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THE ART OF RECOLLECTING
Eine Ausstellung aus dem Bestand der Sammlung Hildebrand
07.02.2018 - 21.05.2018
Ausstellungseröffnung: Mittwoch, 07.02.2018 15:00 – 20:00 Uhr

Mit Werken von Norbert Bisky, John Bock, Andrea Bowers, Birgit Brenner, Birgit Dieker, Martin Groß, Gregor Hildebrandt, Rebecca Horn, Thomas Kiesewetter, Jonathan Meese & Herbert Volkmann, Bastian Muhr, Marcel Odenbach, Daniel Richter, Stefan Vogel und Amelie von Wulffen.

Wiederholung und Transformation sind zentrale künstlerische Prinzipien. Schöpferische Ideen werden stets auf der Basis von bereits Bestehendem oder in Anschauung, Wahrnehmung und Reflexion der sichtbaren Welt entwickelt. Die Übertragung von Inhalten und Formen ist nicht einfach ein reproduzierender, sondern gestaltender Vorgang und damit essenzieller Bestandteil jeder kreativen Werkgenese. Der Begriff recollecting aus dem Ausstellungstitel bezieht sich auf den Prozess der Erinnerung, der sich in der Ansammlung und Neuanordnung von Ideen und Motiven aus dem Gedächtnis vollzieht.

Die Ausstellung zeigt eine Auswahl an künstlerischen Positionen aus dem Bestand der Sammlung Hildebrand, die individuelle und kollektive Gedächtniskraft thematisieren oder Beziehungsgeflechte erinnerter Orte und seelische Zustände reflektieren. Ein monumentaler, gemalter Kopf von Norbert Bisky (Malandro, 2017) führt in die Ausstellung und verharrt zwischen Fiktion, Flucht ins Vergessen und Rückzug ins tiefste Innere.

Platon schreibt, dass alles Lernen Wiedererinnerung sei, wobei er präzisiert, dass reine Wissensaufzeichnung (Schrift) nicht den Akt des Erinnerns ersetzen könne. Auch Aristoteles macht deutlich, dass Erinnerung nicht das Vorhandensein von Informationen im Gedächtnis im Sinne einer Datenkopie darstelle, sondern dass es sich um eine Form von Bewusstseinswerdung mit dem entscheidenden Faktor der zeitlichen Differenz zwischen Subjekt und Objekt handelt. Man könnte auch sagen, es bedarf der »lebendigen«, also menschlichen Erinnerung und einer gewissen Distanz, um Wissen zu animieren, zu reflektieren, zu verarbeiten und weiterzuentwickeln. Versteht man Gedächtnis als Sammlung von Erinnerungen, fungiert Kunst analog dazu als Speicher komplexer Ideen und Zusammenhänge, die vom Betrachter aktiviert werden müssen, um sich entfalten zu können.

Nachdenken ist Widerspiegelung und hat demnach mit Rückverfolgung zu tun. Viele der ausgestellten Werke eint die Weiterverarbeitung von gebrauchten oder gefundenen Materialien, die in eine neue Künstlichkeit übertragen werden. Die US-amerikanische Künstlerin Andrea Bowers verwendet für ihren Papillon Monarque (2014) ausgediente Pappe als Bildträger, auf den mit schwarzem Marker ein Schriftbild aus den Worten »Education Not Deportation« aufgebracht ist. Bowers rüttelt in ihrer künstlerischen Praxis permanent Erinnerungen wach, um diese ins Bewusstsein zurückzuführen und dort dauerhaft zu verwahren. Auf diese Weise verbinden sich in Ihrem Werk Geschichte, Gegenwart und Zukunft mit Erkenntnis.

Marcel Odenbach verwertet für seine großformatige Collage Abgelegt und Aufgehangen (2013) farbige Zeitungs- und Papierschnipsel, während Amelie von Wulffen mithilfe von Malerei und Zeichnung persönliches Fotomaterial in eine neue Raum- und Denkstruktur überführt. Bei Stefan Vogel sind es Kopien und Papierfragmente unter Garn, die ein Netz aus Erinnerungen und Beziehungen entstehen lassen. Thomas Kiesewetter recycelt für seine Skulptur Blue Violet (2008) altes Blech und John Bock kombiniert verschiedene Materialien – darunter auch kleine Alltagsdinge, Verpackungen und Gebrauchsgegenstände wie Wattestäbchen oder Cocktailspieße – zu wunderkammerähnlichen Miniaturassemblagen.

Rebecca Horns Schmetterling (2006) bewegt seine schillernden Flügel im immer gleichen mechanischen Rhythmus begleitet vom leisen Surren des Motors. Als beseelte Apparatur veranschaulicht das Zwitterwesen aus Natur und Technik die Metamorphose vom Tod zum Leben, denn seit der Antike symbolisiert der Schmetterling die wandernde Seele (Psyche). Die Künstlerin schuf damit ein zugleich fragiles wie kraftvolles und poetisches Sinnbild, in dem Begriffe wie Transformation, Auferstehung, Konservierung, Unsterblichkeit und Eros zu einer dichten Formel verwoben sind.

Alle in der Ausstellung versammelten Werke sind technisch raffiniert und zeugen dennoch vom Prinzip menschlicher Fehlerhaftigkeit, die das Potential zu Weiterentwicklung und Vielfalt in sich birgt. So zeichnet Bastian Muhr im repetierenden Rhythmus Liniengeflechte. Seine Aufzeichnungen unterliegen zwar dem Prinzip der Wiederholung, aber erst die Variation versetzt das Linienbild in Schwingung. Man könnte schlussfolgern, jedes Kunstwerk reflektiere die ihm eingeschriebenen Verbindungen und Beziehungen, offenbare gewissermaßen seine Herkunft und bilde auf diese Weise eine Art Substrat für menschliche Erinnerungsprozesse.

Text: Anka Ziefer