press release only in german

In der Galerie wird anhand zweier fotografischer Werkbeispiele ein vielschichtiger und kontroversieller Dialog initiiert, der um das Schönheitsideal des weiblichen Körpers kursiert: Eine hochformatig schlanke Fotografiearbeit von Chuck Close – führender Pionier des US-Fotorealismus seit den 1960er Jahren – zeigt Kate Moss, die Modelikone der Gegenwart, gegenübergestellt mit Oliviero Toscanis Skandalfoto des an Anorexie leidenden Ex-Models Isabelle Caro.

Kate Moss offenbart sich uns direkt, entblößt, ohne Retuschen, die wie gewöhnlich ihren „Starkörper“ auf den Seiten der Hochglanzmagazine in eine künstlich-glatte Sphäre entrücken. Bei Close hingegen wird Kate Moss zum klassischen Frauenakt mit mystischer Aura erhoben, aus dem alltäglichen Model-Kontext gerissen, ja zum Kunstwerk per se. Um diese auratische Dimension zu steigern, arbeitet Chuck Close die Pigmentfotos auf Basis der Daguerreotypie-Technik aus. Das Wesen der Fotografie tritt hierbei puristisch in Kraft, das Licht zeichnet die gesehene Welt; ein Wechselspiel von Hell-Dunkel, Licht und Schatten, das auf das Fotopapier fällt. Ein kontrastreiches warmes Vibrieren zwischen Figur und Grund entsteht. Strukturen auf der Haut – vor allem die Pigmente und Poren – erleben eine gesteigerte Wirklichkeit. Das Blatt erscheint im patinierten Glanz, verwandt mit den elegant gebräunten Inkunabeln aus der Geburtsstunde der Fotografiegeschichte. Close geht über das sachlich hyperrealistische Abbilden der Wirklichkeit hinaus, er verleiht Kate Moss ikonischen Charakter. Durch die vertikale und frontale Ausrichtung des fotografierten Körpers entsteht eine direkte Relation zu ihrem Gegenüber; ihr aktiver Blick intensiviert sinnlich den Kontakt zwischen Subjekt und Objekt, Betrachter und Fotografie: Eine Emotionalisierung der optischen Deskription der Wirklichkeit setzt ein.

Oliviero Toscani bettet hingegen Isabelle Caro in ein kaltes, leeres Setting ein, der zerbrechliche Körper wirkt isoliert in der mächtigen Weite des Raumes, das Nichts droht ihre Existenz aufzulösen. 2007 lancierte Toscani mit Unterstützung des italienischen Gesundheitsministeriums eine medial groß angelegte Kampagne gegen die Magersucht. Der Schriftzug „No anoresia“ zierte das Skandalfoto der rachitischen Isabelle Caro, das im Rahmen der Mailänder Modewoche in Zeitungen, Magazinen und auf monumentalen Billboards publiziert wurde. Toscani sieht in seinen polarisierenden Fotografien die Möglichkeit, auf breiter Basis in das öffentliche Bewusstsein einzudringen und Reflexionsprozesse in Gang zu setzen, so wie schon in den 1980ern und 1990er Jahren, als er mit Benetton Tabuthemen wie Leben und Tod, Aids, Krieg und Sexualität durch direkte, schonungslose Bilder ansprach: ein sterbender HIV-Kranker, Priester eine Nonne küssend, ein blutverschmiertes Neugeborenes, sterbende Soldaten im Kosovokrieg. Toscani setzt mit Caros Foto ein Warnzeichen an die Gesellschaft: “Wir leben in einer magersüchtigen Welt. Wir sind befallen von einer kulturellen Krankheit, an der die Mode, die Medien und vor allem das Fernsehen die Schuld tragen. Weil wir uns selbst hassen, finden wir Gefallen an Monstern.“ Der Fotograf sieht in Isabelle Caro den Prototypen der Anorexie, ja sogar die Personifikation der Magersucht. Als das Foto aufgenommen wurde, wog sie lediglich 31 kg bei 165 cm Körpergröße. Caro hingegen sah sich als „Märtyrerin“ für alle an Anorexie erkrankten Menschen: „Magersüchtig zu sein ist kein Lebensstil, sondern eine entsetzliche Krankheit, unter der ich leide und vor der ich warnen will. Was sie anrichtet, kann man an meinem Körper sehen: Er ist das Grauen schlechthin, ein Kadaver, ein Skelett. Am Ende wartet der Tod. Was ich tue, mache ich für die Millionen von Mädchen, die leiden.“

Mittlerweile bringt Isabelle Caro etwa 40 kg auf die Waage, hat sich vom Modelbusiness verabschiedet und verfasst Bücher und hält Vorträge in Schulen über Magersucht. (Florian Steininger)