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Vom 24. April bis 4. Oktober 2009 zeigt das Kunsthaus Zürich Gemälde des in der Schweiz geborenen Mitbegründers der Münchner Secession Albert von Keller (1844–1920). In der Gründerzeit, unter dem Ein fluss der Musik von Chopin und Wagner, malte er Intérieurs und Gesellschaften, Portraits und Akte im grossen Stil und Format. Von Keller beobachtete spiritistische Sitzungen und war von hypnotischen Zuständen fasziniert. Sein bevorzugtes Motiv war die sich vom Korsett befreiende Damenwelt – Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Medien. Im Ausdruck am ehesten Auguste Rodin vergleichbar, beherrschte er ein breites Repertoire: Neben der impressionistisch inspirierten Malweise wählte er Motive der Symbolisten und gelangte zu einer Farb- und Formensprache, die später durch Munch, Kirchner oder Beckmann als expressionistisch definiert wird.

SITTENGEMÄLDE DER GRÜNDERZEIT UND BELLE EPOQUE Von Kellers Kunst ist ein schillerndes Sittengemälde von Gründerzeit und Belle Epoque. Sein über 1000 Stücke umfassendes Werk vollendet die Bewegungen des Jugendstils. Die Klaviatur seiner Ausdrucksmöglichkeiten war erstaunlich; sie reichte von reizvollem Wohlklang bis hin zu befremdlich dissonanten Tönen. Den zeitgenössischen Kulturkritikern galt er als der herausragende moderne Romantiker. Dabei entsprach sein Lebensstil nicht dem eines armen Poeten. Mit der Tochter des Gründers der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank ver heiratet, hatte er sich in München an bester Adresse niedergelassen und genoss Zugang zu allerhöchsten Kreisen. Gesellschaftlich erfolgreich, mit Preisen und Orden geehrt, sah er «die Frauen neu und wunderbar», wie der Kunstkritiker Fritz von Ostini 1914 in der Zeitschrift «Jugend» schrieb. Von Keller war der Schilderer der eleganten Damenwelt, ihres verführerischen Habitus, ihrer mo dischen Toiletten. Als glänzendes Repräsentationsstück kann sein Bildnis der letzten Zarin gelten, ihr schönstes Bildnis überhaupt – und eines der Haupt werke in der Ausstellung des Kunsthauses. Doch nicht alle Persönlichkeiten kommen so standesgemäss daher.

SPIRITISTISCHE PHÄNOMENE Von Keller beobachtete spiritistische Phänomene in der Praxis des Psychiaters Albert Baron von Schrenck-Notzing. Er dokumentierte die Auswirkungen der Mondsucht auf das menschliche Antlitz und setzte Körper unter Hypnose ins Bild. Um 1900 war das Interesse am Okkulten eine die Gesellschaftsschichten überspannende Erscheinung. Sie zog Wissenschaftler wie Pierre und Marie Curie gleichermassen in den Bann wie später Künstler und Dichter vom Rang eines Thomas Mann oder sensationshungrige Scharlatane aus bildungsfernen Schichten. Das legendäre italienische Medium Eusapia Palladino findet sich in von Kellers Bildwelten ebenso wie die bewunderte französische Traumtänzerin Madeleine Guipet. Als von Keller 1886 der neu gegründeten Münchner Psy chologischen Gesellschaft beitrat, bot sich ihm die Chance, Mimik, Gestik und Regungen diverser Bewusstseinsstufen zu ergründen. Diese als unmalbar gel tenden Gemütszustände machte er in seinen Gemälden öffentlich, aber nicht lächerlich.

INTERIEURS WIE BEI DEN NABIS ODER VALLOTTON Sein prunkvoll ausgestattetes Haus diente für seine üppigen Intérieurs als Motiv. Aufbau und Technik lassen Rückschlüsse auf eine geistige Verwandt schaft mit Félix Vallotton und den Nabis erkennen. Atmosphärisch dichte Landschaften zogen ihn an, in die er dann Personen stellte.

LETZTER KÜNSTLER VOR DER KLASSISCHEN MODERNE Seine ersten Ausstellungen reichen zurück bis 1870. Von Keller reiste viel nach Frankreich und nahm häufig am Salon in Paris teil. 1892 war er Mitbegründer der Münchner Secession. 1908 organisierte der Verein Bildender Künstler Münchens eine Ausstellung mit 145 Werken. Sie wurde ein künstlerisches wie gesellschaftliches Ereignis. Seinerzeit als bedeutender Maler gehandelt, geriet von Keller postum in Vergessenheit. In Zürich findet nach 100 Jahren die erste umfassende monographische Ausstellung musealen Ranges statt. Sie gibt Anlass, das Lebenswerk von Kellers neu zu entdecken. Es ist voll sinnlicher Leidenschaft, asketischen Beschwörungen und mystischen Visionen. Von Kellers Leben und Werk sind eng mit der Schweiz verbunden. Der in Zürich ansässige Chemiker Oskar A. Müller, der zugleich einer der eifrigsten Sammler war, veröffentlichte noch in den 1980er Jahren ansehnliche Bücher zu Albert von Keller. Im Jahr 2006 kam die Sammlung ins Kunsthaus. Galten von Kellers Bilder in ihrer Entstehungszeit als modern und wurden deshalb ausgestellt, zeigt das Kunsthaus sie heute als Hintergrund für das Verstehen der Klassischen Moderne. Denn anders als Albert von Keller, der eher ein Bewahrer als ein Erneuerer war, traten Fauvisten, Kubisten und Dadaisten dem Fin de Siècle entgegen und rebellierten gegen Hedonismus, Melancholie und die Selbstzentriertheit des gehobenen Bürgertums, dem von Keller und seine Kreise angehörten.

ÜBER 100 WERKE ZUR VERMITTLUNG Im Kontext des von Kellerschen Oeuvres, das mit über 100 Werken grosszügig ausgebreitet wird, überrascht das Kunsthaus mit verwandten Objekten weiterer Künstler aus der Sezession, wie Franz von Stuck. Das Konvolut der von Kellerschen Arbeiten wird zudem um Leihgaben aus öffentlichen Institutionen wie der Neuen Pinakothek, München und privaten ergänzt. Ein reich bebilderter Katalog über von Kellers Position in der Malerei des 19. Jahrhunderts und über seine Rezeption seitens der damaligen Kritik erscheint im Hirmer Verlag und wird die Ausstellung begleiten. Gastkurator Gian Casper Bott, verantwortlich für die Ausstellung in den historisch rekonstruierten Moser-Sälen des Kunsthaus Zürich, schreibt darin den wesentlichen Beitrag. Besucherinnen und Besucher, die die persönliche Vermittlung vorziehen und sich über das Werk von Kellers mit anderen austauschen möchten, können dies an öffentlichen Führungen tun, die gratis angeboten werden, oder private Führungen für bis zu 20 Personen buchen. Als Forum der Diskussion um Inhalt und Bedeutung des von Kellerschen Werks bietet sich auch eine Veran staltungsreihe an der Volkshochschule Zürich (www.vhszh.ch) an.

Mit Unterstützung der Vontobel-Stiftung.

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Albert von Keller
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