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„Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des Andersseins´ als dasgewöhnliche Leben´.“

Nach dieser von Johan Huizinga formulierten Definition liegt die Funktion des Spiels in der unmittelbaren Erfahrbarkeit einer alternativen Wirklichkeit. Solche in der Dynamik des Spiels ver-wirklichten Parallelwelten lassen sich im Sinne Michel Foucaults als Heterotopien begreifen, „... als wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können.“

Die Szenarien des Spiels beanspruchen demnach eine eigene Realität, und zwar die Realität der Repräsentation. Im Spiel wird das gewöhnliche Leben´ rezipiert und reproduziert, um in diesem Doppelungs-Mechanismus der performativen Nachahmung das Bewusstsein desAndersseins´ zu erlangen. Das Spiel existiert also in Gegenüberstellung und als Gegendarstellung zur lebensweltlichen Realität.

In der SPIEL-PLÄTZE titulierten Ausstellung werden durch die sechs ausgewählten zeichnerischen Positionen Möglichkeiten einer Annäherung sowohl an die von Huizinga postulierte Andersheit im Spiel als auch an die Foucault´sche Auffassung von „Gegenplatzierung“ vorgestellt.

Mit zeichnerischem Feingefühl stellt JARED BUCKHIESTER kindlich-jugendliche Protagonisten in ihren pubertären Parallelwelten dar, für die das Ausloten von Handlungsspielräumen zur existentiellen Aufgabe wird. Die meist knabenhaften Gestalten wirken in ihrer fast transparenten Körperlichkeit wie blutleere Geister in einem Zustand des Ennui, der lähmenden Langeweile und Lustlosigkeit. Gegenwärtigkeit und physische Präsenz scheint den Figuren allein durch die Ausstattungsstücke gegeben zu sein, mit denen sie in Akten der Selbstinszenierung Handlungen und Attitüden verkörpern. So sind die Akteure mit T-Shirts bekleidet, auf denen die Logos von Heavy-Metal Bands prangen, die durch ihre Gruselästhetik und provokativ vorgetragene Affinität zum Bösen als Eltern- und Lehrer-Schreck gelten. Exzentrisches Make-Up zeugt ebenfalls von ihrer Verortung im Kosmos des Heavy Metal Kultes gleichwie des Horrorfilmes: dämonische Fratzen eines Marilyn Manson sind kindlichen Zügen aufgemalt, die Messerklingenfinger Freddy Kruegers sind linkischen Händen übergestülpt. Diese Maskerade androgyner Halbstarker in ihrer Metal-Kluft und Bad-Boy Pose entfaltet sich in einer ritualisierten Gruppendynamik vor dem kulissenhaften Hintergrund der High-School oder des Pfadfinderlagers. Die bizarren Gelage mit ihren Gewalt und Gruselattributen wirken jedoch wie ein jäh beendetes Lustspiel in dem alle Darsteller letztendlich Opfer ihrer Rolle sind: zwischen Ohnmacht und Machtphantasien gefangen, wird ihnen die Vortäuschung von Identität durch Identifikation als Farce vor Augen geführt.

Der Illusion von Identität scheinen auch die Figuren SIMON PASIEKAs zu erliegen. Ausschnitte karger Felslandschaften als Orte ohne Verortung bilden den Hintergrund vor dem sich eine andere Wirklichkeit entfaltet. Es ist die Wirklichkeit der eigenen Anders-heit, die hier in den phantasmatischen Gestalten Halbwüchsiger, in ihren Doppelgängern und Spiegelungen auf drei Tuschezeichnungen in Erscheinung tritt. In einer Szene ragt ein Felsblock in einem primatenhaftem Profil hervor, aus dessen Augenhöhlen ein glühendes Licht diffus ausstrahlt und den davorstehenden Halbwüchsigen in seinen Bann zieht. In einer weiteren Szene trifft sich eine Schar Jugendlicher zu einer konspirativen Versammlung. Sie sind hinter Schutzschildern verschanzt, die Insektenpanzern ähneln und scheinen einer Geheimgesellschaft anzugehören, die den Gesetzen der Mimikry folgt. In der letzten Szene sitzen zwei Jugendliche um ein Lagerfeuer am Fuße eines Felsmassivs, auf dessen Plateau eine Figur wie auf einer Altarmensa statuarisch liegt. Solche Situationen der spiegelbildlichen Konfrontation mit Identifikationsfiguren aus Menschheitsgeschichte, sozialem Gemeinwesen oder Religion sind Manifestationen des Ichs als ein anderer und zeugen von fundamentaler Entfremdung. Gefangen in ihrem Schwellendasein zwischen Erwachsenen- und Kindesalter wirken die jugendlichen Gesichter maskenhaft starr, ausdruckslos und abweisend, und bieten sich als leere Projektionsflächen für imaginäre Selbstbilder an.

Um die Verortung von Verwirklichungsmöglichkeiten des Daseins geht es auch in JOHANNES SPEHRs Szenarien. Mit dem maliziösen Grinsen des Unheilstifters im Kinderzimmer, der ohne Vorankündigung ein vollendetes Puzzle über den Haufen wirft, reißt er Abgründe in die makellose Vorgartenidylle bürgerlicher Existenzen und vernichtet damit eben jene Orte, in denen sich konforme Daseinsweisen einnisten. Spehr demontiert jene Einrichtungen, die das öffentliche und private Leben regeln und kontrollieren, um stattdessen den Verfall in die Regellosigkeit als existenzielle Möglichkeit zuzulassen. Aus diesen Einrichtungen und in ein unübersichtliches Chaos entlassen, erscheint der Mensch wie ein Gestrandeter, auf sich zurückgeworfen, orientierungslos und haltsuchend. Schutzlos, mit heruntergelassenen Hosen und aufgesetzten Hasenmasken werden brave Familienväter, Wirtschaftsbosse, Politiker mit den nackten Tatsachen ihres Lebens jenseits aller Macht- und Statusverhältnisse konfrontiert. Die bisweilen karnevaleske Vorführung gesellschaftlicher Repräsentanten als Witzfiguren ihrer selbst entlarvt sie als Rollenkonstrukte, als sinnentleerte Verkörperungen gewisser funktionaler Mechanismen im nun aus den Fugen geratenen gesellschaftlichen Gefüge. Spehrs Bildkompositionen sind penible Versuchsanordnungen, in denen die Fixierung der Existenz in einem soziokulturellen Rahmen zugunsten einer Flexibilität aufgegeben wird. Die dekonstruktive Neuordnung der Daseinsumstände offenbart sich dem Betrachter wie ein lückenhaftes Puzzle-Spiel.

Eine Auseinandersetzung mit Rollenmustern nimmt auch PETER TORP in seinen humorvollen Darstellungen alter Männer beim gemeinsamen Spiel vor. Die Infragestellung menschlicher Zustände und ihre Zulässigkeit innerhalb einer Gesellschaft der festen Zuordnungen äußert sich in der Gegenüberstellung von hohem Alter und kindlichen Verhaltensweisen. Eingefallene, dickbäuchige Greise widmen sich mit naiver Heiterkeit solchen Aktivitäten, die ihrem Alter nicht angemessen zu sein scheinen: nackt buddeln sie am Strand oder nähen in konzentrierter Runde Puppenkleider. Zu kleinen Jungen geworden, gehen diese schrulligen Alten infantilen Impulsen und Spieltrieben nach, die Welt der Erwachsenen ist dabei ausgeblendet.

Ihrem Zeichenstift folgend, entwirft SONIA KNOPP eine Wirklichkeit auf dem Papier, die sich aus den Windungen der gezogenen Linien eigendynamisch entwickelt. Aus dem weißen Nichts des Papiers treten Dinge in Erscheinung, die alsbald wieder verschwinden. Gestalten sind in fließenden Linien auf dem leeren Blattgrund fixiert, deren Verlauf dem Wandel und der Auflösung unterliegt, so dass die Figuren wirken, als seien sie im unvollendeten Zustand zurückgelassen worden, die Möglichkeiten ihrer gestalterischen Weiterführung andeutend. Die Linie dient Knopp als präzises Werkzeug, um zu formen und zu fabulieren: Im Spiel der Linie wird der Kopf zum Ball, Hände verzweigen sich auf wundersame Art und ragen wie Äste empor. Derartige Zufälligkeiten werden in spontanen Situationen generiert, die jedoch jeglicher gestischen Gebärde entbehren. Stattdessen scheint die Gestalt als langsames Ergebnis ihrer eigenen Transformation unter der leisen Federführung der Zeichnenden zu entstehen. So sind die reduzierten Szenen flüchtige Momentaufnahmen eines ungewissen Entstehungsprozesses ohne Anfang und Ende.

Im Spannungsfeld zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Schein und Sein sind LAURA BALLs aquarellierte Szenen angesiedelt. In der Ausübung spielerischer Handlungen inbegriffen, tummeln sich die Figuren auf einem märchenhaft anmutenden Spielfeld. Die schillernde Farbigkeit der Pastelltöne suggeriert den Bubblegum-Kitsch einer heilen Kleinmädchenwelt, in der immer Kirmes zu sein scheint. Aber diese zuckersüße Stimmung kippt und das falsche Spiel beherrscht das Geschehen. Die Karussellpferdchen drehen durch und auf der SchaukeI erstarrt die luftig-unbeschwerte Bewegung in makabrer Verrenkung. In Gärten liefern sich junge Frauen Wasserschlauch und Spritzpistolen-Attacken und der liebevoll bewässerte Hecken-Dinosaurier erwacht zu ungeheuerlichem Leben. Das Spielszenario wird von der Realität befallen und erzählt von Krieg und Zerstörung, Gegebenheiten, die sich auch in der autobiografischen Erfahrung der Künstlerin niedergeschlagen haben. Laura Ball verweist betörend bildwirksam auf die Versuchung, in einer Welt des schönen Scheins zu verweilen und die Verwirrung, in der Realität angekommen zu sein.

Mit den beschriebenen Positionen lässt sich schließlich das Konzept der SPIEL-PLÄTZE als Orte einer anderen Wirklichkeit in der bildlichen Darstellung betrachten und mit Pierre Klossowski als Realität schlechthin begreifen: „Die Realität findet übrigens ihre Wahrheit erst in ihrer Reproduktion, allein die Fiktion macht die Existenz authentisch."

Bettina Deschler, 2007

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Spiel-Plätze
Laura Ball, Jared Buckhiester, Sonia Knopp, Simon Pasieka, Johannes Spehr, Peter Torp