press release only in german

In den letzten Jahren hat in der zeitgenoessischen Kunst eine verstaerkte Hinwendung zum Dokumentarischen stattgefunden. Ausstellungen, wie die Documenta11 oder True Stories am Witte de With in Rotterdam, Vortragsreihen, wie Dokumentarische Strategien in der Kunst am MUMOK in Wien und zahlreiche Biennalen, wie die Manifesta 5 praesentierten eine steigende Anzahl dokumentarischer Werke, ueber deren spezifischen Charakter nur selten reflektiert wurde. Zahlreiche Filme und Videoinstallation, ebenso wie Fotografien und Werke der Konzeptkunst orientieren sich einerseits am Lebensalltag, versuchen sowohl sozial- und kulturpolitische Ereignisse, historische Rueckblicke, wie auch private Momente dauerhaft und mit einem Aufklaerungsanspruch festzuhalten. Andererseits untersucht eine zweite Stroemung des Dokumentarischen in selbstreflexiver Weise ihre eigenen Mittel als sozial konstruiert.

Der begrifflichen Bestimmung des Dokumentarischen entspricht der juristische Diskurs, welcher im Dokument eine Beglaubigung bzw. ein Beweismittel fuer Wahrheit erkennt. In vergleichbarer Weise steht hinter der zeitgenoessischen dokumentarischen Kunstproduktion der Anspruch nach Objektivitaet und Wahrheitstreue; der Versuch, so nahe wie moeglich an die Realitaet heranzukommen und die Absicht, die Art und Weise der Entstehung eines Werkes offen zulegen. Die Bezeichnung dokumentarisch kann fuer ein visuelles, textuelles oder akustisches Erzeugnis angewendet werden. Das Dokumentarische vereint Gegensaetzliches: Politisch/OEffentliches sucht ebenso nach dokumentarischen Mitteln wie Privat/Intimes.

Die Selektion der in der Ausstellung gezeigten Beitraege fokussiert auf Werke, die nach einem dokumentarischen Zugang zur Formulierung ihrer Inhalte verlangen. Nicht beruecksichtigt sind Arbeiten, in denen das Dokumentarische lediglich Abbildung einer Aktion oder einer Performance ist. The Need to Document versucht sowohl die Hintergruende, die das Dokumentieren bestimmen, als auch die Themenschwerpunkte und das Anliegen, welches eine dokumentarische Haltung auszeichnet, aufzuzeigen; die Ausstellung sucht und untersucht das genuin Dokumentarische, also jenes Charakteristikum, welches sich in seiner Form als ontologisch unveraenderbar formuliert.

Zu den KuenstlerInnen: Das Tryptichon “TIMETABLE OF HISTORY" von Edgar Arceneaux nimmt dokumentarisches Material zum Ausgangspunkt. Die Zeichnungen vermitteln seine Sichtweisen auf historische und aktuelle Ereignisse, philosophische Erkenntnisse und physische Prozesse. Arceneaux untersucht sowohl das individuelle als auch das kollektive Gedaechtnis, indem er Elemente aus seiner alltaeglichen Umgebung und seinem persoenlichen Hintergrund mit Auszuegen aus Literatur, Geschichte, Film und Musik verbindet.

In der fotografischen Serie “Vitrinen in Arbeit" führt Kaucyila Brooke ihre Untersuchung über Landschaft und Architektur als kulturell determinierten sozialen Raum fort. Das Naturhistorische Museum in Wien wurde kuerzlich, und das erste Mal seit 1889, unter dem Gesichtspunkt der Besucherfreundlichkeit und der Museumspaedagogik weitraeumig umgestaltet. In der Phase der Restrukturierung sind die hier gezeigten Fotos entstanden, die ueber das entleerte Museum einen Einblick in die Fuelle der Sammlung und der dahinter stehenden konzeptionellen Ausstellungsmoeglichkeiten bieten.

Duncan Campbell griff fuer die Dokumentation “Falls Burns Malone Fiddles" ueber Jugendliche in West-Belfast auf Material aus zwei Fotoarchiven in Belfast zurueck. Vor dem Hintergrund des lose aneinander gefuegten Ausgangsmaterials verstrickt sich der Erzaehler in die divergierenden Rhetoriken der Jugend- und Unabhaengigkeitspolitik sowie in formale Fragestellungen ueber die Moeglichkeiten und Einschraenkungen des Dokumentarfilm als Genre, das immer auch als fiktional angesehen werden kann.

Im Mittelpunkt der Videoinstallation “712 Interviews?" von Laura Horelli stehen kommunikative Beziehungsformen in oeffentlichen, medialen und psychischen Raeumen. Die Kuenstlerin verknuepft dokumentarisches Material mit eigenen Bildern und Informationen. Horelli arbeitet mit dem Prinzip der Montage, um die Realitaet der “offiziellen" Bilder und Botschaften aus der Politik, den Medien und der Wirtschaft mit Wahrnehmungen aus persoenlicher Perspektive zu konfrontieren.

KLUB ZWEI stellt aktuelle gesellschaftspolitische Themen bzw. die Mittel, mit denen diese in Film und Fernsehen repraesentiert werden, in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Es geht ihnen in “Schwarz auf Weiss - Die Rückseite der Bilder" um eine kritische Reflexion medialer Darstellungsweisen und um eine Intervention in diese. Denn die Moeglichkeit zu gesellschaftlicher Veraenderung haengt u. a. von den Repraesentationspolitiken ab, die sie begleiten.

Jiri Skala / Mark Ther benutzen in “Microfiltration" ein alltaegliches und gleichzeitig sehr fluechtiges Medium, um ihre Idee von Erinnerung und Dokumentation zu verwirklichen. Sie sammeln Staub von verschiedenen Orten und praesentieren diesen im Ausstellungskontext. Diese subtile Art der Spurensicherung fasst die Vergangenheit in etwas Greifbares, was zwar materiell erkennbar aber nicht mehr interpretierbar ist. Die Vorstellung dessen, wovon der Staub zeugt muss zwangslaeufig abstrakt bleiben.

In “Kollaborationen mit Unbekannten 2005" interveniert Ella Ziegler in das alltaegliche Leben und findet durch eingehende Beobachtung ein spezielles Abbild ihrer Umgebung. Das Geschehene und Erlebte wird durch Abbildungen und Aktionsbeschreibungen dokumentiert. Thema ist die urbane Alltagskultur, deren Bedeutung und der Umgang mit ihr. Sie machen das Bekannte zum Unbekannten.

Pressetext

only in german

THE NEED TO DOCUMENT
Ein Projekt von Vit Havránek, tranzit, Prag; Sabine Schaschl-Cooper, Kunsthaus Baselland, Muttenz/Basel und Bettina Steinbruegge, Halle fuer Kunst eV, Lueneburg

mit Edgar Arceneaux, Kaucyila Brooke, Duncan Campbell, Laura Horelli, Klub Zwei, Jiri Skala / Mark Ther, Ella Ziegler

02.04.05, 19:00 h Eroeffnung mit einer Performance von Jiri Skala / Mark Ther um 20:30 h

Stationen:
19.03.05 - 01.05.05 Kunsthaus Baselland, Muttenz
03.04.05 - 29-05.05 Halle für Kunst Lüneburg