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Walter Swennen (Jg. 1946) hat nach ersten im Bereich der Dichtung und Performance anzusiedelnden Arbeiten seit Anfang der 1980er Jahre ein umfangreiches künstlerisches Werk entwickelt, das Malerei dezidiert als Bildmedium einsetzt. Dabei lässt es der Künstler keineswegs an konzeptueller Distanz zu einer aktuell wieder allzu gern zur Königsdisziplin der Kunst überhöhten Malerei fehlen. Und dennoch konzentriert er sich, was auf den ersten Blick traditionalistisch anmuten mag, ganz auf das mit allen Stärken und Schwächen malerischer Mittel eigenhändig gemachte Bild.

Es sind die materiellen Gegebenheiten der Malerei, die Konvention des Tafelbildes, die Swennen auslotet, um die Qualität ikonischer und symbolischer Zeichen generell zu erkunden. Anders gesagt, testet er Bild und Wort durch die Malerei hindurch auf ihre Aussagefähigkeit und Wirkung. Dieser Ansatz ließe sich als erkenntniskritisches Projekt bezeichnen, das sich, wenngleich ganz und gar in der Malerei als Medium, Währung und Institution ausgetragen, auf philosophische, semiotische und psychologische Diskurse bezieht. Es ist insofern kein Wunder, dass jedes Bild aufs Neue sein ureigenes Problem darstellt, das jeweils für sich bearbeitet und zu einer malerischen Lösung gebracht werden, als Bild eben auch ‚gelingen’ muss. Entsprechend heterogen stellt sich das Werk Walter Swennens dar. Es lebt aus der Komplexität des einzelnen Bildes, ohne Rücksicht auf Stil, Manier oder Genre zu nehmen. Und so komplex oder auch einfach ein Bild ausfallen mag, bleibt es doch immer der Malerei und ihrer materialen Banalität aus Farbmasse und Lösungsmittel als gleichermaßen handwerklich-technische und kunstwollende Setzung verhaftet.

Swennens Malerei errichtet somit offenkundig ein Spannungsfeld zwischen dem Ikonischen und Konzeptuellen. Entsprechend etabliert er seine äußerst spezifischen skills jenseits von klassischen Qualitätsausweisen wie handwerklich / technischer Meisterschaft oder künstlerischer Genialität, die sich gerade in der Malerei besonders hartnäckig zu halten scheinen. Dies hat auch historische und biographische Gründe. Bereits Ende der 1960er Jahre bewegt sich Walter Swennen in der Brüsseler Bohème. Rasch findet er dort Anschluss an Künstler- und Literatenkreise, wo er mit ersten dichterischen Versuchen, einer Art beat poetry verhaltenen Anklang findet.1 Ermutigung erfährt er u. a. durch Marcel Broodthaers, der seinerseits 1964 demonstrativ mit der Poesie gebrochen hatte, um als Künstler „etwas zu verkaufen und im Leben Erfolg haben“ zu können, wie er – ebenso programmatisch wie selbstironisch – auf der Einladungskarte zu seiner ersten Einzelausstellung (10. bis 25. April 1964) bei der Galerie Saint-Laurent in Brüssel vermerkte. Broodthaers hat sich danach in einem komplexen Oeuvre mit den Institutionen, 1 1968 entsteht ein an der Pop Art geschultes Porträt „William Burroughs“, in Ölkreide auf Papier. Es befindet sich in der Sammlung des Künstlers.

der realen und symbolischen Ökonomien des Kunstfelds und deren Effekte auf die künstlerische Produktion bzw. das Rollenbild Künstler auseinandergesetzt und prägte damit bis heute eine institutionskritische Perspektive auf die Kunst.2 Eindrücklich für viele Künstler_innen der Zeit ist zudem die Auseinandersetzung vor allem mit der (US-amerikanischen) Pop Art, die in der politisierten und speziell auch gegenüber populärkultureller Praxis wie dem Kino, Jazz und Rock’n’Roll sowie sozial / kollektiven Experimenten an der Schwelle von Kunst und Leben aufgeschlossenen Szene intensiv rezipiert wird.

Gleichwohl verläuft Swennens Biographie in der Folgezeit alles andere als linear und steht damit in deutlichem Kontrast zu dem Modell einer künstlerischen ‚Karriere’, wie sie heute Standard zu sein scheint. Während der 1970er Jahre hält Swennen Abstand zur Kunstszene. Vielmehr absolviert er ein Studium der Psychologie an der Universität von Leuven und unterrichtet bis 1981 Psychoanalyse an der École de Recherche Graphique (ERG) in Brüssel. Auf Einladung der Direktorin Elisabeth Barmarin realisiert er in der schuleigenen Galerie vom 5. bis 20. Mai 1980 seine erste Ausstellung.

Walter Swennens Wiedereinstieg in die Kunst, nun konsequent mit Fokus auf der Malerei, trifft zusammen mit ihrem ersten Revival Anfang der 1980er Jahre. In den zwei Jahrzehnten zuvor war die Malerei gegenüber anderen, konzeptuell motivierten künstlerischen Arbeitsweisen und technische Neuerungen in Film und Video in den Hintergrund getreten und wurde seitens einer sich progressiv-kritischen Kunsttheorie sogar als irrelevantes, historisch überholtes Medium gewertet. Dazu konträr, verlangte ein sprichwörtlich gewordener „Hunger nach Bildern“ (Wolfgang Max Faust) auf einmal wieder nach Gemaltem – zumal wenn solche Malerei unter der Behauptung ihrer „Neu-“ und „Wildheit“ segelte oder wenigstens mit kalkulierter „Neoexpressivität“ wenn nicht konzeptueller badness ausgestattet war. Von einer damals noch sehr viel weniger von ökonomischem Druck und Konsenszwang homogenisierten Kunstkritik, als das heute der Fall ist, wurde dieses Revival als marktgesteuertes, wenngleich breitenwirksam durchsetzungsfähiges ‚Retro’-Phänomen erkannt und entsprechend kontrovers behandelt. Gleichwohl zeugt diese Wiederkehr insgesamt von der umfänglichen Konzeptualisierung der Malerei in ihren technischen, medialen und institutionellen Aspekten, die auch gegenwärtig nach wie vor die Voraussetzungen für einen künstlerisch aussichtsreichen Einsatz malerischer Praktiken bilden.

Spielt die Diskussion um Ende und Wiederkehr der Malerei auch im Belgien der 1980er Jahre eine gewisse Rolle, beteiligt sich Walter Swennen allerdings nicht an diesem Diskurs, sondern entwickelt sein Werk vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen mit poetischen, performativen und konzeptuellen Praktiken, wie er sie schon in den 1960er Jahren kennengelernt und aktiv erprobt hatte, mit neuem Fokus auf bildnerische Arbeitsweisen. Zwischen 1980 und 1981 erarbeitet er ein ikonisches Vokabular, bei dem Schrift und Zeichnung, Text und Bild sich aufeinander bezogen und, zuerst in ortsspezifisch-prozessualen 2 In seiner ersten Einzelausstellung 1980 zeigt Walter Swennen neben zwei weiteren Arbeiten das im selben Jahr entstandene „Le tombeau de M. B.“: eine an Mallarmés poetischer Technik und Broodthaers’ institutionskritischer Dialektik gleichermaßen geschulte dichterische Liquidierung von Poesie als Hommage an den 1976 verstorbenen Mentor.

Settings erprobt, einem zunehmend malerisch-zeichnerischen Herstellungs- und Analyseprozess unterliegen. Mit Ölfarbe expressiv auf eine Papierbahn gemalt / geschrieben, ist die, pointiert gesagt, Schautafel „Alphabetum“ (1981) ein Beleg für diese Form der Sortierung, bei der technische und thematische Umsetzung einander durchdringen: verschiedene Tierfiguren, ein Hase, ein Elefant und ein Krokodil sowie die Darstellung eines Trichters werden offenbar willkürlich den (englischen) Begriffen „glas“, „oil“ und „rabbit“ zugeordnet. Das Krokodilmotiv ist mit dem in blassem Rosa gemalt/geschriebenen Ausdruck „secret love“ kombiniert und erweitert die Anordnung somit um eine farbliche Dimension. In „Untitled (Mots effacés)“ aus dem selben Jahr, wird der offensichtlich rasant gemalte Text aggressiv verwischt, ausgestrichen, übertüncht und weist auf die Korrektur als eines der wichtigsten ‚Motive’ hin, dessen technische und semantische, ikonische und konzeptuelle Spielräume Swennen bis heute austestet. Etwas zu korrigieren ist dabei ein regelrecht strukturierendes Prinzip seiner Malerei und gleichzeitig Konzeption auf Augenhöhe / in Echtzeit verhandelnde Arbeitsweise. Denn bestimmte Motive, ja ganze Plots tauchen seither in Swennens Bildern auf, durchlaufen – anstatt etwa bloße Variationen über ein Thema zu ergeben – einen Prozess des ständigen, in jeweils in sich schlüssige Gemälde gefassten, rendering.

Ohne die Funktion des um die Pole des Ikonischen und Konzeptuellen der Malerei errichteten Spannungsfelds überbewerten zu wollen, ist es grundsätzlich Hintergrund für das, was Swennen im einzelnen Bild sozusagen exemplarisch und zugleich aus der Prozessualität des Werks heraus bearbeitet und probeweise als Gemälde ‚löst.’ Dieser Hintergrund rückt gleichwohl dann in den Fokus, wenn der Künstler mit seinen Bild- und Ausstellungstiteln, Einladungskarten, Publikationen und Texten den Zusammenhang der Veröffentlichung seiner Arbeit thematisiert, souverän eine „politics of publicity“ betreibt, die Alexander Alberro als zentrale Praxis und Thema der Conceptual Art beschreibt. Dies etwa, wenn Swennen seine malerische Produktion mit Arbeiten flankiert, die, wie die gleichsam in Fortsetzung der ortsspezifischen Projekte Anfang der 1980er Jahre in situ realisierte Ateliersituation „Ici & maintenant“ (2001), etwa für spezifische Situationen geschaffen, oder gestenhaft eingesetzt werden wie „Untitled (La cabane)“(1995), als in den Ausstellungsraum transferiertes, aus Abfall- und Fundstücken gebautes ‚Kinderzimmer’. Arbeiten wie diese scheinen die Frage, was Kunst eigentlich sei, mit derjenigen zu verschränken, wo und unter welchen Umständen sie sich ereignet. Zugleich wird das (Maler-)Atelier als Ort künstlerischer Produktion zur Disposition gestellt, als eine der Rahmenbedingungen künstlerischer Arbeit gezeigt oder vielmehr veröffentlicht.

Jedenfalls widersetzt dieses Werk sich jeder vorschnellen Festlegung aufs bloße Malereisein, indem es einerseits auf dem einzelnen Bild besteht und andererseits zugleich auf verschiedenen Ebenen die Malerei als Medium, Währung und Institution, ihr besonderes Potenzial als Operations- und Diskursfeld innerhalb der Gegenwartskunst anspricht. Das notorische Reden von der Malerei in der aktuellen Kunstkritik und -geschichte verstellt den Blick nämlich in der Regel auf das, was diese als in der Kunst angesiedeltes Bildmedium, ja als unsere ganze Auffassung von Kunst nachhaltig prägende Institution aktuell spezifisch leisten könnte. Die Malerei steht regelrecht zwischen uns und den Bildern, die sie an sich schaffen sollte. Dies wiegt umso schwerer, nachdem die Bearbeitung des Visuellen – ursprünglich eine Kernkompetenz der Kunst und traditioneller Auftrag an sie – in der künstlerischen Praxis nur mehr eine marginale Rolle zu spielen scheint und andere visuelle Industrien dieses Geschäft mit weitaus größerem Erfolg übernehmen konnten. Anders gesagt ist nicht jedes Bild automatisch Malerei, sowie Malerei nicht selbstverständlich gleich Kunst ist.

Walter Swennens Werk bearbeitet gezielt diese Problematik. Der Künstler bezieht sich in seinen sorgfältig von Zeichnungen und Notizen flankierten Arbeiten häufig auf populäre Bildquellen, auf Comics, Cartoons oder Kino. Geister sind zudem ein seit den frühen 1980er Jahren wiederkehrendes Motiv und Anlass, immer neue Malweisen an ihm zu erproben. Zugleich ist dieses Werk von Text und Sprache(n), von ge- und erfundenen Wörtern und Parolen oder mittels ihrer malerischen Darstellung buchstäblich sezierten Sprachfragmenten durchzogen. Bild und Text, Farbe und Form, Fläche und Kontur, pure Materie und ihre Modellierung fordern einander heraus, überlagern oder durchdringen sich als mittels Malerei geschaffene Fakten.

Alles andere als Selbstzweck will Swennens engagiert aber skeptisch betriebene Malerei am Bild gewordenen Beispiel überprüfen, aus welchem Material Phänomene sind, so wie sie ebenfalls testen will wie Zeichen und Bedeutung zusammenhängen. Sie verlangt ihren Betrachter_innen ab, sich darüber klar zu werden, wie viel Verstand am Schauen eigentlich mitwirken muss, bis tatsächlich etwas als gemaltes Bild ‚gesehen’ werden kann. Sie tut dies mit großem Vergnügen am Visuellen und zugleich als intellektueller Reiz.

Die in enger Zusammenarbeit mit Walter Swennen entstandene und retrospektiv angelegte Ausstellung „Ein perfektes Alibi“ im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, versammelt rund 35 Arbeiten des in Brüssel geborenen und heute wieder dort lebenden und arbeitenden Künstlers. Die Arbeiten, darunter zahlreiche Leihgaben aus Sammlungen in Belgien, Holland und Frankreich, stammen aus einem Zeitraum von dreieinhalb Jahrzehnten und erlauben einen exemplarischen Einblick in das Werk des Künstlers, das erstmals in dieser Ausführlichkeit in Deutschland zu sehen ist. Die Ausstellung bildet zugleich den Auftakt für eine Reihe von Veranstaltungen im Kunstverein, die sich gezielt dem problematisch gewordenen Stellenwert des Objekts in der Kunst – oder vielmehr dem ‚Ding Kunst’ – widmen wird.

Begrüßung: Georg Kulenkampff, Vorstandsvorsitzender
Einführung: Hans-Jürgen Hafner, Direktor