press release only in german

Mit der Ausstellung Verortungen - Die Frage nach dem Raum in der zeitgenössischen Kunst präsentiert das Kunstmuseum Wolfsburg Werke aus seiner Sammlung, die sich mit der Erfahrung des Raumes und der Erscheinung der Figur im Raum auseinandersetzen. Die Ausstellung knüpft damit an die Werke zeitgenössischer Kunst an, die in der Ausstellung Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes mit den Skulpturen Giacomettis in einen Dialog getreten sind.

So lotet Bruce Nauman in seinen Wall/Floor-Positions (1968) verschiedene Haltungen aus, die der menschliche Körper an der Schnittstelle zwischen Wand und Fußboden einnehmen kann oder erprobt mit Bouncing in the Corner (1969) den Aufprall des Körpers in der Schnittstelle zwischen zwei Wänden.

Carl Andre setzt mit seinen Uncarved Blocks (1975) im Niemandsland an und richtet die Zedernblöcke als Wegweiser auf die vier Himmelsrichtungen aus; 15 Kombinationsmöglichkeiten ergeben sich aus den Richtungen, die zusammen ein nach Norden ausgerichtetes Feld bilden, in dem das senkrechte Element jeweils für den nach Orientierung suchenden Menschen steht.

Mit seinen This Way Brouwn-Arbeiten (1963) thematisiert Stanley Brouwn ebenfalls das Bedürfnis nach Orientierung und Verortung: Er fragte Passanten nach dem Weg zu einem bestimmten Ziel, den diese ihm erklärten und dazu eine Skizze zeichneten. Was blieb ist die Spur des Stiftes auf dem Papier, die von einem Ort zum anderen führt. Für Stanley Brouwns Arbeiten ist charakteristisch, dass er für die Vermessung der Welt weitgehend den eigenen Körper zugrunde legt: Fuß, Elle und Schritt, dessen Länge von der jeweiligen Verfassung abhängig ist.

Eine andere Form der Ortsbestimmung verfolgt Jan Dibbets in seinen Perspektivstudien und Panoramen. In Big Panorama Amsterdamse Bos (1971) verwandelt sich die kreisrunde Lichtung im Amsterdamer Stadtwald in einen horizontalen Streifen; der Betrachter findet sich so in einer Position des Vis à vis, aus der heraus er den zentralen Kamerastandpunkt rekonstruieren kann.

Auch René Daniëls erforscht in seinen Gemälden Bedingungen der Raumwahrnehmung. Das Verhältnis von Zentralperspektive und Bildfläche erzeugt in Painting on the Bullfight (1985) eine irritierende Erfahrung: Durch die Überlagerung von perspektivisch verkürzten und frontalansichtigen Fenster- bzw. Bilderflächen „kippt“ der Raum zwischen zentralperspektivisch bedingter Tiefe und Bildfläche hin und her, ohne jedoch eine eindeutige Ausrichtung zu nehmen.

In Imi Knoebels Japanischem Tisch (1984-1996) mit dem darüber hängenden grünen Bildquadrat wird fernöstliche Spiritualität aufgerufen. Die altarähnliche Situation lässt das grüne Quadrat an der Wand als Zeichen erscheinen, wobei der Tisch dem Bild einen besonderen Schutzraum verleiht, da er den Betrachter auf Distanz hält.

Dem grünen Bildquadrat Imi Knoebels antwortet das ebenso quadratische, aber weitaus größere White Painting (2005) von Joseph Marioni. Die Oberfläche verrät, dass das Bild in mehreren Farbschichten aufgebaut wurde. Unter der weißen Schicht, die den Gesamteindruck dominiert, befindet sich eine grüne, die durch das Weiß hindurchschimmert und insbesondere links und rechts an den Rändern sichtbar wird. Der schichtweise Aufbau und der Klang der Farben erzeugen eine subtile Räumlichkeit, die sich in krassem Gegensatz zum monochromen Dunkelgrün und der plastischen Form des Japanischen Tischs befindet.

Einen „endlosen Ort“ haben Peter Fischli/David Weiss mit ihrem Kanal-Video (1992) erzeugt. Das Videobild zeigt zwar permanent dieselbe Einstellung, den Blick durch eine Kamera, die durch das Zürcher Kanalsystem eine endlos erscheinende Geradeausfahrt unternimmt. Aber der Blick in die Röhre bleibt dennoch nicht derselbe: Wasser fließt, Farben wechseln, und ab und zu taucht eine Ratte auf. Das Video vermittelt die Erfahrung, ständig in Bewegung zu sein und dennoch an einem Ort zu verharren.

In Jeff Walls Untangling (1994) findet sich ein ähnlicher Gegensatz. Der Zugang zu der mit technischen Teilen angefüllten Reparaturwerkstatt bleibt dem Betrachter verwehrt, da sich mehrere ineinander verschlungene Taue auf dem Boden türmen. Doch die Person, die diese zu entwirren scheint, hat die Augen gesenkt und scheint sich eher in einen imaginären (Innen)Raum zu versenken. Die andere Person zwischen den Regalen hingegen scheint nach etwas Konkretem zu suchen, was die kulissenhafte Szenerie zu einem realen Raum werden lässt.

Eine Gratwanderung zwischen inszenierten und realen Räumen bietet auch In Sook Kims Saturday Night (2007), eine Fotoarbeit, die die Fassade eines Appartementhauses zeigt. Hinter den Fenstern der Fassade spielen sich in den jeweiligen Räumen die unterschiedlichsten Szenen ab. Der (Wohn)Raum wird hier zur Lebenswelt von Singles, Paaren, Familien, zum Schauplatz von Parties, Liebesakten und - Morden.

Auch Ola Kolehmainens Architekturaufnahmen setzen sich mit Fassaden und Architekturelementen auseinander. Allerdings wird hier, wie in Are You Talking to Me (2007), der konkrete Raum, wie ihn die Architektur definiert, zum Bild, zu reinen Farb- und Formerlebnissen verwandelt, wobei sich auf der einen Seite des Diptychons die Treppe gespiegelt nach oben windet. Der Raum bleibt unbestimmt, geht in der Farbe auf.

In den Fotogafien Andreas Gurskys macht der Betrachter die Erfahrung, dass die dargebotene Raumwahrnehmung nicht den Sehgewohnheiten entspricht. So finden sich beispielsweise in einem Bild mehrere Perspektiven auf das Motiv, das sich im Raum nahezu endlos auszudehnen scheint. Oder im Zentrum des Raumes klafft eine „Lücke“, die es zu füllen gilt, wie z.B. in Hong Kong Stock Exchange (1994). Der Mensch fungiert hier wie auch in Pyongyang V (2007) buchstäblich als Nummer, als Träger von Dekorelementen, wird selbst zum Ornament im Raum.

Die drei Großen Geister (1996, 1997, 2000) von Thomas Schütte bilden eine Gruppe, die sich an einem Ort versammelt hat. Das plastische Volumen dieser Skulpturen steht in krassem Gegensatz zu Alberto Giacomettis dünnen Männern und Frauen. Das üppige Volumen wird jedoch durch die polierte Oberfläche relativiert, in der sich die Umgebung spiegelt. Die Figuren selbst scheinen auf diese Weise ihr Volumen an den Raum abzugeben.

Tausende von Sonnenblumenkernen bedecken Anselm Kiefers The Secret Life of Plants (1996) und bilden dabei eine Matrix aus. Diese erzeugt zum Einen die Perspektive von jemandem, der auf dem Boden liegt und zu dem die Köpfe von Sonnenblumen hinabschauen. Zum Anderen bildet sich aus den Sonnenblumenkernen jedoch auch der Anblick des Sternenhimmel aus, wobei einzelne Sternbilder und Galaxien auf etikettenähnlichen Elementen benannt sind. Das geheime Leben der Pflanzen offenbart sich dem Schauenden sowohl als Mikrokosmos wie auch als Einblick in die Unendlichkeit des kosmischen Raumes.

In die Ausstellung Alberto Giacometti sind bereits Arbeiten von James Turrell (Moenkopi (Tall Glass), 2007), Franz West (Passstück, um 1984; Passstück, nicht datiert; Passstück, 1979/80; Passstück, nicht datiert), Joseph Marioni (Painting 1-75, 1975) und Bruce Nauman (Ten Heads Circle/In and Out, 1990 und Live-Taped Video Corridor, 1970) integriert.

only in german

Verortungen
Die Frage nach dem Raum in der zeitgenössischen Kunst

Künstler: Carl Andre, Stanley Brouwn, René Daniëls, Jan Dibbets, Fischli / Weiss, Douglas Gordon, Andreas Gursky, Anselm Kiefer, In Sook Kim, Ola Kolehmainen, Imi Knoebel, Joseph Marioni, Bruce Nauman, Reiner Ruthenbeck, Thomas Schütte, Jeff Wall