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Istanbul, die zweieinhalb Jahrtausende alte Stadt am Bosporus, war über Jahrhunderte hinweg immer wieder kulturellen und architektonischen Wandlungen unterworfen: Byzanz, Konstantinopel, Istanbul – die Stadt zwischen Orient und Okzident wurde umkämpft, zerstört, von Neuem aufgebaut, umgebaut und erweitert. 1923 verlor Istanbul mit der Gründung der Republik Türkei Status und Funktion als Hauptstadt, die Einwohnerzahl sank um fast 40 Prozent auf eine Million Einwohner und während Weltwirtschaftskrise und Zweitem Weltkrieg lebte es sich in Istanbul eher bescheiden und beschaulich. Erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts explodiertedie Stadt geographisch und demographisch zu einer der Megacities der Welt mit über 13 Millionen Einwohnern, einer überdurchschnittlich jungen Bevölkerung und einem täglichen Zuzug von über tausend Neuankömmlingen; sie überzieht fünfeinhalbtausend Quadratkilometer beidseits des Bosporus. Istanbul wächst und wuchert, spontan, bruchstückhaft, provisorisch, atemlos. Industriegebiete werden an die Ränder der Stadt verdrängt und ersetzt durch Banken- und Bürohochhäuser, Dienstleistungs- und Einkaufszentren; Stadtautobahnen werden auch durch den historischen Stadtkern gezogen; die Mittel- und Oberschicht flieht aus der Innenstadt in bewachte Neubausiedlungen, während die Zuwanderer über Nacht immer neue Gecenkondu-Siedlungen errichten; der historische Stadtkern hingegen entwickelt sich zu einem orientalischen Disneyland. Seit den 80er Jahren lässt die Stadtverwaltung Masterpläne entwickeln für den Erhalt des historischen Stadtkerns und zur Entwicklung der Stadt zu einem internationalen Handels- und Finanzzentrum zwischen Ost und West; die Pläne sind stets von der gebauten Realität überholt, bevor sie noch diskutiert werden. Und doch "funktioniert" diese Stadt. Die Einwohner Istanbuls organisieren sich, das Leben in ihrer Stadt und mitunter die Stadt selbst entsprechend ihren Bedürfnissen so, dass die Megacity Istanbul trotz Problemen wie Umweltverschmutzung und Verkehrskollaps ungemein lebendig und gut organisiert erscheint. Seit den 90er Jahren setzen sich Künstler und Kuratoren mit urbanen Strukturen und deren Veränderungen auseinander; Künstlerinnen und Künstler, Architekten und eine Soziologin vermitteln in der Reihe STADTanSICHTen individuelle Sichtweisen und bieten persönliche Auseinandersetzungen mit ihrer Megalopolis. Sie erkunden und dokumentieren, wie sich der Einzelne zurechtfindet und einrichtet in einem unüberschaubaren städtischen Kontext, wie öffentlicher Raum von den Anwohnern besetzt wird, aber auch, wie sich der Einzelne ins Private zurückzieht. Erik Göngrich lädt ein zu einer Erkundung des Stadtraums: seine Dia-Projektion "Picnic City" bietet Einblicke in die neunzig Prozent der Stadt, die nicht den historischen Stadtkern, die allseits bekannten, durchstreiften und fotografierten Gebiete Pera, Galata und Sultanahmet ausmachen, während Cevdet Ereks Videoinstallation "Die zweite Brücke" einen der beiden Kreuzungspunkte zwischen Asien und Europa, zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer fokussiert. Mit der Aneignung öffentlichen Raums durch die Einwohner setzen sich auseinander Seçil Yersel mit einer Fotoserie über "Luna-Parks", Yetkin Basarir mit Fotografien von semi-privater Nutzung trister Hinterhöfe und die Gruppe Independant Fake Movement um den Architekten und Städteplaner Murat Sahinler: sie entlarven die Absurdität offizieller öffentlicher Parks; Osman Boskurt dokumentiert kommentarlos mit dem Video "Auto Park" die lebensgefährliche Nutzung von Grünstreifen zwischen den Stadtautobahnen als Fußballplatz, Grillstelle und Sonnendeck. Vom Stadtraum über die Privatisierung öffentlichen Raums begibt sich die Ausstellung in den privaten Raum hinein: der Fotoarbeit Aydan Murtezaoglus mit dem gelassenen, entspannten Blick der Betrachterin auf Istanbul folgt das Video Bülent Sangars, in dem die Aggressionen des Einzelnen gegen alles sich Außen Befindende spannungsvoll und erschreckend zugleich ins Bild gesetzt ist. Die von Vasif Kortun, Leiter des Platform Garanti Contemporary Art Center in Istanbul und Kurator der Ausstellung, ausgewählten KünstlerInnen nähern sich mit poetischem oder dokumentarischem Ansatz, aus städtebaulicher, soziologischer, kommunikativer oder ästhetischer, immer jedoch subjektiver Perspektive, von Außen nach Innen dem urbanen Leben Istanbuls an: der Stadt der Brücken und Fähren, der Minibusse und Stadtautobahnen, der Gecekondu-Siedlungen und der Bürotürme, der Stadt der Moscheen und Märkte. Pressetext

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Stadtansichten Istanbul

mit Arbeiten von Erik Göngrich, Cevdet Erek, Murat Sahinler, Osman Bozkurt, Secil Yersel, Yetkin Basarir, Aydan Murtezaoglu, Bülent Sangar

Stationen:
07.04.04 - 30.05.04 ifa-Galerie Stuttgart
05.11.04 - 09.01.05 ifa-Galerie Berlin