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Susanne M. Winterling arbeitet vorrangig mit Film, Collage, Objekten und Fotografie. Die unterschiedlichen Medien führt sie in individuell für den jeweiligen Ausstellungskontext entwickelten Installationen zu einem Ganzen zusammen. Ihre Arbeiten stellen dabei ein System aus konkreten Bezügen her, ohne dass das Ergebnis eine eindeutige Geschichte erzählt oder einen klaren Narrationsfaden verfolgt. Bedeutung bildet sich eher in zarten Referenzgeweben heraus, Erzählung verflüchtigt und verzweigt sich.

Literatur, Musik, Kunst-, Architektur- und besonders Filmgeschichte werden bei Winterling ebenso zum künstlerischen Material wie Alltagsgegenstände, die sie inszeniert. Das kann eine aus der ehemaligen Familienmanufaktur stammende Porzellantasse sein oder eine im Licht changierende Vogelfeder, der Funkenflug einer Wunderkerze oder eine am Ausstellungsort vorgefundene, historische Inschrift. Diese Elemente aus Kulturgeschichte und Alltag umgeben und prägen jeden von uns. Damit bestimmen sie die Ausformung sowohl von Identität und Individualität als auch von allgemein gesellschaftlichen Realitäten. Wenn Winterling also Alltagsgegenstände, Film-, Literatur- oder Geschichtsreferenzen in ihren Arbeiten nutzt, erzählt ihre Auswahl zum einen etwas über ihre persönlichen Vorlieben. Auf der anderen Seite bezieht sie sich damit auf Material, das auch von anderen (bewusst oder unbewusst) gekannt wird und somit von den Betrachter/innen mit eigenen Vorstellungen gefüllt werden kann, ohne dass diese die damit verbundenen Fakten bis ins Detail kennen müssten.

Die Bezüge aus unterschiedlichen Bereichen verknüpft Winterling mit sensiblem Gespür für die Atmosphären und Geschichten der vorgefundenen Ausstellungsräume zu poetisch aufgeladenen Anordnungen. Im Falle der Ausstellung ...dreaming is nursed in darkness in der GAK bilden die Inschrift eines Stifterwappens am Gebäude der Weserburg, die ursprüngliche Bedeutung des Teerhofes als Ort für die mit dem Schiffsbau verbundenen Teerarbeiten im 15. Jahrhundert und die Explosion eines ebenfalls am Teerhof gelegenen Pulverturmes im 18. Jahrhundert die Ausgangspunkte für vielfältige, eigens für diese Gelegenheit entwickelte Arbeiten. Diese ortsspezifischen Elemente werden ergänzt von Hinweisen auf den französischen Existentialisten Jean Genet, die US-amerikanische Aktivistin Angela Davis und das Buch Epistomology of the Closet von Eve Kosofsky Sedgwick (in einer Wandschrift und in einer Collage) sowie immer wieder von dem unterschiedlich formulierten Interesse am Medium Film – von Fragestellungen nach gesellschaftlichen Außenseitern, geschlechtlich motivierten Machtstrukturen und der Bedeutung des Films also, die Winterlings gesamtes künstlerisches Schaffen begleiten.

So gibt etwa ein 16mm-Film eine brennende Wunderkerze in Nahaufnahme wieder, deren Funkenflug sich mit der historischen Begebenheit der Zerstörung des „Braut“ genannten, ehemaligen Pulverturmes am Teerhof verknüpft und auf die auch zerstörerischen Vorgängen wie Feuer und Explosion innewohnende Schönheit verweist. Verschiedene Skulpturen aus Teer, Federn und Muscheln sowie ein weiterer 16mm-Film, der farblich changierende Federn in einer leichten, tänzerischen Bewegung in einem dunklen Raum zeigt, rekurrieren auf die Namen gebende Historie des Teerhofes und die Situierung der GAK auf einer Insel. Ebenso aber spielen sie auf das im Mittelalter gebräuchliche „Teeren und Federn“ als Straf- und Foltermaßnahme an. Auch hier steht die ästhetische Schönheit der Motive in eigentümlichem Widerspruch zu den Vorstellungsbildern, die ihre Geschichte hervorzurufen im Stande sind. Das solche Vorstellungen unterstützende und mit dem Teermaterial verbundene Schwarz zieht sich prägend durch die Erscheinung der gesamten Ausstellung – in Rahmen, Foto- und Filmhintergründen, spiegelnden Plexiglasscheiben, Wänden oder den glänzenden Stoffbahnen, die den lang gestreckten Raum der GAK betonen und somit den vor der Tür liegenden Weserburgtunnel doppeln. Es verknüpft sich darüber hinaus mit den 16mm-Filmen zu variationsreichen Anspielungen auf die Gattung Film – dem Medium, das für Winterling wesentliche Charakteristika der schöpferischen Bildfindung in sich vereint: Schwarze Stoffbahnen und Wände erinnern an Zelluloidstreifen, weiße Kegelformen auf der Wand simulieren den Lichtkegel eines Filmprojektors und Licht aus dem Außenraum fällt durch Löcher in dem die Fensterfront verhängenden Stoff auf dunkel spiegelndes Plexiglas, das so zum Träger eines sich aus Licht und Dunkel ergebenden Bildes aus Innen- und Außenraum wird.

Die im Innenraum angeordneten Ausstellungselemente werden von zwei Arbeiten im Außenraum ergänzt: zum einen von einer Audioinstallation, die die zugige und enge Tunnelsituation vor dem Eingang der GAK mit einem Geräusch eines stürmischen Windes so folgerichtig ergänzt, dass sie den Wenigsten als künstlerischer Eingriff bewusst werden wird. Außerdem findet sich ein modifiziertes Abbild der über dem Tunneleingang der Weserburg angebrachten Wappeninschrift. Es verändert die ursprüngliche Formulierung vom „männlichen festen Wollen“ in ein „weibliches festes Wollen“ und weist damit einmal auf die Absurdität hin, die solchen geschlechtermäßigen Zuschreibungen von Charaktereigenschaften zugrunde liegt. Zum anderen verdeutlicht es die Verbreitung von anachronistischen, männlichen und weiblichen Konnotationen, die sich bis heute durch unsere Sprache ziehen und die Frage nach gesellschaftlichen Machtstrukturen stellen.

Das historische Wappen im Außenraum wird von einem Zitat des Existentialisten Jean Genet konterkariert, das nicht nur der gesamten Ausstellung in der GAK den Titel gibt, sondern sich auch als Inschrift innerhalb der Präsentation wieder findet („A man must dream a long time in order to act with grandeur, and dreaming is nursed in darkness“). Auf diese Weise fungiert der Ausstellungstitel ebenso als Bindeglied zwischen den einzelnen Elementen der Präsentation wie die zahlreichen spiegelnden Oberflächen – in dem Gedanken, dass sich Träume nicht nur aus dem Licht und dem Positiven speisen, sondern ebenso aus der Dunkelheit erwachsen können, sich Größe („grandeur“) nur entwickelt, wo die Auseinandersetzung auch mit den gewaltsamen Aspekten der Dinge zugelassen und der Schönheit ihre dunkle Seite zugestanden wird.

Susanne M. Winterling (geb. 1970) lebt in Berlin. Nach Teilnahmen an internationalen Gruppenausstellungen wie der Berlin Biennale 2008, am Museum für Gegenwartskunst Basel oder an der Kunsthalle Malmö sowie Solopräsentationen in Wien, St. Louis und Tokio ist die Präsentation in der GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst ihre erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland.

Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Badischen Kunstverein Karlsruhe. Die Ausstellung von Susanne M. Winterling wird unterstützt durch die Zimmerei Hermann Frese, Bremen.

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Susanne Winterling
... dreaming is nursed in darkness
Kurator: Janneke de Vries