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1971 gründete der Installations- und Performancekünstler Gordon Matta-Clark gemeinsam mit seinen Künstlerkolleginnen Carol Goodden, Tina Girouard, Suzanne Harris und Rachel Lew im damals noch völlig heruntergekommenen Stadtteil Soho in New York das Restaurant „Food“, das von den KünstlerInnen selbst verwaltet und betrieben wurde. Während in der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft Fastfood und industriell gefertigte Nahrungsmittel zunehmend den Markt beherrschten und die Essgewohnheiten prägten, bezog FOOD eine ostentative Gegenposition. Das Restaurant bot internationale und vegetarische Gerichte an und setzte auf die Zusammenarbeit mit lokalen Lebensmittelproduzenten – eine für die damalige Zeit einzigartige Haltung. „Food“ war eine Plattform für den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen bildenden KünstlerInnen, MusikerInnen, TänzerInnen und SchriftstellerInnen. Matta-Clark konzipierte das Restaurant mit offener Küche, wodurch das Kochen zum performativen Akt und das gesamte Projekt zu einem „life piece“ wurde. Das Restaurant etablierte sich bald als lebendiges Zentrum der Kunstszene in Lower Manhattan und wurde als Gesamtkunstwerk wahrgenommen. Nach wenigen Jahren konnten die KünstlerInnen das Restaurant nicht mehr halten und mussten es 1974 schließen.

Essen begleitet alle Lebensphasen des Menschen und wird in verschiedenen Kulturen und Milieus unterschiedlich praktiziert. Nahezu alle Dimensionen menschlicher Existenz sind vom Essen berührt. Es wirkt in körperliche und psychische Zustände hinein und spielt in spiritueller, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht eine Rolle. Ernährungsverhalten ist immer mehrfach konstruiert: kulturell verankert, sozial vermittelt und individuell habitualisiert. Durch und mit Essen werden Gemeinschaft und Zugehörigkeit, aber auch Macht und Ausgrenzung gelebt. Was und wie wir essen ist nicht nur eine persönliche Entscheidung, sondern maßgeblich von makrostrukturellen Bedingungen abhängig. Ernährungssysteme, die die Produktionsweise der Lebensmittel sowie deren Vermarktung und Konsum umfassen, werden durch globale und politische Rahmenbedingungen mitbestimmt. Der gesamte Bereich der Nahrungsmittelproduktion und -konsumption stellt eine Schnittstelle innerhalb einer weltumfassenden Produktionskette dar und ist deswegen eine unmittelbare Manifestation umfassender ökologischer, politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen.

Das Restaurant „Food“ ist eines von zahlreichen Beispielen in der jüngeren Kunstgeschichte, die deutlich machen, dass Essen und der dazugehörige Kontext – etwa die Produktion und Verwertung von Lebensmitteln – zu einem wichtigen Thema in der bildenden Kunst geworden sind. Schon seit der Antike wurden Nahrungsmittel in größeren ikonografischen Zusammenhängen oder zentral als Stillleben abgebildet, und immer ging es dabei um tiefere Bedeutungsschichten als nur um das konkrete Motiv. Insbesondere seit den 1960er Jahren haben KünstlerInnen die mit dem Essen verbundenen Kreisläufe als Ausdruck breiterer kultureller, sozialer und gesellschaftlicher Zusammenhänge verhandelt. So weisen beispielsweise die „Campbell Soup“-Serie von Andy Warhol mit der Reproduktion von industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln oder die Fallenbilder von Daniel Spoerri mit Assemblagen von benutztem Geschirr und Resten einer Mahlzeit auf die gesellschaftlichen und sozialen Aspekte des Essens hin.

Die Ausstellung FOOD, deren Titel sich auf das bis heute relevante Projekt von Gordon Matta-Clark bezieht, nutzt die 13. Triennale Kleinplastik Fellbach 2016 als Forum, um mit Fokus auf das kleine skulpturale Format zu untersuchen, wie die Gegenwartskunst die Themen Essen und Ernährung eigenständig und vieldeutig reflektiert. Einige historische Positionen wie die von Andy Warhol, Gordon Matta-Clark, Daniel Spoerri und Felix Gonzalez-Torres bilden den Bezugsrahmen, innerhalb dessen vielfältige künstlerische Kommentare präsentiert werden. Ausgewählte KünstlerInnen wie etwa Andrea Büttner, Laure Prouvost oder Subodh Gupta sind dabei mit größeren Werkgruppen zu bestimmten Themen vertreten. Mit Büttners ambivalenter Begrifflichkeit der „Little Works“ wird die Beschäftigung mit dem kleinen Format als künstlerisches Programm vorgestellt und der Zusammenhang zwischen ökonomischen Bedingungen und ästhetischen Konsequenzen untersucht. Laure Prouvost thematisiert die psychologische und körperliche Aspekte von Essen als sozial konstruierte Handlung. Subodh Gupta beleuchtet die globale und spirituelle Dimension von Nahrungsmitteln und Essgewohnheiten. Andere Positionen widmen sich den gesellschaftlichen und politischen Implikationen des Essens oder fragen, inwiefern wir uns über das, was wir zu uns nehmen, definieren und sich darin unser Selbstverständnis und Körperbewusstsein spiegelt. Doch die Ausstellung geht über den konkreten Bezug auf Nahrungsmittel hinaus und wirft einen Blick auf breitere ökologische Wechselbeziehungen und Kreisläufe. Die Beiträge von Pierre Huyghe, Abbas Akhavan oder Petrit Halilaj erweitern die Perspektiven und thematisieren wie der Mensch die treibende strukturelle Kraft im neuen Zeitalter des sogenannten „Anthropozän“ wurde und mittels seiner Wirkungsmacht die natürlichen Kreisläufe irreversibel verändert. Das Essen und seine Kontexte werden im Rahmen der Ausstellung FOOD zu einem paradigmatischen, anthropolgisch universellen Beispiel für politische, ökologische und ökonomische Zusammenhänge.

Die Architektur der ehemaligen Fellbacher Kelter, eine Mischung aus industrieller und agrarischer Halle, bietet den perfekten Raum für die Ausstellung und deren Thematik. Die ursprüngliche Funktion der Halle als Markt- und Handelsplatz für Wein soll sich in einer marktähnlichen Struktur in der Ausstellungsarchitektur in abstrahierter Form widerspiegeln.

In der langjährigen Geschichte der Triennale Kleinplastik Fellbach stellt die Ausstellung mit ihrem spezifischen inhaltlichen Schwerpunkt ein Novum dar. Zudem waren die meisten der ausgewählten KünstlerInnen bisher auf keiner Triennale vertreten. Die Internationalität der teilnehmenden KünsterInnen ist ein konstitutives Merkmal gerade dieser Ausstellung, weil auch das Thema zum einen von globaler Relevanz und zum anderen von kulturellen Differenzen bestimmt ist. Zahlreiche Werke werden exklusiv für die 13. Triennale Kleinplastik Fellbach neu entwickelt. Insgesamt werden mehr als 40 KünstlerInnen teilnehmen.

Kuratorin: Susanne Gaensheimer
Co-Kuratorin: Anna Goetz