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Die Ausstellung „The Making of Art“ bietet einen Blick auf das Beziehungsgeflecht der zeitgenössischen Kunst, in dem das Dreieck von Künstler, Kunstwerk und Betrachter längst um ein Vielfaches erweitert worden ist. Nicht selten beeinflusst das Verhältnis zwischen Künstler, Sammler, Galerist, Kurator oder Kritiker den Inhalt der Arbeiten, zunehmend wird dies auch abgebildet: In einem großen Überblick von den 1960er-Jahren bis heute präsentiert die Ausstellung Positionen von Künstlern wie John Baldessari, Joseph Beuys, Tracey Emin, Peter Fischli/David Weiss, Ryan Gander, Christian Jankowski, Louise Lawler, Jonathan Monk, Nedko Solakov, Mladen Stilinović, Andy Warhol/Jean-Michel Basquiat oder Ai Weiwei. Diese Künstler reflektieren den immer aufwändiger werdenden Betrieb, hinterfragen die Kriterien der Kunst, werfen Blicke auf ihre Verfahren, die Institutionen als Orte und beleuchten die vielfältigen Beziehungen und Netzwerke. Anhand von rund 150 Gemälden, Zeichnungen, Objekten, Installationen und Videos thematisiert die Ausstellung in einer Zeit des Umbruchs, wie wir sie gegenwärtig erleben, das komplexe System der Kunstwelt.

In einer Arbeit von 1972 beschreibt Jörg Immendorff seinen Traum vom Künstlersein: „Ich wollte Künstler werden: ...“, betitelt er sein Selbstporträt. In einer romantischen Vision zeigt Immendorff sich vor einer Staffelei sitzend auf einem Dachboden. Bei Mondlicht und brennender Kerze gibt er den „armen Poeten“ als Maler, als sei er von Spitzweg. In dieser bewusst pathosbeladenen Maleridylle begegnen wir vertrauten Vorstellungen, die lange das Bild oder die Idee vom Künstler als jenseits der Konventionen stehenden Bohemien bestimmten, der nur der Verwirklichung seiner Visionen, seinem Genie folgt. Eine Idee, die heute nur noch als Karikatur Eingang in die Kunst findet: Jonathan Monk ironisiert Sigmar Polkes „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“, wenn er die Ecke schließlich pink, blau und lila hinterlässt.

Mittlerweile hat sich der modellhafte Charakter der Künstlerexistenz auf weite Teile der Gesellschaft ausgebreitet: Glaubt man neueren soziologischen Studien, so hat eine Demokratisierung der Werte Kreativität, Freiheit und Authentizität längst stattgefunden. Heute will jeder einzigartig und innovativ sein. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, hatte in den 1960er-Jahren Joseph Beuys ebenso revolutionär wie provokant behauptet und die antikapitalistische Gleichung „Kreativität = Kapital“ aufgemacht. Inzwischen stehen die Künstler scheinbar nicht mehr in Opposition zur Gesellschaft, sondern sind mitten in ihr angekommen.

Gegenwärtig kristallisiert sich das Bild vom Künstler als Netzwerker heraus. Die Modelle der Kooperation sind vielfältig: So finden sich vier polnische Künstler immer wieder als Kollektiv Azorro zu gemeinsamen Filmproduktionen wie „Portrait with a Curator“ zusammen. Die Künstlergruppe Chicks on Speed arbeitet in unterschiedlichen Konstellationen mit wechselnden Protagonisten zusammen. Das Produkt kann wie „Art Rules!“ eine Performance sein, ein Film oder ein Musikstück. Der schottische Konzeptmaler Peter Davies hält dieses „Wer-mit-wem-wann-und-Warum“ der Kunstwelt in monumentalen, nahezu unüberschaubaren Kartografien fest. Tatsächlich steht die Welt der zeitgenössischen Kunst der arbeitsteiligen Industrie der Filmbranche näher als dem romantisch einsamen Atelier des genialisch inspirierten Künstlers. So mancher Künstler begegnet uns als mittelständischer Unternehmer. Die Trias von Künstler, Werk und Betrachter ist seit Langem aufgebrochen. Die Arbeiten, die den immer komplexer werdenden Apparat spiegeln, bilden heute beinahe ein eigenes Genre, eine spätmoderne Tradition, die von den Anfängen in den 1960er-Jahren bis heute reicht.

Die 1960er-Jahre markieren auch den Beginn des institutionskritischen Kunstwerks. Es entstehen Interventionen, Werke und Objekte, die das Verhältnis zum eigenen Kontext erstmals direkt thematisieren. Im Zuge der gesellschaftlichen Umwälzungen opponieren die Arbeiten selbst gegen ihren Warencharakter. Indem Piero Manzoni in seiner 1961 geschaffenen Arbeit „Merda d’artista“ 90 Konservendosen mit seinen Exkrementen füllt, dehnt er auf spektakuläre und anarchische Weise den Begriff des Kunstwerks ins beinahe Unendliche aus. Die Arbeit operiert mit der Überhöhung des Künstlers und ist zugleich eine provokante Geste gegenüber dem Kunstmarkt. In den späten 1970er- und beginnenden 1980er-Jahren folgt eine zweite Welle der Institutionskritik, ohne die die Kunst seit den Achtzigerjahren kaum verstanden werden kann. Der Kontext des Kunstwerks wird zum zentralen Thema einer ganzen Reihe von Arbeiten von Künstlern und vor allem von Künstlerinnen, in denen institutionelle Funktionen und Grenzbereiche der Kunst erkundet werden. Louise Lawlers Thema ist der erweiterte institutionelle Rahmen des Kunstwerks. Dabei widmet sie sich auch dem Museumsraum, den sie als hehren Raum der Hochkultur entmystifiziert. Sie zeigt die Vorbereitungen einer Ausstellung, das Museum erscheint so nicht als finite Form, sondern als ein Kontext unter vielen. Auch Candida Höfer fotografiert Museums- und Ausstellungsräume, die sie leer, in der Erwartung ihrer Benutzung oder nach dem Verlassen der Besucher präsentiert. Hinter der Schauseite interessiert Höfer die andere Seite dieser Kunstwelt. Das Museum of Modern Art in New York zeigt die Künstlerin aus dem Blickwinkel der Insiderin, nicht als Ort der Repräsentation von Museumskunst: Im Olymp wird gearbeitet. Die russischen Konzeptkünstler Komar & Melamid gehen noch einen Schritt weiter: In ihrer Serie „Scenes from the Future“ zeigen sie das Museum of Modern Art und das Guggenheim Museum in New York nur noch als Ruinen in einer pastoralen Idylle. Andere Symptome der Dekadenz jenseits des Museums, das in der jüngsten Zeit seine führende Rolle an Privatsammler und Kunstmessen abzugeben drohte, haben Fotochronisten von Martin Parr bis Jessica Craig-Martin dokumentiert und die Party-People auf Kunstmessen wie der Frieze in London, die Spaßgesellschaft auf der Art Basel Miami Beach und den Glamour auf der Art Dubai festgehalten.

Während die zweite Welle der Institutionskritik ihr Zentrum in New York hatte, sind solche geografischen Filter heute nahezu obsolet geworden. Die Kunstwelt scheint globalisiert oder zumindest multizentrisch organisiert zu sein, und so begegnen einander Positionen aus Düsseldorf und Peking, London, Kinshasa, von den Philippinen und aus Zürich, Glasgow oder Moskau. Der in Bukarest arbeitende Künstler Dan Perjovschi karikiert in seinen Wandzeichnungen den Kunstbetrieb. Sein bulgarischer Kollege Nedko Solakov fühlt mit seiner großen Installation „Leftovers––a selection of my unsold pieces from a private gallery I work with“ der Kunstwelt gleichermaßen hintergründig wie ironisch auf den Zahn, indem er seinen Erfolg und sein Werk als Überbleibsel thematisiert. Der chinesische Künstler Ai Weiwei filmt den Besuch des Internationalen Beirats des Museum of Modern Art in seinem „entlegenen“ Atelier in Caochangdi mit versteckten Überwachungskameras und präsentiert die Unterhaltungen dem weltweiten Publikum in Form einer Videoinstallation. Mladen Stilinović spielt mit den Parametern des Erfolgs und ruft der (immer noch westlich dominierten) Kunstwelt plakativ entgegen: „An Artist Who Cannot Speak English Is No Artist“. Der Moskauer Konzeptualist Yuri Albert stellt schelmisch ein kleines Malermännchen auf den Kopf und stellt fest: „I Am Not Baselitz!“. Am Ende ist es vor allem die Ironie und die Subversion, mit denen sich der Künstler von heute zwischen den Polen von Museum und Markt, Erfolg und Krise, Romantik und Realismus bewegt.

KÜNSTLERLISTE: Yuri Albert, Pawel Althamer, Azorro, John Baldessari, Tina Barney, Tamy Ben-Tor, Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Stefan Brüggemann, Chris Burden, Chicks on Speed, Anetta Mona Chişa & Lucia Tkáčová, Claire Fontaine, Clegg & Guttmann, Phil Collins, Jessica Craig-Martin, Peter Davies, Jiří Georg Dokoupil, Michael Elmgreen/Ingar Dragset, Tracey Emin, Dan Fischer, Peter Fischli/David Weiss, Andrea Fraser, Ryan Gander, Dieter Hacker, Candida Höfer, Bethan Huws, Jörg Immendorff, Christian Jankowski, Martin Kippenberger, Komar & Melamid, Jeff Koons, Sean Landers, Louise Lawler, Marcin Maciejowski, Piero Manzoni, Jonathan Monk, Dave Muller, Manuel Ocampo, Martin Parr, Dan Perjovschi, Raymond Pettibon, William Powhida, Tom Sachs, Chéri Samba, Nedko Solakov, Mladen Stilinović, Thomas Struth, Goran Trbuljak, Andy Warhol & Jean-Michel Basquiat, John Waters, Ai Weiwei

KATALOG: The Making of Art. Herausgegeben von Martina Weinhart und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten von Amanda Coulson, Renate Goldmann, Wolfgang Ullrich und Martina Weinhart. Deutsch-englische Ausgabe, 240 Seiten, 241 Abbildungen, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2009, ISBN 978-3-86560-586-3.