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Eröffnung: 14. September 2007

Themenfreie Gruppenausstellungen, früher auch als Accrochage bezeichnet, sind normalerweise dafür da a) das Sommerloch zu füllen und b) all jene KünstlerInnen zu besänftigen, die sich seit längerem durch ihre Galerie unterrepräsentiert fühlen. Wenn nun verschiedene Dinge, die auf den ersten Blick so wenig zusammenpassen wie die Arbeiten von Juan Pérez Agirregoikoa, Anne Pöhlmann, Monika Stricker und Bernhard Walter nicht nur am Anfang der Saison sondern auch noch als erste Ausstellung einer neu gegründeten Galerie gezeigt werden, geht es offensichtlich um etwas anderes: Die KünstlerInnen geben sozusagen ihre Verlobung bekannt und die Galerie deklariert sich durch die Ausstellung gewissermaßen als ein Ort des Austausches und der Begegnung, an dem alternative Modelle und Entwürfe vorgestellt und zwischen unterschiedlichen Positionen und Subjektivitäten vermittelt wird.

Wie auch die anderen drei Künstler hat sich JUAN PÉREZ AGIRREGOIKOA für eine Schlüsselarbeit entschieden. Charakteristisch für seine farbenfrohen, im Kern jedoch bitterbösen Zeichnungen und Leinwände ist der Verzicht auf interessenlose Subjektivität. Viele seiner Bilder sind wie Erinnerungen und verdichten sich in dem, was der Künstler weglässt. Stets unterfüttert er seine Arbeiten so mit den Traumata des Lebens, dass nicht die Malerei selbst die Provokation ist, sondern ihr Subtext. Auch der minimal linguistische Stil des lustig bunten Kalligraphiepotpourris „Reject Work“ (2007) verbirgt mehr, als er offenbart. Tatsächlich weiß man nicht so genau, ob es sich um den abgrundtief traurigen Seufzer eines erfolglosen Künstlers oder um einen anarchischen Aufruf an alle handelt, Arbeit in jeder Form abzulehnen.

Während Agirregoikoa sein Material in den Massenmedien sammelt, begibt sich ANNE PÖHLMANN auf Streifzüge durch die Stadt. Ihr besonderes Interesse gilt dabei den Architekturen der Nachkriegszeit. Die Analyse der Formen und ihr zugrunde liegender architektonischer Konzepte, die früher ihre vorwiegend fotografischen Arbeiten prägten, ist mittlerweile zu einer strukturellen Recherche über die Visualität sozialer Utopien geworden. Dabei nutzt sie sowohl gefundenes wie auch eigenes Material für ihre oft installativen Präsentationen. „Wohnzeile“ (2007), ein Video aus mehreren hundert Einzelaufnahmen eines gigantischen Plattenbaus mitten in der Altstadt von Dresden, dokumentiert den seriellen Charakter dieses Gebäudes, der sich in den Mustern der Tapeten genauso spiegelt, wie in den uniformen Architekturdetails. Aus sich selbst heraus entwickeln die schier endlosen Abbildungen klaustrophobisch enger Flure und Gänge so ein Moment der Spannung, der dem Filmischen entlehnt scheint. Abwesenheit wird fühlbar und rückt das Fehlende, den Menschen oder vielmehr seine Vorstellungen vom Sein in den Mittelpunkt. Der Plattenbau wird so zum Phänomen, das nicht nur von städtebaulichen Interesse ist, sondern von gesellschaftlichen Utopien handelt, eingelösten und gescheiterten.

Ganz andere Formen der Utopie untersucht MONIKA STRICKER in ihrer Arbeit „The Mummy returns“ (2007). Das Readymade – eine originale Streitaxt aus dem Blockbuster-Sequel zum Remake von Boris Karloff-Klassiker „Die Mumie“ aus dem Jahre 1932 – dient als Vehikel, Phänomene der Kulturgeschichte durch inhaltliche Verschiebungen zur Diskussion zu stellen. So ist natürlich die formale Nähe des Objekts zu afrikanischen Holzobjekten, die von Künstlern der klassischen Moderne (Picasso, Brancusi…) aus ästhetischen Gründen gesammelt und künstlerisch verwertet wurden, offensichtlich. Darüber hinaus verweist seine materielle Beschaffenheit – aus Sicherheitsgründen kann im Film nur weicher Kunststoff verwendet werden – auf die Surrogates und Fakes der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts und sogar auf die Softsculptures eines Claes Oldenburg. Gleichzeitig lässt sich an dem Objekt die in phantastischen Special Effects kulminierende Geschichte des actionreichen Horrorfilms festmachen. Prototypisch entwickelt die Künstlerin so an einem einfachen Objekt Fragen, wie man sich im Verhältnis zur Kulturgeschichte situiert und wie man vor diesem Kontext heute Räume und Dinge denkt und baut.

Fragen nach der Verortung des eigenen Tuns im Referenzsystem des Gewesenen und noch Denkbaren kennzeichnen auch die Arbeit von BERNHARD WALTER. So sind mögliche Blickwinkel und Erklärungsmodelle bei seinen Skulpturen und Installationen für den Betrachter stets so erhellend wie sie verwirrend sind. Verweisen Spuren ihn doch nicht selten auf seine eigene dialektische Wahrnehmung und Vorstellung zurück. Selbst wo sie zunächst helfen zu verstehen, lösen sie sukzessive Nicht- bzw. Nicht-mehr-, oder Wieder–neu- Verstehen aus. Meist untergraben dabei spezifische Konstellationen andauernde Gewissheiten. Was beispielsweise bedeutet der Titel – in unserem Fall „Woodstock“ – im Verhältnis zur Arbeit? Handelt es sich um einen neodadaistischen Kalauer über das verwendete Material? Oder ist Walter nur der Heinz Ehrhardt der deutschen Kunst? Ist die Skulptur – wie der denglische Name nahe legt – tatsächlich ein Baumstumpf, oder nicht vielmehr ein künstliches Kunststoffobjekt, das dem natürlichen nachgebildet wurde? Und in welchem Verhältnis steht es zu dem legendären gleichnamigen Rockfestival? Die Skulptur in ihrer minimalistisch weißen Hermetik gibt keine unmittelbaren Antworten, erst in der Differenz des Denkbaren vollendet sie sich zu einem Werk.

Susanne Prinz

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Juan Perez Agirregoikoa, Anne Pöhlmann, Monika Stricker, Bernhard Walter