beziehen. Die schottische Turner-Prize-Trägerin Karla Black, die 2011 auf der Biennale von Venedig mit ihren skulpturalen Arbeiten aus Zuckerrohrpapier für Furore sorgte, wird eigens für Heilbronn eine neue Papierskulptur entwickeln. So können wir direkt erfahren, mit welchen formalen und inhaltlichen Fragen sich die Papierskulptur heute beschäftigt. Neben den raumgreifenden Skulpturen von Karla Black und Thomas Hirschhorn ist ein großer Raum den Papierskulpturen Franz Erhard Walthers gewidmet, den wir bereits 2011 als Preisträger des Ernst Franz Vogelmann-Preises hier in Heilbronn begrüßen durften.

Künstler: Arman, Karla Black, Thomas Demand, Dan Flavin, Raymond Hains, Erwin Heerich, Thomas Hirschhorn, Isamu Noguchi, Robert Rauschenberg, Dieter Roth, Charlotte Posenenske, Kurt Schwitters, Jacques de la Villeglé, Wolf Vostell, Franz Erhard Walther.

Begleitkatalog: Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog in deutscher und englischer Sprache im Snoeck-Verlag mit Textbeiträgen von Marc Gundel und Kerstin Skrobanek, ca. 168 Seiten, ca. 30 Euro. Die speziell für Heilbronn realisierten Installationen werden in einem beiliegenden Heft dokumentiert.

Kuratiert ist die Ausstellung von Dr. Kerstin Skrobanek