press release only in german

Langnasige Schrankgespenster, glotzende Eierköpfe, wurstförmige Wesen ohne Gesicht. Wurzelhafte Zweigfiguren, kopflos, doch mit großen Füßen. Ein weiblicher Hausgeist, der als eiförmige Deckenlampe überm Küchentisch hängt. Die koboldhaften Stoffgestalten, die da auf Kommoden hocken, über Tische gebeugt sind oder in ältlichen Schlafzimmermöbeln herumgeistern, rangieren dem Format nach leicht über menschlichem Maß, wirken wie puppenhaftes Riesenspielzeug, das in fratzenhafter Überhöhung das Komisch-Harmlose mit dem Unheimlichen verquickt. Die Figuren dieser Menagerie gehören zur neuen Werkreihe von Wiebke Siem, und sie sind so vergnüglich, weil sie so verstörend sind. Manch eine erscheint wie ein Füssli'scher Nachtmahr aus Loden, andere als nadelstreifenfeine Kreuzungen der Fantasiewesen eines Wilhelm Busch oder Paul McCarthy. Doch sie sind eng mit Siems bisherigem Bilderfundus verwoben, „direkte Verwandte der Lebkuchenmänner, Schneemänner und Puppen der vierten Werkgruppe,“(1) meint sie. Waren diese noch als streng abstrakte Form entwickelt, die an Arp oder Schlemmer erinnert, sind die Figuren ihres jetzigen Bestiariums aufs mimische und personalisierte Moment hin karikaturhaft zugespitzt: plumpe Körper, lange Nasen, Glubschaugen, dünne Beinchen, riesige Füße. Siem inszeniert sie mit Möbeln aus den 1930er bis 50er Jahren, die eine sachlich-antiquierte, triste Häuslichkeit verkörpern, und nennt Kindheitsfantasien als Quelle dieser Bilderwelt, etwa am Beispiel des im Schrank verborgenen Traubenmannes aus der Installation Sonntag: „Kinder sehen Dinge oft auf unverstellte Art, schauen in den Schrank und denken: 'Ist das ein Mantel oder hat der plötzlich ein Gesicht?' Damit hat meine Arbeit auch zu tun.“

Siem zeigt mehrere Ensembles. In einer altmodischen Küche hängt überm ungedeckten Tisch eine zu grotesker Form mutierte Lampe. „Über einem weißen, nach unten offenen, ovalen Lampenkorpus,“ so die Künstlerin, „liegt eine rote Schale, die diesen Körper wie ein Kleidchen bedeckt und das Licht rötlich färbt. Die Lampe ist riesig, hat Arme und Beine, die auf den Tisch herunter hängen. Sie erinnert an eine von der Decke baumelnde Frau.“ Drastik des Bildes, Strenge der Form – exemplarisch für Siems Strategie der Imagination, die einer meist ebenso komischen wie grausigen Aufladung menschlicher Dingwelt folgt. Auch Sonntag basiert auf so einem fremd-wahrhaftigen Bild von Häuslichkeit: Ein ältliches Schlafzimmer, in dem die Figur des Traubenmannes wie eine Spuk- und Traumgestalt im Schrank steckt. Sie ist aus grünem Fischgrät-Tweed genäht, streckt lange Nase, dünne Ärmchen, große Hände aus dem füllig-kugeligen Körper hervor und starrt einen unverwandt an. Eine weitere Version vom Traubenmann im Schrank hat Siem komplett aus Nadelstreifenstoff genäht. Die unterschiedlich großen Kugeln seines Körpers wirken durch kreisförmig aufeinander stoßende Streifen wie eine Vielzahl von Augen, die sich zum absurden Arguskörper multiplizieren. Siems Werke spielen auch auf die Kunst anderer an: In Sonntag oder Die böse Farbe zitiert sie Reiner Ruthenbecks Skulptur Umgekippter Stuhl (1971). Ironisch umdeutende Aneignung von künstlerischen Haltungen ihrer (überwiegend männlichen) Lehrergeneration sind typisch, Siem geht es „auch um Referenz auf bestimmte Künstler der Moderne, die eben meistens Männer waren. Als ich studierte, hatte man sich mit Franz Erhard Walther und der Beuys-Schule auseinanderzusetzen, mit Minimal- und Konzeptkunst, die auch fast nur von Männern gemacht wurde. Als Frau hatte man das Bedürfnis, das zu brechen. Dann will man eben Arme drannähen, sonst hält man das gar nicht aus,“ so Siem nicht ohne Ironie. Das zeigt sich insgesamt auch im Umgang mit Stoff als künstlerischem Material. „Eine weibliche Perspektive zieht sich ja durch meine gesamte Arbeit,“ sagt sie, „etwa bei den Kleiderskulpturen und, wie ich finde, auch jetzt. Wenn ich früher heitere, 'weibliche' Stoffe nahm, verwende ich nun 'männliche' wie Nadelstreifen, Loden und Jackettstoff.“ So ein männlicher Homunkulus ist etwa Pharao: Der Eierkopf mit dünnen Gliedmaßen, die in großen Händen sowie Füßen enden, thront gravitätisch auf einer Kommode. Siem hat die Figur aus Anzugstoff genäht und sie, McCarthy lässt grüßen, mit phallischer Nase und einem winzigen Loch als Schmollmund ausgestattet. Der Zinken ist beiderseits von Kugeln ergänzt, die, unter anderem, Augen sein könnten. Siem zielt in der Karikatur ironisch auch auf sexualisierende Gehalte. Das gilt ähnlich für ohne Titel/Schlitten: In rührender Gemütlichkeit trägt diese Arbeit phallische Züge zur Schau – die längs auf einen alten Kinderschlitten gebettete, groteske Riesengurke, gesichtslos, doch mit dünnen Ärmchen und Beinchen, ist ein in seiner Komik sprechendes Bild, das man der visuellen Pointe zuliebe kaum weiter erklären muss. Man kann es aber auch als Referenz auf Beuys' berühmtes Rudel (1969) entziffern. Der hatte 24 Schlitten jeweils mit Fett, Filzrolle und Stablampe bepackt und aus einem VW-Bus ausschwärmen lassen. Eine Arbeit, die Siem über Umgang mit Form und Stoff hinaus auch deshalb interessiert, weil sie für eine klassische „Männergeschichte“ steht: Beuys soll nach einem Flugzeugabsturz von Krimtartaren gefunden, per Schlitten abtransportiert, mit Filzdecken gewärmt und durch Fett ernährt worden sein. Was auch dran sein mag, die Legende hält sich, und so bleibt Beuys auch hier ein assoziativer Kontext. Doch ist Siems Schlitten-Stück zu eigenständig und zu originell, um bloße Persiflage zu sein. Im Ganzen ist es beispielhaft für ihre neuere Strategie karikaturhafter Zuspitzung von im Kern modernen Formen und Verfahren, die sie auch als „Abarbeiten an der Dominanz männlicher Künstler und ihrer Weltsicht“ begreift. Aber Siem geht darüber auch hinaus, wenn sie der Karikatur eine so eigene Bildwelt abgewinnt.

Jens Asthoff

(1) Alle Zitate: Wiebke Siem im Gespräch mit dem Autor in ihrem Berliner Atelier am 8.11.2007

only in german

Wiebke Siem
Geisterstunde, Kindheitsmuster - Neue Arbeiten von Wiebke Siem