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Die Galerie Nusser & Baumgart freut sich, in der umfassenden Einzelausstellung parade neue Arbeiten des Bildhauers Albert Weis (geb. 1969 in Passau) zu präsentieren. Der Bogen, so hat es der in Berlin lebende Künstler im Vorfeld dieser Ausstellung selbst formuliert, »spannt sich dabei von Dürer über Giacometti zur Gropiusstadt und zur Philharmonie von Scharoun«. Nach schwerem Gepäck aus 500 Jahren Kunst- und Architekturgeschichte sieht die Ausstellung allerdings dennoch nicht aus. Eher leichtfüßig scheinen die abstrakten Strukturen aus Aluminium und Neon, die gefalteten und mit Rasterfolie beschichteten Papier- und Fotoarbeiten sowie eine Videoinstallation ihre »Parade« absolvieren zu wollen. Gemeinsam ist allen Arbeiten eine eher kühle, unbestimmt moderne Ästhetik, die etwas rätselhaft und mehrdeutig bleibt, offensichtlich aber ähnlichen Prinzipien folgt: Das Motiv von Faltung, von mehrfacher Überlagerung und daraus resultierender Komplexität kehrt immer wieder und lässt ahnen, dass es hier um räumlich-architektonische Bezüge und Strukturen geht. Einen konkreten Hinweis auf die architektonische Thematik liefern dabei neben Fotoarbeiten über Hans Scharouns zwischen 1960 und 1963 erbauter legendärer Berliner Philharmonie das Video parade und die daraus entwickelten gleichnamigen, mit Rasterfolie bearbeiteten Fotoarbeiten, die Aufnahmen aus der Gropiusstadt in Berlin zeigen. Diese in den 1960er und 1970er Jahren als Erweiterung der Hufeisensiedlung von Bruno Taut gebaute Trabantenstadt, die schnell zu einem sozialen Brennpunkt wurde, veranschaulicht exemplarisch das Dilemma der Moderne, deren Ideale immer wieder durch falsche Umsetzung in ihr Gegenteil verkehrt wurden und damit das Projekt der Moderne insgesamt diskreditierten.

Die Beschäftigung mit den Idealen und Utopien der Moderne steht denn auch im Mittelpunkt des Werks von Albert Weis. Dabei geht es ihm aber weder um den melancholischen Blick auf die formvollendete Ästhetik berühmter Bauten der Moderne noch darum, aus der Perspektive des Nachgeborenen das Scheitern dieser Utopien kritisch darstellen zu wollen. Sein Blick richtet sich vielmehr auf Strukturen, die sich als Baukasten, als formales Skelett dieser Moderne auffassen lassen. Ein prominentes Beispiel für ein solches System ist der von Le Corbusier zwischen 1942 und 1955 entwickelte Modulor, ein Proportionssystem, das die menschliche Körpergröße mit den idealen Proportionen des Goldenen Schnitts verknüpft und somit eine Verbindung zwischen dem menschlichen Maß und einer mathematischen Ordnung herstellt. Dieses Proportionssystem des Modulors, das allen Bauten Le Corbusiers zugrunde liegt, ist der Ausgangspunkt für Albert Weis’ abstrakte Aluminiumarbeiten, die flexions – gekantete Aluminiumprofile, die in unterschiedlichen Abständen aufgesägt und zu einer kristallinen Struktur gebogen werden. Die Gesamtlänge sowie die Proportionen der Teilstücke entsprechen dabei den Maßen des Modulors. Indem Weis jedoch die Abfolge der Maße variiert, entstehen immer wieder neue, individuelle Formen, die Le Corbusiers Praxis der strikten Wiederholung des Immergleichen buchstäblich aufbrechen und konterkarieren.

Auch die Installation coupes, in der zwei identische Neonstrukturen diagonal gespiegelt ineinander verschränkt und vor zwei Spiegelwänden präsentiert werden, hat ihre Wurzeln in der Moderne. Sie bezieht sich auf die einzige abstrakte Skulptur Alberto Giacomettis von 1934, Cube, die sich ihrerseits an dem Polyeder in Albrecht Dürers gleichermaßen berühmten wie rätselhaften Kupferstich Melencolia I von 1514 orientiert, in dem die rationale Welt der Wissenschaft mit der imaginativen Sphäre der Kunst verbunden wird. Die geschlossene Körperhaftigkeit der Form bei Dürer und Giacometti wird bei Albert Weis zu einer offenen Struktur, die durch das Licht der Neonröhren gewissermaßen entmaterialisiert und durch die beiden Spiegelwände, in denen sich die Skulptur bis ins Unendliche spiegelt, in einen endlosen Raum versetzt wird. Beides, die strukturelle Offenheit ebenso wie das Motiv der Unendlichkeit und Grenzenlosigkeit, verweist wiederum auf den Ausgangspunkt der Skulptur zurück – die Moderne und ihre Utopien.

Albert Weis entwirft in seinen Arbeiten komplexe, vielschichtige Bezugssysteme, in denen er die Prinzipien der Moderne – wie ideal oder rigide sie im Einzelfall auch sein mögen – untersucht, analysiert und zu neuen Arbeiten umformuliert. Die lassen die utopischen Momente der Zeit, auf die sie sich beziehen, noch spüren. Indem die Werke aber eine klare Funktion verweigern, verwandeln sie die historisch gewordene Utopie in Strukturen, die in ihrer Offenheit das ideelle Moment in abstrakter Form wieder in der Gegenwart verorten. Das Potential der Moderne wird damit für die Gegenwart fruchtbar gemacht, ohne dass deren Ideen naiv und unreflektiert übernommen würden. Ganz im Gegenteil: Weis’ Blick auf die Moderne ist nie einseitig, sodass auch deren Brüche und Unvollkommenheiten anschaulich werden. Die werden in seinen Arbeiten aber nicht als Sündenfall abqualifiziert, sondern eher als Chance begriffen.

Martina Fuchs

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Albert Weis
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