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„Man muss sich beeilen, noch etwas zu sehen, alles verschwindet“, riet Paul Cézanne, und diese Angst scheint Generationen von Menschen seitdem nicht verlassen zu haben. Technische Hilfsmittel aller Art dienen dazu, Bilder festzuhalten, zu archivieren, zu bearbeiten. Man vertraut der analogen und digitalen Speicherung, aber nicht derjenigen des menschlichen Gedächtnisses, das ja auch die Fähigkeit hat, optische Eindrücke zumindest jahrzehntelang aufzubewahren.

Zu einer der wichtigsten Bildquellen des menschlichen Gedächtnisses wurde im 20. Jahrhundert der Film, und das Filmbild zu einer der wichtigsten Inspirationsquellen der Kunst. Allein die digital bearbeiteten oder anderweitig manipulierten Bildvorlagen oder Sequenzen aus Filmen machen einen enzyklopädisch kaum noch erfassbaren Teil der so genannten „Medienkunst“ aus.

Die kleinformatigen und intimen farbigen bildmäßigen Kreidezeichnungen, die Achim Hoops seit einigen Jahren regelmäßig anfertigt, scheinen angesichts immer bombastischerer Videoinstallationen dem künstlerischen Trend zum Filmischen geradezu donquichottesk entgegenzustehen. Aber gerade dadurch, dass er die technische Aufrüstung der Medienkunst nicht einmal ansatzweise mitmacht, bringt Hoops die Intensität zum Ausdruck, mit der die „filmische“ Wahrnehmung unser aller visuelles Gedächtnis in den letzten Jahrzehnten in Beschlag genommen hat.

Allen Bildern liegen ganz konkrete Einstellungen aus Filmen zugrunde. Der begeisterte Cineast Hoops liebt Regisseure wie Hitchcock, Michael Mann oder Aki Kaurismäki. Doch auch bei Meisterwerken des Kinos sind es meist nur zwei oder drei Kameraeinstellungen, die ihn zur Umsetzung in ein Bild anregen. So intensiv und verdichtet Hoops bestimmte filmische Atmosphären wiedergibt, ist seine Darstellungsweise denn auch keineswegs illusionistisch. Man würde seine Bilder nie mit den Filmbildern verwechseln. Der zeichnerische Duktus ist immer deutlich erkennbar, und die poröse Materialität des Farbauftrags wird zum Darstellungsmittel der Atmosphäre.

Gerade in dieser Hinsicht unterscheiden sich Hoops’ filmische Imaginationen deutlich von den Gemälden Edward Hoppers, mit denen sie des öfteren verglichen werden. Die verhaltene Melancholie und hermetische Abgeschlossenheit ebenso wie die offensichtlich „filmischen“ Motive legen diesen Vergleich nahe. Doch sind Hoppers Szenarien, die oft wie psychische Spiegel ihrer menschlichen Protagonisten erscheinen auch haptisch weit konkreter als Hoops’ Bildräume mit ihrer fast phantom-, geisterhaften Präsenz.

Der Künstler selbst verweist auf ein kunsthistorisches Vorbild, das ihm in den Darstellungsmitteln weit näher steht: die Zeichnungen von Georges Seurat.

Die auf dem rauen Papier nur teilweise deckende Kreide führt zu einer grobkörnigen Struktur, die den Motiven eine schemenhafte Präsenz verleiht, die im Gegensatz zu den oft harten Konturen in Seurats pointillistischen Gemälden steht.

Neben der intensiven und von der naturalistischen Lichtverteilung oft abweichenden Darstellung künstlicher Beleuchtung ist auch die fast konstruktivistisch anmutende Unterteilung des Bildfeldes durch rechtwinklige oder diagonale Abgrenzungen und Rahmungen ein Stilmittel Hoops’, das eher an Seurat denn an Hopper erinnert. Das stark „konstruktive“ Element der Bilder entspricht auch der Tatsache, dass die Bilder selbst eher eine mentale Konstruktion sind, als dass sie eine äußere Realität wiedergeben.

Liegt darin, in aller Bescheidenheit, nicht auch ein Plädoyer für eine „Wahrheit“ des Bildes, die jenseits des technisch Erfassbaren?

Schon mit der „Konkurrenz“ durch die Fotografie verlagerte sich der klassische Paragonestreit zwischen Malerei und Skulptur auf den Wettstreit zwischen künstlerischer „Wahrheit“ und der „Faktizität“ des technisch erzeugten Bildes.

Klassisches Dokument dieser Auseinandersetzung ist die Verteidigung seiner Skulptur „Johannes der Täufer“, die in den Gesprächen Auguste Rodins mit Paul Gsell zu lesen ist. Die Fotografie könne das Leben nicht wirklich darstellen, weil sie aus seinem organischen Fluss nur einen Moment herausgreife: „Während mein Täufer mit beiden Füßen auf der Erde dargestellt ist, würde eine Momentphotographie nach einem Modell in derselben Stellung den hintenstehenden Fuß schon erhoben und im Begriff vorgezogen zu werden zeigen (...)“ oder „den wunderlichen Anblick eines plötzlich gelähmten und in seiner Stellung wie zu Stein gewordenen Menschen gewähren...“.

Für Rodin stand fest: „Der Künstler ist wahr und die Photographie lügt; denn in Wirklichkeit steht die Zeit nicht still...“. Diese Einstellung hielt ihn allerdings nicht davon ab, sich selbst und seine Skulpturen durch den Fotografen Edward Steichen eindrucksvoll inszenieren zu lassen. Rodins Einwände richten sich denn auch vor allem gegen die Momentfotografie. Er verteidigt er Géricaults Darstellung auf dem Gemälde des „Rennens in Epsom“ (1820), das die Pferde mit Vorder- und Hinterbeinen gleichzeitig in der Luft zeigt. Dass diese Stellung nie vorkommt, ist mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, war aber inzwischen durch Muybridges Momentaufnahmen galoppierender Pferde auch für den Augenschein nachvollziehbar bewiesen worden.

Vielleicht sind die „Filmbilder“ von Achim Hoops in gewisser Hinsicht zeitgenössische Varianten von Gericaults Darstellung des Pferderennens. Was Gèricault malte, war ja das, was er tatsächlich „sah“, beziehungsweise das mentale Bild, das der Anblick der galoppierenden Pferde bei ihm erzeugt hatte.

Aber hinkt dieser Vergleich nicht doch? Liegen nicht Welten zwischen den vorbeirasenden Pferden und den fast immer statischen, ruhigen Motiven auf Hoops Bildern? Ich glaube, insofern nicht, als es in beiden Fällen – und in Rodins Argumentation – um die Dominanz des Erinnerungsbildes geht, das an Stelle des ursprünglichen visuellen Erlebnisses getreten ist. Dies betrifft nicht nur die Trägheit des Auges, das der Geschwindigkeit galoppierender Beine ebenso wenig zu folgen mag wie einem Bild des Filmstreifens. Die andere „Überschreibung“ im Gedächtnis besteht darin, dass aus den bewegten Bildern in der Erinnerung statische werden, die sich wie Standbilder nach dem Kinobesuch im Geiste festsetzen. Und manchmal weiß man später gar nicht mehr, aus welchem Film sie kommen. Das geht Achim Hoops bei manchen seiner Bilder auch so.

Ludwig Seyfarth

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Achim Hoops
Eine Art Schwarz / A kind of black