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WAS EUCH AM LEBEN HÄLT, IST, WAS BEI UNS ZU ASCHE ZERFÄLLT *
THE FUEL OF YOUR LIVES BECOMES ASHES IN OURS
Alice Creischer, Henrike Naumann, Mario Pfeifer, Andreas Siekmann, Michael E. Smith, Tobias Zielony

18.09.2018 - 10.11.2018
Eröffnung: 07.09.2018 18:00 - 22:00

Aus gegebenem Anlass ändert KOW kurzfristig sein Programm und schaut mit einer Ausstellung auf den Rechtsruck in Deutschland. Die Galerie und die KünstlerInnen möchten damit ein Zeichen setzen in einem Moment, in dem sich das Politische – und für immer mehr Menschen auch der Alltag – in einen Alptraum verwandeln. Wir möchten uns all denen anschließen, die sich dagegen wehren.

In ihren klügeren Momenten kommt die öffentliche Diskussion um die neue Spitze des rechtsradikalen Eisbergs – Chemnitz, Sachsen – zu der Einsicht, dass der soziale Unfriede in seiner neonationalen Gesinnung zwar unerträglich, aber keineswegs unbegründet ist. Erstaunlich ist ja nicht so sehr, dass braune Menschenfänger in schwarzen Anzügen die Unzufriedenheit in der Bevölkerung einsammeln und reklamieren, für die Mehrheit, also das Volk, zu sprechen, und dabei wütende Affekte eines Mobs hinter sich und auf die Straße bringen.

Erstaunlicher ist doch, wie lange diese Unzufriedenheit offiziell beiseitegeschoben wurde. Kritik am gesellschaftlichen Grundkonsens wurde zwar selten zensiert, aber mit der realen sozioökonomischen Ungerechtigkeit dieses scheinbaren Konsenses nicht einverstanden zu sein, das war ausreichend unanständig, um in der breiteren Öffentlichkeit keine Akzeptanz zu finden. „Geh doch nach Drüben!“, hörte man vor 1989 manchmal, wenn man am westlichen Status Quo rüttelte. Aber Drüben gibt es nicht mehr. Diese Alternative für Deutschland hat sich historisch aufgelöst.

Dass in den frühen Neunzigerjahren die vergleichsweise unbedeutende Kunstszene zu einer Plattform für Neoliberalismuskritik und für Bilder und Narrative von Widerständigkeit und Gegenöffentlichkeit wurde, spricht dafür, dass sich der radikalere gesellschaftskritische Diskurs nach ’89 marginalisierte. Aber die Leute sind ja nicht dämlich. Die Dissonanz zwischen tollen Wirtschaftszahlen, Demokratieerzählungen und der eigenen Lebenswirklichkeit ist offensichtlich. Die neue Bundesrepublik ist kein Solidarstaat, sondern ein korporatives Industrie- und Finanzsystem, das seine inneren sozialen Verwerfungen rational kalkuliert.

Als eigentlichen Grund für das Anschwellen sozialer Ungleichheit nannte Warren Buffet den „Krieg der Reichen gegen die Armen“. Der globale und staatlich unterstütze Klassenkampf von oben zerstört den sozialen Frieden über kurz oder lang. Das haben schon viele Spatzen von den Dächern gepfiffen, aber in der politischen Mitte, zur besten Sendezeit, da wo die Mehrheit wohnt, will man von der strukturellen Gewalt des Neoliberalismus und Neofeudalismus nichts wissen. Doch die Gewalt ist da und sickert aus den Lebensläufen in die Körper und in die Worte.

Wie es aussieht, haben immer mehr Menschen die Schnauze voll. Jetzt suchen sie nach einem Krieg, den sie allenthalben lange schon spüren, aber schlecht greifen können, und packen sich, was ihnen in den Weg kommt, um ihn zu erleben. Mangels eines öffentlichen Diskurses, der vernünftige Gründe für gefühltes und reales Abgehängtwerden hätte liefern können, stochern BürgerInnen im Trüben ihrer Affekte nach Feindbildern, die so absurd sind, dass man sie dafür schütteln möchte, und manche einsperren.

Der Abstand zwischen uns, den Autoren und den LeserInnen dieses Textes, und denen, die in Chemnitz, Sachsen, und anderswo in West und Ost Migranten, Journalisten, Muslime und Juden jagen, scheint unüberbrückbar. Aber das ist Quatsch. Andere Gesellschaften hatten ganz andere Brüche zu überwinden, gewaltvollere, unversöhnlichere, und sie taten es. Man muss in Deutschland lernen, die Konflikte zu Hause so zu bearbeiten, wie man es von diesen Gesellschaften immer wieder gefordert hat. Vielleicht ist es genau das, was uns jetzt helfen würde.

Konflikte verschwinden nicht ohne weiteres. Sie müssen benannt und durchgearbeitet werden. Für die Zeit von 1933 bis 1945 ff. hat man das in Deutschland irgendwann begriffen. Nun ist gleiches für die Zeit nach 1989 und für die Gegenwart zu leisten. Wir brauchen einem postkolonialen Diskurs über die Bedingungen der Wiedervereinigung, über die teils gefühlte, teils technisch reale Annektierung der Ex-DDR durch die BRD, und im globalen Kontext über die Expansion des korporativen Kapitalismus während der vergangenen 30 Jahre.

Und die Kunst? Auch sie weiß mittlerweile, dass sie Menschen eher spaltet statt eint, solange ihre Ökonomie ein Teil der Mechanik ist, die der Umverteilung von unten nach oben mit aufs Pferd hilft. Das Schlimmste, was sie tun kann, ist davor die Augen zu verschließen. Sie muss das Thema frontaler als bisher angehen und darf Brüche nicht symbolisch kitten, die tatsächlich systemisch sind. Dazu gehört, sich nicht vor den Karren einer kulturellen Befriedungspolitik spannen zu lassen, die kritische Avantgarden als Beweis einer offenen Gesellschaft zur Bühne führt.

Diese Gesellschaft ist nicht offen. Sie ist ungleich, ungerecht und unsolidarisch. Und zwar von oben, von unten, und zunehmend auch aus der Mitte heraus. Seltener aus Vorsatz und Kalkül, oft aus Handlungszwang, manchmal aus rassistischen, sexistischen und faschistischen Überzeugungen. Und immer öfter aus Abstiegsangst, die nichts anderes ist als die Angst vor der Niederlage in einem zu unausgesprochenen, staatlich geförderten Klassenkampf, der längst auch gegen das Fundament der Zivilgesellschaft geführt wird.

* Der Titel der Ausstellung zitiert ein Graffiti, das Tobias Zielony 2003 in Altenburg, Thüringen, fotografierte.