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steirischer herbst Festival neuer Kunst

Immer wieder in seiner Geschichte hat sich der steirische herbst neu erfunden – eine amorphe Institution in progress, die sich von Jahr zu Jahr die Frage nach den eigenen Bedingungen und Notwendigkeiten als eigenwillige Plattform neuer Kunst stellt. Der steirische herbst ist als Festival in mancher Hinsicht besonders: Durch seine Vielstimmigkeit, durch die forcierte Kommunikation zwischen den verschiedenen künstlerischen Disziplinen, durch die Verschränkung von ästhetischen Positionen mit theoretischem Diskurs.

Besonders – und in der internationalen kulturpolitischen Situation immer notwendiger – ist auch die klare Positionierung als Festival der Produktion und der Prozesse, des Ermöglichens und Initiierens. Die Einbeziehung und Vernetzung sowohl internationaler wie regionaler Künstler, Szenen und Kontexte ist dabei zentral – schließlich ist der steirische herbst einerseits aus einer Initiative lokaler Szenen heraus entstanden und hat andererseits (lange vor der weitgehenden Öffnung der Grenzen) die unmittelbare Nähe zu Slowenien, Kroatien und dem mittel- und osteuropäischen Raum produktiv genutzt.

Paradox (und etwas selbstironisch) kann man den steirischen herbst als Festival der Avantgarde mit Tradition bezeichnen: Seit vierzig Jahren ist der steirische herbst eines der weltweit wenigen Festivals für zeitgenössische Künste, das seinem Wesen nach wahrhaft multi-disziplinär ist. Lange bevor die Vernetzung der Künste als Forderung in aller Munde war, integrierte er Kunst, Musik, Performance, Tanz, Theater, Literatur, Architektur, Neue Medien und Theorie ­– im Lauf der Jahre mit unterschiedlichen Schwerpunkten, immer aber selbstbewusst aus den jeweiligen Bedingungen des Genres heraus. Als Dialog, der die spezifischen Eigenheiten der Ästhetiken und Praxen zwar hinterfragt, nicht aber nivelliert.

Der steirische herbst zeigt und unterstützt aktuelle künstlerische Arbeitsweisen, Handschriften, Diskurse. Die Präsentation von Produktionen ist dabei aber nur der sichtbarste Teil des Programms. Recherchen, Prozesse, Entwicklungen gehören ebenso zu diesem Festival wie spektakuläre Aufführungen, groß angelegte Ausstellungen, raumgreifende Konzerte neuer Musik, architektonische Forschungen, öffentliche Debatten und nächtelanges Feiern.

Veronica Kaup-Hasler Vorwort

Listen schreiben: Das tut man, wenn die Verhältnisse unübersichtlich geworden sind. Wenn man, möglicherweise unter Druck, Handlungsoptionen sortieren oder Ordnung in ein Chaos bringen möchte, dessen man nicht mehr Herr zu werden scheint.

Unglück vermeiden, die Welt retten. Lachhaft, trickreich, pragmatisch, naiv, überzeugt, den Blick aufs große Ganze ebenso gerichtet wie auf die kleinen privaten Details und Halböffentlichkeiten: Die Suche nach "Strategien zur Unglücksvermeidung" (das Leitmotiv des diesjährigen herbst) generierte ebenfalls eine Liste. Der Bogen von 100 Begriffen spannt sich von A wie Abschalten und B wie Befreien über K wie Kritisieren, S wie Sprengen, W wie Wiederverwenden bis hin zu Z wie Zusammenrücken. Es liegt im Wesen von Listen, dass sie zuweilen paradox erscheinen. Auch diese wirkt zunächst wie einem privaten Kontext entnommen, spontan auf einen Bierdeckel gekritzelt - und ist doch anwendbar auf andere Sphären des Daseins.

Sie war Inspiration und Ausgangspunkt für viele Gespräche mit Künstlern und Kollegen, die mit ihren Fragen und Ergänzungen die Liste verändert und ihre je eigenen Prioritäten gesetzt und somit wieder neue Ordnungssysteme erstellt haben.

Strategien zur Unglücksvermeidung

Aber was heißt schon Ordnung. Gegen "die autoritäre Liste, die uns als eine passive Aufzeichnung von Kräfteverhältnissen aufgedrängt wird", besteht laut François Jullien immer noch die Option der "erfinderischen Liste, die sich frei mit der Ordnung der Dinge vergnügt".

Mit diesem Vergnügen subversiv und produktiv umzugehen: eine Herausforderung an den Möglichkeitssinn. "Strategien zur Unglücksvermeidung" steht für einen skeptischen Glauben an die Möglichkeiten des Handelns.

Eines Handelns zwischen Bild und Tat, post-ironisch, aber nicht unironisch, aktiv, aber nicht aktivistisch. Pathos als Alltagsangelegenheit: Immer noch geht es darum, etwas zu tun, zu bewegen, zu verändern. Aber wie entkommt man der Lähmung im Denken und Handeln angesichts der Behauptung, dass die Zeit der (oft missbrauchten) Utopien und großen gesellschaftlichen Visionen der Vergangenheit angehört? Schärft sich nicht gerade in den kleinen, überschaubaren Bereichen das Unterscheidungsvermögen?

Melancholie und Explosion

So wie unsere Liste versammelt auch das Programm große und kleine Ansätze, Interventionen, kreative Optionen: Von der Eröffnungsinstallation, die das Publikum zum Handeln zwingt, Auftragsstücken zum Thema "Welt retten" über ein temporäres Spital im Joanneum bis zu Ausstellungen, Filmreihen und das Theorieprogramm - überall finden sich Anlässe, über Handlungsmomente nachzudenken oder selbst zum Handelnden zu werden.

Auch das Festivalzentrum, das die Künstlerarchitekten von raumlaborberlin für das leerstehende Joanneum konzipiert haben, greift den Gedanken der Katastrophe mit einer begehbaren architektonischen Explosion auf. Seinen Abschluss findet der steirische herbst dann mit der Oper "Melancholia" des Grazer Komponisten Georg Friedrich Haas, die tief eintaucht in eine Welt der krankhaften Depression und des manischen Arbeitens.

Es ist wieder ein reicher, vielstimmiger und risikofreudiger herbst, zu dem wir Sie herzlich einladen - wir freuen uns auf eine Zeit intensiver Begegnungen!

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steirischer herbst 2008
Festivalzentrum: “moderato cantabile” von raumlabor berlin  im historistischen Museumsgebäude Joanneum

03.10.08 - 26.10.08 Common Affairs
Kuratiert von Reinhard Braun
mit Ursula Biemann, Mladen Bizumic, Kristleifur Björnsson, Claus Föttinger, Mustafa Maluka, Josephine Meckseper, Lily van der Stokker

03.10.08 - 26.10.08 Noah Fischer - Pop Ark
mit Prem Makeig, Gregoire Paultre, Ronnie Bass

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