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Eröffnung: 22.06.2007, 19.00-21.00

HELLLICHT

Le Bon Dieu est dans les détails. Gustave Flaubert

Zum Neujahr 1611 machte Johannes Kepler einem Freund und Förderer ein ungewöhnliches Geschenk: Schnee. Da er glaubte, ihm müsse eine Gabe umso lieber und willkommener sein, je mehr sie dem Nichts nahe kommt, da er das Nichts liebe, jedoch gewiss nicht wegen seines geringen Wertes, vielmehr des Spieles halber, das man damit treiben kann. Dieses beinahe Nichts zeigte sich Kepler bei Schneefall in sechseckigen gefiederten Schneesternchen, und das aus der Beobachtung dieser Sternchen entsponnene Spiel zeichnete er auf in seiner Schrift Strena seu de Nive sexangula. Kepler führt darin die Naturauffassung der Aristotelischen Metaphysik weiter; der Prozess des Werdens und Vergehens vollzieht sich in einer zur Natur der Dinge gehörigen Bewegung, die ewig ist, ohne Anfang und Ende. Die Liebe zum Nichts angesichts einer Ewigkeit von Werden und Vergehen richtet sich auf den Augenblick, richtet sich auf etwas, das eben noch nicht war und schon gleich nicht mehr sein wird. Das beinahe Nichts, das Kepler seinem Freund zum Geschenk machte, trägt die Signatur der Vergänglichkeit ebenso wie die der Ewigkeit. Keplers Geste lässt sich im Kontext einer Ästhetik des Ephemeren lesen, wie sie in der Kunst des Barock virulent ist.

Gläserne Kugeln und Blasen, Blumen, Insekten, Wasser und Tautropfen waren Motive des Ephemeren in den nature morte und Vanitas Darstellungen, Spiegel der Zeitlichkeit und des Nichts. Im Flirt zwischen Frau Mode und Herrn Tod schien die Zeit zwischen Erscheinen und Verschwinden auf, die von Saturn regierte Zeit. Bis in die frühe Moderne stand das Ephemere vornehmlich im Zeichen der Melancholie. Einer Melancholie, die Schwere hervorbrachte, Zerstörung und Wahnsinn, oder aber die Leichtigkeit luftiger flüchtiger Erscheinungen. Das Fliehende und Transitorische verhieß je schon Transparenz und Leichtigkeit. Doch erst mit Überwinden der Melancholie gewinnt das Ephemere seine neue Qualität. Die Schwere des Geistes besiegend, tanzt Nietzsches Zarathustra über sich selbst hinweg: Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, jetzt tanzt ein Gott durch mich. Die Akzentuierung des Ephemeren in der Kunst heute heißt, dass man frei ist vom okzidentalen a priori der Schuld und des Schmerzes. Heiligung des Lachens. Sturz in die Höhe.

Von Kasimir Malewitsch zu Yves Klein und Lucio Fontana durchzieht eine Strömung positiver Aufladung des Ephemeren die Kunst des 20. Jahrhunderts. In deren jüngster Linie findet sich die Malerei von Thilo Heinzmann. Die ins Immaterielle weisende Leichtigkeit und Transparenz seiner Bilder rührt her von der spezifischen Geschwindigkeit seiner Arbeitsweise sowie von den zum Einsatz gebrachten Materialien.

Amorphe, meist anorganische, mineralische, kristalline oder teilkristalline, transparente, lumineszente und reflektierende Materialien lassen ein den Dingen immanentes Licht in der Wirkung ihrer Oberflächen sichtbar werden. Lichtreflexionen vibrieren in kompositorisch genau austarierten Zwischenräumen, Reflexionen von Kristallen auf opaker Fläche, Spiegelungen gläserner Splitter und Kugeln. Noch in kleinsten Intervallen scheinen Lichträume auf: im wasserlinien- oder wolkengleichen Moiré der Maserungen von Hölzern und Steinen, im vielfarbigen Funkeln und Schillern von Muschelschalen und Federn, zwischen den zitternden Härchen schimmernder Felle und Pelze. Die Malerei von Thilo Heinzmann besteht in hellstem Licht, einem Licht, das in vielfachen Brechungen und Reflexionen Licht aus Licht generiert. Anders als die Technik des Chiaroscuro, die Lichtflächen in Kontrastwirkung aus dem Dunkel hervortreten lässt, bringt Thilo Heinzmann in seinen Bildkörpern ein aus dem Licht strahlendes Leuchten zur Erscheinung. In dieser pulsierenden Materialität sichtbar wird das Vibrieren der Zeit. Der Moment zwischen es ist und es ist nicht mehr ist in Fallen des Lichts eingefangen und freigesetzt zugleich.

Erzielt wird die Leichtigkeit der Bildkörper von Thilo Heinzmann zudem in einer Dynamisierung der Oberfläche. Dem Aluminium in klar kalkulierten Schlägen beigebrachte Kuhlen, Klüfte und Krater sprengen den Bildhorizont. Der Blick wird aus seiner Verankerung gelöst, von der Schwerkraft befreit und beschleunigt. Diese den Bildern eingeschriebene Drift ist auch Spur des sich durch Schnelligkeit auszeichnenden malerischen Gestus von Thilo Heinzmann. Wie der Flug eines Pfeils auf seiner genau vorausberechneten Bahn nicht mehr umgelenkt oder abgebremst werden kann, nachdem der Bogen gespannt wurde und losgelassen ist, erlaubt seine Malweise keine Retuschen, kein Abschwächen oder Auslöschen. Voraussetzung dafür ist größte Sicherheit in der Handhabung und äußerste Genauigkeit in der Bearbeitung der Materialien sowie eine reiches Wissen um deren Beschaffenheit, Eigenschaften und Wechselwirkungen. In Anschlag kommt ein aufmerksames Auge. Aber auch ein Sehen, das in der Lage ist zu antizipieren. Der Blick des Malers, unter dem sich das Chaos in eine vielschichtige Ordnung verwandelt. Eine Hellsicht auch für Kontingenzen und Zwischenwelten. Und intuitives Wissen darum, woher den Dingen ihr Glanz zukommt. "[…] warum auf einem Tischtuch der Abglanz eines Glases gezittert hatte, warum die See ein einziger Lichtschimmer war […]" geht Vladimir Nabokovs Erzähler in Frühling in Fialta im Augenblick auf, in dem ihm Flüchtigkeit und Sterblichkeit zu Bewusstsein kommen im Licht eines überströmenden Leuchtens, in dem alles weiter und weiter wurde, sich auflöste, verschwand und verging. Thilo Heinzmanns Bildkörper aus Licht halten das Treibgut der Zeit in der Schwebe, in der Transparenz und Leichtigkeit, in der sich diese einzig spiegelt und zu erkennen vermag.

Maria Zinfert

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Thilo Heinzmann