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Regine Müller-Waldecks Skulpturen, Ensembles und Installationen sind zwischen konkreter Narrativität und abstrakter Vieldeutigkeit angelegt. Sie unternehmen den Versuch, Erfahrungen und Gefühle dingfest zu machen, die sich kaum benennen lassen.

Den Arbeiten geht stets eine intensive Auseinandersetzung mit Gemütszuständen – Verunsicherung, Trauer, Verletztheit aber auch das Gefühl von Leichtigkeit, Loslassen können oder plötzlicher Zuversicht – voraus, die zunächst auf einer theoretischen Ebene verbleibt. Auf der Suche nach einem „Destillat“, etwas „Essentiellem2 kristallisiert sich dann die jeweilige Form heraus. Auf wenige Elemente reduziert und mittels ausgesucht einfacher Konstruktion verbinden sie ihre materielle Präsenz mit hoher Assoziationskraft. Eine besondere Rolle spielt dabei der Einsatz bestimmter Materialien – Gips, Wachs, Holz, Stoff und zuletzt auch Metall werden aufgrund ihres imaginativen Potentials gewählt. Stofflichkeit, Haptik und visuelle Präsenz bieten so eine erste Zugangsmöglichkeit zu den Arbeiten. Typisch ist eine Verwendung konträr zu ihrer eigentlichen Zuschreibung – Gips und Wachs behaupten ihre Rolle als „Endprodukte“, Stoff erscheint als wehrhafter Panzer und Metall wird seiner Schwere enthoben. Mittels des gezielten Einsatzes der „malerischen Kraft“ ihrer Materialien gelingt Regine Müller-Waldeck die Rückbindung an ihre inhaltlichen Anliegen.

Wie dreidimensionale Bilder verhaken sich ihre Arbeiten direkt in der Wahrnehmung. Sie bewegen sich zwischen materiellen und emotionalen Begriffen und entziehen sich bei aller Suggestivität doch einer geradlinigen Festlegung.

Das in ‚TOMATENCASINO’ versammelte Ensemble neuer Arbeiten thematisiert die Konservierung nie umgesetzter, unerfüllter Wünsche und Träume, die – längst nicht mehr hinterfragt – gewohnheitsmäßig gepflegt werden. Wie erinnert man den vergeblichen Versuch, aus dem Leben den vollen Gewinn zu schlagen und die dafür eingegangenen Risiken? Helfen sie die innere Leere zu füllen und Begehren oder Verlangen vor der Realität zu schützen?

Die fünf Werke erscheinen bewusst zwischen überdimensionerter Modellanordnung, architektonischem Zitat und Materialcollage angelegt. Sie bilden dem Ausstellungstitel gemäß einen Parcours, den es abzu-schreiten gilt. Die Verschränkung verschiedener Materialien und Farbigkeiten, das Display von echter und künstlicher Patina bzw. Glanz und Stumpfheit entsprechen der Beziehung von Spiel und Ernst. Der Ausstellungsraum selbst wird in abstrakter Manier als „Casino“ thematisiert: so fungiert die zentrale Arbeit ‚Door’ als Grenze zwischen Hauptraum und dem sprichwörtlichen Hinterzimmer. Zwei gegeneinander verschobene rechteckige Metallkonstruktionen nehmen den gesamten optischen Raum ein, bleiben aber an einigen Stellen durchlässig. Elemente aus zu einer unklaren Materialität versteiften Textilien fokussieren den Blick weiter auf die Durchlässigkeit – statt auf den Raum dahinter. Das Spiel zwischen Gesamteindruck und Detail ist ein grundlegendes Element der Ausstellung. So sind die glänzenden Oberflächen von ‚Wound’ im Hauptraum offensichtlich brutal durchstoßen; das durch diesen Akt entstandene Farbspiel auf dem Material fällt erst bei genauem Hinsehen auf. Das entstandene Loch ermöglicht nun jedoch die Aufhängung der Objekte, ihre Präsentation und Aufbewahrung. Die Verlet-zung erscheint also notwendig, um einen Haken in der Erinnerung anzubieten und ihr überhaupt Bedeutung zu verleihen. Eine Referenz auf die im Ausstellungstitel anklingende Uneingelöstheit und Armseligkeit stellt die Arbeit ‚Morning Star’ dar. Der reich verzierte Pfosten eines gründerzeitlichen Treppengeländers schwebt, als seine eigene Replika aus verschiedenen Materialien gefertigt, auf Kopfhöhe in der Luft. In der großen Form einem Kronleuchter ähnlich, entpuppt sich die Arbeit jedoch als lediglich ein Bündel herausgetrennter Treppenstäbe, die sich, ihrer eigentlichen Funktion enthoben und nur provisorisch von der Decke abgehängt, als Drohgebärde entlarven. Aktion und Passivität scheinen sich hier die Waage zu halten.

Die Arbeiten erscheinen im gleichen Maße autark wie aufeinander bezogen zu sein. Dieses Motiv der Doppelung und Wiederholung taucht in Regine Müller-Waldecks Werk regelmäßig auf. Es handelt sich dabei um den Hinweis, dass die aktuelle Ausformung lediglich die Folge einer Erfahrung ist, und unter ähnlichen Umständen wieder ein ähnliches Ergebnis provozieren würde.

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Regine Müller-Waldeck
TOMATENCASINO