Kunstsammlung Jena

Jena Kultur | Städtische Museen Jena, Stadtmuseum & Kunstsammlung Jena | Markt 7
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In den letzten Dezennien des zwanzigsten Jahrhunderts wurde Kunst immer mehr zu einem Knotenpunkt gesellschafts- und kulturtheoretischer Fragestellungen. Herkömmliche Gattungsgrenzen galten nicht mehr und auch die Kunst war so bewegt, dass unter dem Eindruck immer schneller wechselnder Bilder für den Betrachter die Ereignisse und Einsichten von heute schnell zum Schnee von gestern wurden. Die elektronischen Medien gewannen rasant an Boden und zeitweise schien es so, als wenn die Tage der traditionellen Künste - als man sich in stiller Auseinandersetzung den Inhalt einer Malerei erschloss oder dem Sinn gedruckter Worte nachhing - alsbald Vergangenheit wären. Bilder und Informationen wurden nicht nur schneller, sondern sind mittlerweile nahezu jederzeit für jedermann erreichbar und Grenzen diktieren allein deren Verwertung und Nutzung. Es war und ist eine Zeit gravierender Veränderungen, die alle Bereiche des individuellen und gesellschaftlichen Lebens durchdringt. In diesem Zusammenhang bilden die medientheoretischen Fragestellungen der aktuellen Kunst einen wichtigen und oft wertvollen Ausgangspunkt zur Klärung existenzieller Probleme. Einzel- wie Gruppenausstellungen, zuvorderst die letzte documenta, thematisierten im offenen Diskurs das Verhältnis von Kunst und Medien als laborähnliche Situation, so wie es auch von den Lehrenden und Studierenden an der Burg Giebichenstein verstanden wird. Das Video hat eine universale Sprache entwickelt, die mit Raum füllenden Projektionen, Bildschirmen oder interaktiven Installationen Raum und Zeit, Fiktion und Alltag aber auch Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft. Dabei erweisen sich viele der Künstler keineswegs als Apologeten der eigenen Zunft, sondern hinterfragen die Mechanismen und Wirkungsweisen der neuen Medien kritisch.

Die interaktive Computerinstallation Modell Juvenile wird in einem abgedunkelten Kubus mit spärlicher Grundausstattung – Bett, Schrank und Tisch – gezeigt. Der Besucher legt seine Hand in ein Regiepult in der Mitte des Raumes und bewegt sich entsprechend den Bewegungen seiner Hand durch eine virtuelle Welt. Wir finden uns in Schlafräumen von Kindern, sehen Bilder mit denen diese aufwachsen, erleben Arbeit und Freizeit. Wir hören einen Song von Bob Dylan, der zugleich als Textschlange über die Wände wandert und finden uns plötzlich in dem berühmten Arbeitszimmer von Sigmund Freud in Wien... Grundlage der vielschichtigen Installation sind Kindheits- und Krankheitsbilder, die in dem Waisenkinderkrankenhaus August Hermann Franckes in Halle/Saale eine historische Realität haben. Für den Pietisten Francke waren Kinder unfertige Erwachsene, Krankheiten waren von Gott gesandt. Die Einsicht, dass eine Heilung Körper und Seele gleichermaßen umfassen muss, führte zu einem damals ungewöhnlichen Miteinander von Medizinern und Theologen. Die Installation berührt in zuweilen harten Kontrasten aktuell Fragen der Realitätswahrnehmung und ihres Verlustes. Die Verknüpfung von künstlicher Intelligenz, menschlichem Sein, Mythen und Märchen bildet den besonderen Hintergrund dieser Arbeit, die Kunstgeschichte mit persönlicher und kollektiver Geschichte narrativ vernetzt.

Ute Hörner und Mathias Antlfinger haben ihr umfangreiches Werk in jahrelanger Zusammenarbeit entwickelt. Sie konnten ihre Arbeiten auf zahlreichen internationalen Ausstellungen vorstellen und arbeiten heute gemeinsam an der Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle und in ihrem Atelier in Berlin. Ihre künstlerische Position ist basiert auf der kritschen Auseinandersetzung mit medientheoretischen Konzepten. Fast allen Arbeiten ist eine dialogische, das Publikum einbeziehende Art eigen. Dabei sind die einzelnen Arbeiten in der Regel transdiziplinär angelegt. Mit den Mitteln der Computertechnik wird Kunst erzeugt; soziologische und philosophische Probleme werden in den Raum der Kunst transportiert und vor dem Hintergrund einer virtuellen Welt untersucht. Die Werke bewegen sich in Grenzbereichen zwischen bildender Kunst, Journalismus und Computerspiel, zwischen Dokumentation und Fiktion. Ungewöhnlich ist die stark erzählerisch geprägte Grundstruktur der Arbeiten, welche ganz im Gegensatz zu den oft assoziativ angelegten Arbeiten der aktuellen Video-Szene stehen und ohne Scheu vor dieser klassischen Art der Kontaktaufnahme zum Rezipienten sind. Betrachtet man die gegenwärtige internationale Video-Szene, bspw. Arbeiten von Peter Campus, Tony Oursler oder Bill Viola, so fällt eine ähnliche, kommunikative Tendenz auf.

Während der Vorbereitung der Ausstellung gewann die Idee Form, nicht nur – wie ursprünglich geplant - Arbeiten von Hörner/Antlfinger zu zeigen, sondern die Studenten der Burg Giebichenstein in dieses Projekt einzubinden. Dabei erlaubt der lautmalerische Titel Wisonen sehr verschiedene Interpretationen und der Besucher mag sich fragen, was ihn erwartet. Man sieht „Visionen“, vielleicht fragt man „Wieso denn?“ oder man denkt etwas wissenschaftlicher an „Photonen“. Letztlich bleibt die Bedeutung des Titels offen, reißt Denklinien an. So ist der Betrachter als Konstrukteur ist gefordert, wenn er Kerstin Höhne in eine poppig bunte Real-Time Vrml-Welt folgt oder sich in der digitalen Wunderkammer von Simone Henninger, Anke Roschka und Thomas Purgand wiederfindet. Max Neupert wird die Besucher in neue Wahrnehmungen ihrer Selbst verstricken und Daniela Maria Hirsch und Dorothee Fichtmüller untersuchen die Wahrnehmungen von Menschen in einer sich rasch verändernden Stadt. Holger Neumaier liest ein Sonderkapitel der Kunstgeschichte, die Votivmalerei, neu. Tanja Assmann überrascht Passanten mit Fragen nach Ihrem Tun und Jens Oliver Gasde zeigt wundervolle abstrakte Bilder, die ohne jede gegenständliche oder ideelle Konnotation im Raum schwingen.

Die Ausstellung zeigt die Vielfalt möglicher Ansätze in der Arbeit mit neuen Medien und erlaubt zugleich einen Blick in die kreativen Möglichkeiten aus dem Labor für Kunst und Medien. Ich wünsche der Ausstellung den ihr gebührenden Erfolg und unseren Besuchern Freude bei der Erschließung der hier gezeigten Werke.

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Wisonen

Künstler: Tanja Assman, Hörner / Antlfinger, Holger Neumaier, Max Neupert, team.metabolit , Kerstin Höhne, Daniela Hirsch, Dorothee Fichtmüller, Simone Henniger, Anke Roschka, Thomas Purgand