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Eröffnung Sonntag, 14. Oktober, 20 Uhr

Der Kunstverein Hannover präsentiert die bislang umfassendste Ausstellung des holländischen Künstlers Mark Manders (*1968) in Deutschland. Im Rahmen einer speziell für die Räume entwickelten skulpturalen Setzung ermöglicht die Präsentation der zwischen 1990 und 2007 entstandenen Arbeiten einen umfangreichen Einblick in eine der markantesten und eigenständigsten Positionen innerhalb der zeitgenössischen skulpturalen Praxis. Mit seinen Ausstellungen bei der XXIV. Biennale in São Paulo (1998), der Biennale in Venedig (2001) und der Documenta (2002) erlangte Manders internationale Aufmerksamkeit.

Seit Ende der 1980er Jahre entwickelt Mark Manders unter dem Titel Self-Portait as a Building installativ-skulpturale Arbeiten, die als Fragmente eines Selbstporträts zugleich Bestandteil eines imaginären Gebäudes sind. Dieser konzeptuelle Entwurf des Ichs als Architektur, dessen Struktur in unterschiedlichen Grundrissen festgehalten wird, führt zu einer künstlerischen Praxis, die Skulptur als präzise räumliche Materialisierung von Gedanken und Empfindungen begreift. „Mich interessiert der Augenblick, in dem der Unterschied zwischen dem Denken und den Objekten des Denkens entfällt, und die Tatsache, dass diese Objekte mein Denken ausrichten“, so Mark Manders. Dabei bezieht sich das Selbstporträt in gleichem Maße auf den realen Mark Manders wie auf das von ihm konstruierte, fiktive Ich. Dieses in Mark Manders’ Gedankengebäuden gleichzeitig an- und abwesende Ich erzeugt eine eigentümliche Kippsituation zwischen einer traumlogischen Ferne der Arbeiten und ihrer unmittelbaren realen Präsenz. Wie surreale dreidimensionale Bilder gruppieren sich maschinen- und fabrikähnliche Konstellationen, umgebautes Mobiliar, modellierte oder gegossene Mensch- und Tierskulpturen um eine Fülle alltäglicher persönlicher Gegenstände zu einer Objektwelt, die den Betrachter in die rätselhaften Strukturen des Selbst verstrickt.

Inhabited for a Survey (First Floorplan from Self-Portrait as a Building) aus dem Jahre 1986 zeigt einen der ersten Grundrisse des mentalen Selbstporträts. Der aus einer Vielzahl unterschiedlicher Schreibgeräte hergestellte architektonisch konstruierte Körper lässt sich sowohl als innerer Bauplan wie auch als doppelköpfiges Wesen ohne Gliedmaßen lesen. Dabei ist die Statik des Grundrisses ebenso wie die Torsohaftigkeit des Körpers bezeichnend für die in Manders’ Arbeiten vorherrschende melancholische Atmosphäre einer stillstehenden wie eingefroren wirkenden Zeit. Zugleich verweist die Benutzung von Schreibgeräten – als Bindeglieder zwischen Objekt und Sprache – geradezu programmatisch auf die Bedeutung der Sprache in Manders’ Werk, das Gedanken beziehungsweise Begriffe in skulpturale Konstellationen übersetzt. Auch die Struktur des Werks ist mit der eines Satzbaus vergleichbar, der aus wiederkehrenden Worten immer neue Inhalte bildet. In Finished Sentence (1998–2006) ist aus dem Gebäudeplan von Manders’ erster richtungsweisender Arbeit eine Art Schaltplan aus dicken Metalldrähten geworden, an dessen Seiten sich sorgfältig aufgereihte Teebeutel befinden. Man spürt fast körperlich, wie die Energie, die durch die Drähte fließt, von den kleinen poetischen Teebeuteln gespeist und in eine Art Trichter entladen wird.

Charakteristisch für Manders’ Vorgehensweise ist das collagenartige Zusammenfügen unterschiedlicher, ihrer eigentlichen Funktion enthobener Gegenstände, die er in einem eigenwilligen System arrangiert. Nicht selten werden die meist handgefertigten, sorgfältig platzierten Objekte durch Schnüre, Drähte, Rohre und Hölzer miteinander verbunden und in Balance gebracht. Die Präzision seines künstlerischen Verfahrens zeigt sich auch in der Verkleinerung vieler Arbeiten auf 88 Prozent ihrer ursprünglichen Größe. Mit diesem hauchfeinen, gerade noch wahrnehmbaren Verschiebungs-akt rückt Manders seine Konstellationen nur so weit aus der Normalität heraus, dass sie beides sind: Modell ihrer selbst und eigene Wirklichkeit, was dazu führt, dass die Szenen als vertraut und gleichzeitig als fremd wahrgenommen werden.

Die Erschaffung eines imaginären Raums vergleicht Manders mit der Herstellung eines weißen Blattes Papier. „Man kreiert Raum zum Denken.“ Das Zeichnen selbst wiederum lässt sich als Untersuchung des Denkens verstehen. Das vom Bildmotiv aus akkurat auf den Fluchtpunkt hingezogene Linienbündel in der Reihe Drawing with Vanishing Point vermittelt den Eindruck, als sei die Zeichnung von diesem Fluchtpunkt aus projiziert worden, und zwar als selbstständige, aus den Tiefen des Zeichenblattes heraus-gewachsene Gedankenmanifestation. So wie der Architekturplan die Komplexität des Ichs in eine plane geometrische Struktur übersetzt und damit auf die Differenz zwischen dem eigentlichen Subjekt und der von ihm entworfenen Projektion verweist, verdeutlicht auch die Zeichnung ein weiteres Mal die konzeptuelle Transformierung des Ichs zu einem Anderen. Indem Manders dieser Logik folgt, verleiht er dem Persönlichsten durch die unmittelbare Präsenz der Dinge eine Gestalt, die zugleich als konzeptueller Entwurf allgemeine Gültigkeit erlangt.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog bei Hatje Cantz: Herausgegeben von Stephan Berg (Kunstverein Hannover), Philippe Van Cauteren (S.M.A.K., Gent), Mirjam Varadinis (Kunsthaus Zürich) und Solveig Ovstebo (Bergen Kunsthall), 2007. Mit Texten von Stephan Berg, Douglas Fogle, Mirjam Varadinis und Mark Manders. Broschur, 20 x 27,5 cm, 280 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen. Englisch, mit Anhang Deutsch und Holländisch, ISBN 978-3-7757-2031-1.