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Mit Slavs and Tatars stellt der Kunstverein Hannover eine Künstlergruppe vor, die sich 2006 aus einem Lesezirkel herausgebildet hat. Dementsprechend bildet die Sprachanalyse und die damit einhergehende Frage nach Identitätsbildung einen Schwerpunkt ihrer sowohl analytischen wie auch sinnlichen und humorvollen Arbeiten. Im Zentrum ihres Interesses steht das geografische Gebiet »Eurasien«, das eine Vielzahl unterschiedlicher Ethnien, Sprachen und Kulturen umfasst und von ihnen eher unorthodox als Areal »östlich der Berliner Mauer und westlich der Chinesischen Mauer gelegen« definiert wird. Vergessene Momente der slawischen, kaukasischen und zentralasiatischen Kulturgeschichte stellen den Rohstoff für ihre Arbeiten dar. Aus intensiven Recherchen – der Befragung von Archiven, Forschungsreisen und dem Besuch von wissenschaftlichen Konferenzen – destilliert das Künstlerkollektiv seine Werke, die wiederum ganz unterschiedliche Formen annehmen können: von raumgreifenden Installationen, eindringlichen Sound-Arbeiten, speziellen Künstlerbüchern und -zeitungen bis zu Vortrags-Performances.

Nicht selten bieten die Installationen von Slavs and Tatars im Innen- und Außenraum dem Publikum die Möglichkeit innezuhalten, sich zu treffen und ins Gespräch zu kommen, wie beispielsweise in Mother Tongues and Father Throats (2016) oder PrayWay (2012). So ist PrayWay, ein schwebender, in der Mitte geknickter Teppich, zugleich skulpturale Installation, Sitzecke und polemische Plattform. Die Arbeit vereint die gesellige Atmosphäre eines Teehauses und die Referenz auf das heilige Lesefaltpult im Islam, nimmt Elemente scheinbarer Gegensätzlichkeit auf und verbindet diese mit einer Einladung zum Dialog. An anderer Stelle dient ein Teppich als Sitzbank, der die Buchstaben des arabischen Alphabets und die entsprechenden Mundpartien darstellt, die bei der Artikulation dieser Buchstaben zum Einsatz kommen. Der Besucher wird eingeladen, sich anhand humorvoller Publikationen über die Geschichte, Spezifik und Differenzen des Phonems (kh] zu informieren, das im semitischen, kyrillischen, türkischen und arabischen Alphabet jeweils unterschiedliche Ausprägungen hat. Hingegen basiert die Loveletter-Serie (2013– 15) auf Zeichnungen des russischen Dichters und Dramatikers Vladimir Mayakovsky und thematisiert die von Mustafa Kemal Atatürk 1928 durchgeführte türkische Sprachreform von der arabischen zur lateinischen Schrift sowie die Kyrillisierung des arabischen Alphabets in der Sowjetunion. Auf eindrückliche wie humorvolle Weise wird deutlich, wie Sprache als Herrschaftsinstrument eingesetzt wird, welch sprachliche Akrobatik solche Veränderungen abverlangen und mit welchen Verlusten und Verständigungsbarrieren diese einhergehen können.

Seit 2011 wurden die Werke von Slavs and Tatars in Einzelausstellungen weit über den Globus verteilt vorgestellt, u. a. 2017–2016 mit Mouth to Mouth: CAC / Vilnius (LT), SALT / Istanbul (TR), The Centre for Contemporary Art, Ujazdowski Castle / Warsaw (PL), oder 2016–2014 mit Mirrors for Princes: Blaffer Art Museum, University of Houston / Texas (USA), The Art Gallery at NYU Abu Dhabi / Abu Dhabi (UAE), GfYK / Leipzig (DE), Kunsthalle Zürich / Zürich (CH).