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Zu den bevorzugten Motiven der sog. Schule litauischer Fotografie der 1970er und 1980er Jahre gehören Tiere. Im Gegensatz zu niedlichen, gepflegten und verwöhnten Stadtbegleitern oder exotischen Wildtieren der Westkunst dominieren hier Nutztiere. Vom Lande nicht wegzudenken, waren sie wie dieses selbst weniger das verbindende Glied zum harmonischen erfüllten Dasein des Menschen, sondern unentbehrliche Helfer bei dessen schwerer täglicher Arbeit in der Landwirtschaft - Litauen galt als einer der Haupternährer des Sowjetreiches. So geht es bei fotografierten Tieren dieser Zeit selten um reine Tierdarstellungen: sie sind Attribute der Arbeitswelt, lebende Gerätschaften. Gehalten, gepflegt und gemocht wurden sie nicht wegen ihrer selbst, sondern aus ökonomischen und arbeitstechnischen Gründen.

Am eindringlichsten und ausführlichsten ist dieses soziale Phänomen von Aleksandras Macijauskas (*1938) in der Langzeitstudie „Landmärkte Litauens“ (1968 – 1987) dokumentiert worden (Abb.1). Neben Einrichtungsgegenständen, Geräten, Arbeitsinstrumenten und Lebensmitteln wurden auf den Landmärkten auch Tiere zum Kauf oder Tausch angeboten: sie sind angeleint, in Säcke, Kisten und Taschen gesteckt, in Kofferräume eingesperrt, sie werden auf Laster gezerrt und getreten. So bleibt der Betrachter oft unsicher, ob er noch lebende oder bereits tote Tiere sieht.

In einem weiteren wichtigen Zyklus, „Veterinärkliniken“ (1977 – 1994), widmete sich Macijauskas ausschließlich den Tieren und dem Umgang mit ihnen unter außergewöhnlichen Umständen. Diese Bilder sind expressiver und brutaler als die der „Landmärkte“, geht es in ihnen doch oft ums Überleben. Von einer vorsichtig zärtlichen Annäherung in einem sterilen, modern ausgestatteten Raum der Tierpraxis in den Fotografien eines Stefan Moses ist hier nichts zu spüren. Körperliche Anstrengung, ja Gewalt scheinen in den „Veterinärkliniken“ das Verhalten des Menschen gegenüber dem Tier zu bestimmen, das von Angst, Widerstand und zuletzt von Ohnmacht überwältigt wird.

Die Formensprache der Bilder ist geprägt durch das Weitwinkelobjektiv, durch die Dominanz der Bilddiagonalen und der schwarz - weiß Kontraste. Die Welt des Menschen, seine schmerzerzeugenden Instrumente und Maschinen lassen sich hier durch die Untersicht und Close-Up`s aus der Perspektive eines ahnungslosen, leidenden Tieres nacherleben.

So ist es nicht verwunderlich, daß Fotografien von Macijauskas neben großer Beachtung in Fachkreisen (Publikationen u.a. bei Thames and Hudson, Editions Camera Obscura, Camera International, New York Times, Einzelausstellungen u.a. beim Fotofestival in Arles, in Museum of New Mexico, Museum of Fine Arts Santa Fe, Ankäufe durch Museum of Modern Art, San Francisco, Bibliotheque National und Musee de la Photographie, Paris, Modern Art Museum, Stockholm, International Centre of Photography, New York) immer wieder auch Proteste ausgelöst haben. Laut Tatiana Salzirn wurden „seine Bilder toter Tiere als unzumutbar bezeichnet, das Thema hieß es, sei ohne das notwendige Feingefühl umgesetzt. Vorwürfe wie diese kamen regelmäßig auch aus Kreisen von Umwelt- oder Tierschützern: Wie es scheint, hat Macijauskas einen Nerv getroffen mit seinen Aufnahmen voller Kraft, in einer klaren Sprache bei gelegentlicher Doppeldeutigkeit.“ (Hans-Michael Koetzle, Lexikon der Fotografen).

Die Fotografien des zweiten, ebenfalls den Tieren gewidmeten Teils der Ausstellung sind in ihrer Formensprache und ihren Inhalten bei weitem nicht so radikal wie die von Macijauskas, der von der internationalen Kritik mit Rodtschenko, Eisenstein, Robert Frank, William Klein verglichen wurde. Hier überwiegen lyrische Stimmung und Mitgefühl (Sutkus (Abb. 2), Rakauskas) sowie - bei extremeren Lösungen – verschiedene Grade der Ironie (Kuncius, Drazdauskaite, Pozerskis). Trotzdem ist dabei noch die Härte zu erahnen, die auch das Tier unter Bedingungen wirtschaftlicher Armut trifft. So spielt sich ihr Leben immer noch draußen ab. Wie bei Macijauskas sind es zum größten Teil Nutztiere – Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner. Nicht einmal die bevorzugten Haustiere - Hund und Katze - haben den letzten Schritt zu ihrer Vermenschlichung geschafft und sind in den unmittelbaren Wohnraum des Menschen vorgelassen worden. Innige Zuwendung bei den Tieren suchen auf diesen Bildern sowieso nur die Schwächsten der menschlichen Gesellschaft: Alte, Kranke, Einsame, Arme und Kinder.

Motivisch ragen aus dem Kontext die Aufnahmen von Juozas Kazlauskas (1941 - 2002) hervor. Er ist im hohen Norden der Sowjetunion viel herumgereist und hat dort u.a. wilde und für mitteleuropäische Verhältnisse exotische Tiere fotografiert. Seine Bilder können als reine Tierfotografie bezeichnet werden.

Die meisten der o. g. Fotografen gehören zu den Klassikern der viel beachteten Schule der litauischen Fotografie der Sowjetzeit. Die radikalen politischen und sozialen Umbrüche haben nicht nur Inhalte und Motive, sondern auch den Ansatz in der Fotokunst verändert. Viele Fotografen der älteren Generation fotografieren nicht mehr oder haben sich anderen Themen zugewandt.

Als Beispiel aktueller Positionen in der Fotokunst Litauens können die Inszenierungen von Algis Griskevius (*1954) angeführt werden (Abb.3). Als renommierter Maler, früherer Bühnenbildner und gelegentlicher Bildhauer hat er für sich vor einigen Jahren als Arbeitsmaterial benutzte Fotografie als eine eigenständige künstlerische Ausdrucksform entdeckt. Seine Aufnahmen sind weit entfernt von der sozial engagierten Fine – Print - Fotografie Litauens. Analog aufgenommene Bilder werden digital bearbeitet und im Labor großformatig geprintet. Es sind Fotografien, die meist in der Natur durchgeführte Aktionen und Inszenierungen des Künstlers dokumentieren. Diese bewegen sich zwischen Land- und Body - Art und haben Themen aus christlichem und mythologischem Umkreis zur Grundlage. Mit Hilfe von selbstgebastelten Attributen und Requisiten formt Griskevicius Körper der Menschen und Tiere zu Metaphern und Symbolen, die von eindeutiger Heiterkeit über Ironie bis zu philosophischer Vielschichtigkeit variieren.

Pressetext

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Aleksandras Macijauskas: one-man-show
&
Der Mensch und sein Tier
mit Milda Drazdauskaite, Andrejs Grants, Algis Griskevicius, Juozas Kazlauskas, Algimantas Kuncius, Romualdas Pozerskis, Romualdas Rakauskas, Virgilijus Sonta, Vytautas Stanionis jun., Antanas Sutkus, Julius Vaicekauskas, Audrius Zavadskis

Kuratorin: Margarita Paskeviciute