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The Emerging Artist Series by Will Benedict

Der Künstler und Kurator Will Benedict verbindet die Arbeiten einer jüngeren Künstlergeneration am Beispiel dreier Künstlerinnen Verena Dengler (geb. 1981), Sara Deraedt (geb. 1984) und Nadja Athanassowa (geb. 1982), mit Kunstwerken von Ed Ruscha, Frank Stella oder Ronald Bladen.

Periferien – Oder: Große Gesten und ihr Verpackungsmaterial

Kunst ist eben massentauglich. Wenn Kunst antritt, ihr Schaffen als genuin und ihren Alltag als wahrhaftige Exzentrik zu verkaufen – sei es durch Nonkonformismus, oder durch Populär–Avancen – immer dann, bereitet die Gesellschaft ihrem Formenfanatismus und ihren ästhetischen Obsessionen einen bodenständigen Weg zur Resozialisation. So haben es die verschworenen Avantgarden des 20. Jahrhunderts auf abgesessene Sofabezüge geschafft. So hängt das systemverweigernde Informell in den Arbeitszimmern der Politelite. Und genauso wurde die überzynische Pop–Art zum sozialen Mainstream gemacht, der virile Aktions– und Expressionsdrang in Posterform auch ins Mädchenzimmer gehängt, der Jugendstil in Comicästhetik aufs Kaffeeservice gestempelt, die strikt informative Display–Ästhetik für das Ambiente der Loungekultur zu Wissensbäumchen geformt. Gesellschaft hat es immer verstanden, die Oberflächen einer zu Erfolg gereiften Ästhetik zu kopieren, zu reproduzieren, und zu synthetisieren, sie dabei mit kleinen fortschreitenden Fehlern, Auslassungen, Zugaben zu versehen und so von der originären Bedeutung zu befreien. In der unüberschaubaren und massenhaften Repetition liegt also wahrscheinlich Freiheit. Oder ist das bereits Anarchie?

Auf der Einladungskarte zu "Periferien" steht der zweijährigen Verena Dengler der Zweifel ins Gesicht geschrieben. Hier ist zwar eine klassische Station der Künstlerwerdung festgehalten, die Situation entbehrt allerdings den Glauben an den dahinterstehenden Künstlermythos: "Holli Knolli" die Galionsfigur der Wiener Ferienkinderbetreuung wurde in die Szene collagiert. Seit nunmehr dreißig Jahren steht das Maskottchen für einen sozialen Raum, in dem Kreativität als basales menschliches Grundbedürfnis und damit als politischer Auftrag behandelt wird; und seit ebenso langer Zeit stattet dieses sozialistische Symbol die Sprengkraft der eigenen, individuellen Fertigkeiten mit einem Wirkungshorizont aus, der sich auf die Dimension einer Wiener Kartoffel mit Kulleraugen beschränkt. Holli Knolli steht also prototypisch für eine Stadtmentalität des Wohlstands in der die "unbegrenzten Möglichkeiten" jeder neuen Generation schon vordefiniert sind. Von Lutz Musner stammt der Hinweis, dass die Identitätsbildung des "Intellektuellen" und damit verbundene Ängste und Bedürfnisse, mit der "Masse" als konstitutives Gegenüber ausgehandelt werden (müssen). Letztlich steckt in der zweifelhaften Beziehung zwischen den spezifischen, inhaltsgeladenen Gesten des künstlerischen Alltags und der Geschmackskultur einer divergenten und doch paradox verschworenen Masse ein fröhlicher Abgesang auf die Vorzüge eines mythologisch aufgepeppten Künstlerideals.

Für ihr künstlerisches Interesse hat Verena Dengler jedenfalls die großen Künstlergesten auf ihre gezähmten Oberflächen in der Landschaft von Gebrauchsgegenständen festgesetzt. Zumindest geht sie von ihrem Gestaltungswert aus, der in Wohnzimmern, in VHS–Malkursen, in Metallwerkstätten, in Mädchenzimmern oder auf Garagenwerkbänken entsteht. Den großen Künstlergesten begegnet man hier also in ihren Qualitäten als Allgemeingut. Im Umkehrschluss hat Dengler sie mitsamt ihrer seltsam von Erhabenheit leer geräumten Ästhetik wieder in der Kunstwelt reintegriert. Seit 2004 beschäftigt sie sich in der fortlaufenden Siebdruckserie "Couch" mit der Dynamik zwischen Kringeln, Schwüngen, Tupfen und Umrandungen – also mit typischen Ergebnissen expressiver Malerei, ohne aber dabei ihre typischen Werkzeuge zu verwenden oder auf deren selbstbezogene Strategien zu referieren. Bei Denglers Drucken ist der expressive Gestus verflacht, da der Pinselaufdruck, der Spachtellauf, Schüttspuren und Farbkrusten im Druckprozess nachgeahmt werden müssen. So kennt man das aus der Gebrauchsästhetik. Ein Versprechen auf eine in ihrer Selbstreferenzialität möglicherweise endlos verwertbare Produktschablone. Und doch hat Dengler in den Details dieser Serie kleine Unterschiede in den Farbstellungen eingebaut. Letztlich scheinen diese minutiösen Verschiebungen wieder auf die Alleinstellungsmerkmale der einzelnen Werke zu pochen.

In einem ähnlichen Alleinstellungsgestus werden die unbetitelten Stickbilder teilweise in wuchtigen, aus Sperrholz selbstgezimmerten Rahmen eingefasst. Ihre Motivik könnte aus dem Formenkanon des Informell stammen. Gleichzeitig bezieht sich die Künstlerin auf den humorvollen, feministischen Gestus der Stickarbeiten von Sophie Taeuber–Arp, jener Tänzerin, Künstlerin, Kunstlehrerin, Kulturorganisatorin und Herausgeberin, die zu Lebzeiten hinter der Berühmtheit ihres Mannes Hans Arp zurückblieb. Im Musterstick gefriert dann auch die expressive Wischgeste, die den vornehmlich männlichen Vertretern des Informell den Abstand von jeglichem Gegenständlichen versprach.

Im ersten Moment würde hier die Transgression sozusagen in der Stickrunde enden, aber diese Festschreibung evaporiert in der Ausstellung an den "Ständern" von 2008⁄09, massiv und aus Stahl. Ihre Gestalt mag wohl einerseits aus einer Displaykultur entliehen sein. In ihrer Behelfsmäßigkeit und Verbogenheit, kurz: in ihrer Unvollkommenheit erinnern sie aber weniger an aufzeigerisches Infotainment in der zeitgenössischen Kunst, als an die Aufmerksamkeitsbesessenheit eines nerdigen, pubertierenden Schuljungen.

Denglers Ausstellung kombiniert Siebdrucke, Stickbilder und Metallskulpturen zu Detailansichten aus einer (zu) groß angelegten Kartografie für ästhetische Gesten. Mit einiger Phantasie ließe sich der gesamte Atlas auch als ausgesprochen fragil beschreiben. Denn, ob es sich bei Denglers Appropriationen nun um die ästhetischen Strategien einer Avantgarde, der Produktgestaltung oder der hobbymäßigen Selbstbehauptung handelt, ist letztlich keiner Unterscheidung wert: Die Bezugspunkte, die Verena Dengler wählt, führen auch schon bei "Periferien" in eine Endlosschleife. Das damit einhergehende Spiel an Zuschreibungsmöglichkeiten erinnert auch daran, dass es kein Instrumentarium gibt, das man – einmal erarbeitet – für immer anwenden kann. "Offenheit" hat dabei also nichts mit dem neoliberalen Ideal von "Flexibilität" zu tun. "Offenheit" ist hier die Möglichkeit für Abweichungen – ein soziales Grundpotential der Masse, wie auch der Kunstschaffenden.

Georg Petermichl

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Verena Dengler
Periferien
Kurator: Will Benedict