Ein Beitrag zu den Werkgruppen der „Schauspieler“ von Isa Genzken innerhalb ihrer Ausstellung „New Works“ im MMK, Frankfurt a. M. vom 14. Mar bis 31. May 2015

von Lothar Frangenberg

Schaufensterpuppen wechseln die Orte des Geschehens: von den Showrooms und Einkaufscentern, wo sie uns ohne weitere Beachtung auf Schritt und Tritt als Kleiderständer begegnen, in den musealen Ausstellungsraum. Und prompt schenken wir den etwa 40 Figuren, von der Künstlerin „Schauspieler“ genannt, eine andere und präzisere Art von Aufmerksamkeit. Wir versuchen den Zustand ihres Daseins zu ergründen, die sie umgebende uns vertraute Aura zwischen Attraktion und Unnahbarkeit aufzubrechen.

Bekannt sind die geglätteten, abstrahierenden Oberflächen ihrer Körper, hell oder dunkel, und ebenso das posierende Stehen auf reflektierenden Glasplatten, teils gestützt von chromglänzenden Ständern, die aus Unterschenkeln hervortreten. Aber sofort springen die kleinen und großen Abweichungen bis hin zu schrillen Verfremdungen ins Auge. Es ist offenkundig nicht ihre Aufgabe, uns als Konsumenten Ware schmackhaft zu machen. Diese Puppen sind derart mit unterschiedlichen Textilien und Materialien ausstaffiert, dass eine Zuordnung nach Rollen und Milieus unmöglich erscheint. Sie treten uns verletzlich mit rot eingefärbten Geschlechtszonen, mit Klebebändern gefesselt, mit Folie bedeckt und Farben besprüht, geknebelt, die Augen und Ohren abgedeckt, oder martialisch mit Masken und Schutzkleidung bewehrt entgegen. Neben Nestern, Lampenschirmen und einem Plastikhirn auf Köpfen, entdecken wir Kinderhände, die an Erwachsenenfiguren, und Frauenbeine, die an männliche Puppen montiert wurden.

Diese falsch, teils nur wenig eingekleideten Schaufensterpuppen sind einzeln, in Kleingruppen oder, wie in der neuesten Arbeit, in drei Kreisen wie zum Palaver versammelt, positioniert. Sie wenden sich einander zu oder voneinander ab, oft nur über Blickachsen verbunden. Sie verharren in ihrem eingefrorenen und in der Überhäufung mit Utensilien geradezu wohlstandsverwahrlosten Dasein. Als Besucher suchen wir über unsere Projektionen auf sie nach weiterführenden Zusammenhängen und Andeutungen von Aktionen oder Handlungssträngen. Die Figuren suggerieren, mehr als nur Träger zu sein, die diese Utensilien zusammenhalten. Die Gruppierungen erzeugen einen einbindenden „Raum“. Unsere Fantasie will das nicht Vorhandene ergänzen, hält nach identitätsstiftenden Merkmalen Ausschau, versucht den Schaufensterpuppen eine Art von Lebendigkeit zuzuschreiben, die ihre Wirklichkeit als Objekt und Industrieprodukt auszublenden scheint. Es entsteht eine für uns aufgeladene Atmosphäre, die geradezu nach Akteuren verlangt. Hier bringt sich die Künstlerin als die eigentliche Akteurin der Inszenierung ins Spiel. Innerhalb der Ensembles ist sie abbildhaft permanent gegenwärtig. Sie stülpt diese Anwesenheit als Subjekt den Objekten als Akt der Besetzung und Inanspruchnahme buchstäblich über. Einige Köpfe der Puppen sind beispielsweise mit Papierrollen umwickelt, auf denen Fotografien von Isa Genzken zu sehen sind. Auch tragen viele der entpersonalisierten Figuren Kleidungsstücke aus dem Fundus der Künstlerin, die sie in ihrem Alltag genutzt hat. Die Puppen werden so demonstrativ einer Sphäre tatsächlichen Lebens und subjektiver Erfahrung ausgesetzt.

Wir, beweglich zwischen ihnen, sind auch als Akteure eingespannt. Die Sockel sind verschwunden. Wir werden auf die Bühne des Geschehens geholt und machen unsere eigenen Kamerafahrten zwischen den von der Künstlerin als Regisseurin modellhaft inszenierten „Filmsettings“. Mit diesen Aneignungen durch uns als Betrachter schrumpft die Distanz zum (Kunst)Objekt. Die Art der Beziehung fluktuiert. Besucher und Objekte stehen nicht mehr in einem augenfälligen Gegenüber zueinander. Wir richten unseren Blick nicht aus der Distanz auf autonome, ästhetische Objekte. Es schieben sich eine körperliche und eine emotionale Dimension dazwischen, in der Subjekte und Objekte angenähert werden. Ihnen, den Puppen, werden Qualitäten von Subjekten zugeschrieben. Die eigentlich inaktiven „Schauspieler“ nehmen für uns unklare Rollen und changierende Zustände als gestaltwandelnde Wechselbälger an. Diese nicht perfekten Doppelgänger werden durchlässig für Imaginationen, nicht nur die der Künstlerin, sondern auch unsere, in denen wir die Stelle der „Doubles“ einnehmen können.

Isa Genzken arrangiert vor Ort Sets und Szenarien unter Verwendung industriell produzierter Fertigwaren in Form von Puppen, Kleidung und Accessoires. Die Gegenstände werden nicht durch künstlerische Eingriffe in eine prinzipiell andere Form transformiert. Sie bringen die für ihren vorgesehenen Alltagszweck vorgegebene mit, transportieren vieles an vertrauter Bedeutung. Die Art ihrer Auswahl und Kombination zum Arrangement ist das Entscheidende. Sie werden durch Abweichungen oft nur wenig der Sphäre ihres täglichen Gebrauchs und ihrer eigentlichen Bestimmung entzogen. Das Befremdliche stellt sich anders ein. Die Sphäre des Ästhetischen wird eng mit der von Alltag und Konsum verflochten. Ähnlichkeitsbeziehungen und Zuschreibungen spielen eine besondere Rolle, so als ob die Figuren stellvertretend für uns selber stehen – nicht nur für einzelne, auch für unser gesellschaftliches Dasein. Wir bewegen uns unter Objekten, den Puppen, die Subjekte zu repräsentieren scheinen, die so tun, als ob sie tätig werden und eigenen Maßgaben folgen könnten, die also schauspielern, und dabei doch nur erstarrt, versehrt und verwahrlost sind.

Wenn den Arbeiten dieses Moment innewohnt, dann nicht über das ästhetische, bewusst andersartige Objekt, nicht über das originäre, skulpturale Gebilde. Es erfolgt keine künstlerische Gegenwehr durch die Produktion autonomer Gegenstände, die durch diese Autonomie schon kritische Distanz und das selbstbewusste Subjekt als Gegenüber in Anspruch nehmen. Diese Differenzen schrumpfen hier ein. In den „Schauspielern“ spiegeln wir uns wider, geraten als verfügbare Subjekte zu Bestandteilen von Sets und Zusammenstellungen, die als Konstrukte wieder zusammenfallen und neu arrangiert werden können. Bis in die Gefühlswelten hinein entblößt, maskiert oder entstellt und eingeschränkt, dominiert die Staffage in ihrer permanenten und völligen Austauschbarkeit die Subjekte. Die Freiheit der Auswahl und der überbordenden Möglichkeiten ist zur Wahllosigkeit und Zwanghaftigkeit verkommen. Das einst autonome bürgerliche Subjekt ist „Objekt“ in einem wirtschaftlichen Perpetuum mobile geworden. Mit ihm schwindet auch seine Urteilsfähigkeit. Die Kunst, die für ihr Verständnis gerade dieses Subjekt als Ansprechpartner sucht, verliert den Adressaten. Auch wenn es sich hierbei um Inszenierungen und Simulationen handelt, wird man den Eindruck nicht los, das Isa Genzken in ihrer Art des Sich Einspeisens und Selbstbespiegelns, den Balanceakt sucht, solch kategoriale Unterschiede zu minimieren, die Übergänge von der Simulationen zur Verbindlichkeit fließender zu gestalten.

Dies ist nur ein Deutungsstrang. Die Puppen treten uns nicht als pure Ready Mades, als unveränderte Industrieprodukte entgegen, sondern werden den Verwandlungen und Zugriffen der Künstlerin ausgesetzt. Sie werden mit Erfahrungen und Schichten möglicher Erzählungen bis hin zu den Rollen als soziale Wesen oder Gruppen aufgeladen. Äußerst spannend ist dabei die künstlerische Vorgehensweise von Isa Genzken, diese anthropomorphe, aus dem Konsumalltag entlehnte Figuration mit wenigen Verschiebungen und Transformationen diesem Alltag zu entziehen.

Besucher wechseln die Orte des Geschehens: von den Einkaufszonen in die Museumsräume. Neben den „Schauspielern“ von Isa Genzken stehend schenken wir ihnen eine andere Art von Aufmerksamkeit. Ähnlichkeiten werden deutlich. Das Normale wird fremder, das Schrille abgemildert…