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Internationale Kurzfilmtage Oberhausen, 5.-10. Mai 2016

Das Themenprogramm 2016: El pueblo – Auf der Suche nach dem neuen Lateinamerika

In den letzten zehn Jahren ist in Lateinamerika eine wachsende Anzahl kreativer und innovativer Künstlerfilme entstanden, von denen die meisten in Europa noch zu entdecken sind. In ihrem diesjährigen Themenprogramm „El pueblo“ (Das Volk), kuratiert von Federico Windhausen, präsentieren die 62. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen diese neue Welle lateinamerikanischer Kurzfilme. Zentraler Begriff dabei ist das vieldeutige Konzept des „el pueblo“. Das Programm umfasst rund 50 Arbeiten aus knapp 15 Ländern, darunter Argentinien, Brasilien, Chile, Ecuador, Mexiko, Paraguay, Peru und Puerto Rico.

In Lateinamerika hat „el pueblo“ viele Bedeutungen: Der Begriff kann sich auf eine Region beziehen, eine Nation, das einfache Volk oder auch ein Dorf. In den 1960er und 70er Jahren nutzte der Neue Lateinamerikanische Film die Idee des „el pueblo“ zur Mobilisierung revolutionärer sozialpolitischer Veränderungen. Heute jedoch hat dieser weit verbreitete ideologische Schlachtruf („Somos el pueblo“ – „Wir sind das Volk“) längst seine Wirkungs- und Verheißungskraft verloren; die Mehrzahl der neueren Filme ersetzen die Behauptung kollektiver Identität durch die Frage: Was ist „el pueblo“? Diese Filme verlagern den Schwerpunkt weg von der großen Erzählung, ob nationalistisch oder pan-lateinamerikanisch, hin zu kleineren kollektiven Formen. Die Arbeiten werfen einen genauen Blick auf Verhalten, materielle Umstände und Umwelt politisch aufgeladener Mikroräume. Sie arbeiten mit Mehrdeutigkeit und elliptischen Strukturen, lassen Schlüsselereignisse oder –faktoren bewusst außerhalb des Bildrahmens und provozieren damit Fragen nach den historischen, politischen und kulturellen Kontexten des Gezeigten. Sie verorten „el pueblo“, das Volk, an einzelnen und genau umrissenen Orten, wo sich kleinere Entwicklungen und „unbedeutende“ Geschichten abspielen. Schauplätze können die breiten Straßen Brasilias sein ebenso wie Orte mitten im Regenwald, Mexikos High Tech-Fabriken, eine Bergbaustadt in den Anden oder die Plantagen im Süden Paraguays.

Migration und Identität, Stadträume, Begegnungen mit indigenen Gemeinschaften, Performance und Ritual, Konflikt und Protest oder Geschlechter- und Machtverhältnisse gehören zu den Themen, mit denen sich das Programm befasst. Gezeigt werden unter anderem Arbeiten von Federico Adorno (Paraguay, Großer Preis der Stadt Oberhausen 2015 für La estancia), Bruce Baillie (USA), Pablo Marín (Argentinien), Guillermo Moncayo (Kolumbien), Nicolás Pereda (Mexiko), Camilo Restrepo (Kolumbien), Beatriz Santiago Muñoz (Puerto Rico) und Gustavo Vinagre (Brasilien).

Der Kurator: 
Federico Windhausen ist ein Filmwissenschaftler und Kurator aus Buenos Aires. Als Kurator stellte er zuletzt die Filme von Marie Louise Alemann beim TIFF Bell Lightbox (Toronto), dem London Film Festival und Cine Tonalá (Mexiko-Stadt) vor. 2014 leitete er das erste Oberhausen Seminar. Seine Texte sind unter anderem in October, Hitchcock Annual, MIRAJ, Millennium Film Journal und Senses of Cinema erschienen. Er arbeitet als Herausgeber an A Companion to Experimental Cinema und schreibt an einem Buch über den argentinischen Experimentalfilm.