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Zolotoy kolos – die goldene Ähre als Symbol sowjetischer Vergangenheit in der Architektur, junge Frauen mit roten Halstüchern am Flussufer, Kettentraktor Dt75, der in Wolgograd seit 1937 bis heute in kaum veränderter Form immer wieder hergestellt wird – wie lange ist es eigentlich her mit dem Kommunismus in Russland? Wie und woraus setzt sich eine Kultur zusammen? Die Fotografien von Achim Riechers thematisieren den allgemeinen Kulturbegriff am Beispiel sowjetischer Reststücke und die visuelle Bedeutung ihrer Farbcodes als damaliges Propagandamittel.

Aufgrund der vielen Aufenthalte und Projekte ist dem Kölner Künstler Achim Riechers Russland stellenweise zu einem vertrauten Ort geworden. Dies gründet auch in seiner Art, mit fotografischen Aufnahmen die Umgebung zu beobachten und festzuhalten. Achim Riechers sucht die kulturellen Symbole im zeitgenössischen Russland, die vom Leben nach dem Tod der Sowjetunion zeugen. Dabei wird der Künstler nicht von rein dokumentarischen Absichten geleitet, sondern er hält vor allem Motive fest, die inhaltlich wie formal und farblich aufgeladen sind.

Die kommende Präsentation im Ausstellungsraum des kjubh-Kunstvereins e.V. zeigt drei fotografische Themenkomplexe und ein brutalistisches Modell unter dem gemeinsamen Titel „Zolotoy Kol Kolos“. Abgeleitet durch eine Silbenwiederholung vom russischen Ausdruck zolotoy kolos (dt. goldene Ähre), bringt der Titel eines der wichtigsten sowjetischen Symbole für die Arbeiterschicht, die Arbeit und allgemein das Leben (Weizen = Brot = Leben) zur Sprache. Achim Riechers’ spielerische Verdoppelung von „kol“ ist dabei kein Zufall, man gedenke nur der stammähnlichen Wörter, die in allen ausgestellten Fotografien eine Rolle spielen durch den Bezug einerseits zu kommunistischen Ideologien (Kolchose, Kollektiv) und andererseits zum Thema Farbe (Kolorit, Kolorierung).

Die erste von den drei fotografischen Werkgruppen besteht aus dreißig analog aufgenommenen und einzeln gerahmten Arbeiten, die auf dem Moskauer Ausstellungsgelände VDNKH im Herbst 2010 entstanden sind. Unter dem Titel „Zolotaya osen’“ („Der goldene Herbst“) werden dort alljährlich zwischen Pavillons und Brunnenanlagen der Stalinzeit neue Geräte und Produkte aus der Landwirtschaft präsentiert. Riechers’ Fotografien zeigen einzelne Pavillons und Verkaufsstände, neuentwickelte Modelle landwirtschaftlicher Geräte, Ausstellungsbesucher und -objekte mit besonderem Hang zur Farbenwirkung und kulturellen Schlüsselcodes. Auffallend ist das wiederholte Auftreten von formalen Analogien der Ähre in der Architektur, als Säulenkapitell, Brunnenelement, Laterne, aber auch in der Grundform eines Mützenund Hutständers oder indirekt als gedankliche Verknüpfung in der Werbung für Weizenmehlprodukte wie Brot und Bliny. Im Vordergrund der einzelnen Fotografien stehen intensive Farben: Ein landwirtschaftliches Gerät, eine Mütze oder ein anderes Detail, das durch seine Farbigkeit das ganze Bild und die Beziehung zwischen den einzelnen Fotografien der gesamten Reihe bestimmt. Ähnliche Farbcodes spielen auch in den anderen beiden fotografischen Komplexen eine Rolle. Häufig dienen die farbig herausstechenden Elemente Achim Riechers als das ausschlaggebende Kriterium für die fotografische Aufnahme.

Die zweite thematische Einheit besteht aus drei analogen Farbfotografien, die junge russische Frauen am Flussufer zeigen. Das grelle Rot ihrer Halstücher tritt in Kontrast mit dem weichen Blauton der übrigen Kleidungsstücke und erinnert an dieser Stelle wieder an kommunistische Zeiten, wo rote Halstücher als Bestandteil der Pioneeruniform fungierten. Durch die Kostümierung und eingeübte Gestik der Frauen wirken die Fotografien wie inszeniert. Aber über welchen Symbolgehalt verfügt der inszenierte Farbcode hier wirklich?

Eine dritte fotografische Gruppe besteht aus einundachtzig linear nebeneinander geordneten Ablichtungen des Kettentraktors Dt75 aus den verschiedenen Herstellungsjahren von 1937 bis heute. Während das Format bei allen Fotografien gleich bleibt und auch die Perspektive auf das fotografierte Motiv sich nur geringfügig ändert, entsteht durch die unterschiedliche Farbigkeit der Traktoren eine Neuordnung, die wiederum den Farbcode reflektiert.

Außerdem präsentiert die Ausstellung ein Modell im Stil des von Alexander Ermolajev entwickelten Brutalismus’. Das Objekt aus Holzleisten erinnert in seiner strengen quadratischen Bauweise an ein zweckentfremdetes Regal oder die aneinandergereihten Samen der Ähre, ist aber die abstrahierte Nachbildung des Traktors Dt75. So entsteht aus dem Alten das Neue und aus dem Neuen Unbekanntes: Prozesse, die innerhalb einer Gesellschaft durch Transformierung von Ereignissen und Dingen zur Ausbildung der Kultur führen. Im Kontext der Ausstellung „Zolotoy Kol Kolos“ ist es die Ablösung von Weizenährensymbolik und Farbcodegewohnheiten durch nächste Bildgenerationen. Text: Regina Richter

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