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Der Ruf nach Arkadien, dem romantischen Zufluchtsort, dem Paradies eines nie enden wollenden Frühlings steht der zerplatzte Traum, das Aufwachen in der Gegenwart im Weg. Wenn es heißt: „Et in Arcadia ego“, so ist hier nicht der romantische Ruf „Auch ich bin in Arkadien geboren!“ gemeint, vielmehr wirft uns der Tod mit „Auch in Arkadien gibt es mich!“ ein Lächeln zu.

Alex Tennigkeit (*1976 i. Heilbronn; lebt i. Berlin) setzt der Idealisierung Arkadiens immer wieder den memento- mori Gedanke entgegen; denn hier spricht der Tod- gegen alle Ewigkeit, gegen die romantische Vorstellung ewig sein zu können, im Hier oder einer glücklicheren Welt. Die rückwärtsgewandte Vision eines unübertrefflichen Glücks, in der Vergangenheit genossen und nun für immer unerreicht, nur in der menschlichen Erinnerung als Vorstellung dauerhaft, ist beendet durch den herannahenden Tod. (siehe E. Panofsky, Et in Arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen; in: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Dumont 2002)

Alex Tennigkeit inszeniert in ihrer dritten Soloshow in der Galerie Jette Rudolph unter dem Titel "FLIPSIDE ARCADIA" die Kehrseite Arkadiens mittels Elementen modellartiger Skulptur, großformatigen Malereien und feinlasurigen Zeichnungen. Ein riesiger kopfüber von der Decke hängender Obelisk führt die Szenerie an: Bote, Sendstrahl, Tor und Weg zwischen Diesseits und Jenseits flankiert von kleinformatigen Zeichnungen, die unter dem Motto „PLUS ULTRA“(= „Darüber hinaus“) das „Immer weiter“ der eingefangenen Leiden der Gemeinschaft Mensch abbilden. Der Obelisk scheint uns die sinnbildhafte Brücke zu der aus dem heutigen Bewusstsein verdrängten Rückseite Arkadiens zu schlagen. Hier finden sich keine spielenden Faune, Musen und Nymphen von einst ein oder deren aktuelle Repräsentanten inform räkelnder Mädchen aus Werbung, TV oder Partyflyern, vielmehr begegnen dem Betrachter Symbolträger des Todes begleitet von medienbekannten Bildern globalpolitischer Phänomene wie Massakern, Krieg und Hinrichtungen.

Tennigkeit will den Rezipienten medial wie psychisch tief in ihre Bildwelten von Leid und Folter hineinziehen. So kreiert sie bühnenartige Räume, um ihre Visionen begehbar zu machen, inszeniert stark fluchtende Diagonalen oder einen optisch irritierenden schachbrettartigen Fußboden, auf dem die Darstellung zweier monumentaler Hände- die eine zur Faust geballt, die andere malträtiert von Nägeln- vom Kämpfen und Dulden berichten. Ein auf einer Wolke gesandter Engel bekrönt den Tod, ein Wagenrad kündet von seinem Dienst als Folterwerkzeug, ein in Flammen stehender Himmel verheißt unserer Zukunft nichts Gutes.

In einer anderen Leinwand kommt das gleiche Fußbodenmuster zum Einsatz, doch versperrt eine Wand den Blick nach Arkadien und verweist stattdessen auf einen Schrein der Eitelkeiten, verziert mit den Andenken der Vergänglichkeit wie glitzernde Kleinode, ein auf allen Vieren katzenhaft schleichender nackter Frauenleib, multiplizierte Frauenbeine contra einer goldenen Kugel gerahmt in ein Ziffernblatt, Efeu berankte Wappen, Grabplatten, ein zerbrochenes Ei. Selbst die kobaltblaue Skulptur einer Popcorntüte als Symbol für Jugend und Konsum beherbergt ein verstecktes Detail der Vergänglichkeit, einen ausgestopften Vogel. Die Körper in ihren Bewegungen sind vollends ihrer Natürlichkeit enthoben, die eigentliche Quelle der Freude, das sorglose Spiel, beschmutzt, das reine Geschenk der Liebe pervertiert zu einem in Gold getränkten glitzernden Sammeln von Kleinoden, von Fetischen.

Der Höhepunkt wird erreicht in einem letzten Bild bevölkert von Sterbenden, Toten, Verwesenden, Körpern und Körperteilen, welches den Ausstellungstitel als Namen trägt. Eine "Dystopie“, ein allegorischer Einwand an das Hier und Jetzt? Es krampft sich etwas in uns zusammen: Ist das die Erinnerung an das Ende? Ist das die Gerichtsbarkeit im Leben? Die Qual, in die wir hineingeboren sind, die vergessen wollend wir uns so viel Mühe geben? Ein kritischer Verweis auf die Massen, die von einer wohlwollenden, das Ego fütternden Hoheit kontrolliert werden, sich selbst dabei zerstörend, die medialen Einimpfungen „Das braucht ihr und Das bekommt ihr!“ bettelnd erflehend, gewalttätig auf der einen und hoffnungslos verdammt auf der anderen Seite? Die Lust an der Aufzählung eingefangener Versprechen wird zu einem Geschwür, das Versprechen einer besseren Welt stirbt dahin. Arkadien ist Tot!

„Der Mensch, von dem man uns spricht und zu dessen Befreiung man einlädt, ist bereits ein Resultat einer Unterwerfung, die viel tiefer ist als er.“ „ (...)- um den Körper, am Körper, im Körper- durch Machtausübung an jenen, die man bestraft, und (...) überwacht, dressiert und korrigiert, die man an einen Produktionsapparat bindet (...) ein Leben lang (zu) kontrollieren.“ (M. Foucault, Überwachen und Strafen; in: die Geburt des Gefängnisses, Suhrkamp 1976)

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The call on Arcadia, on the romantic asylum, on the paradise of a never ending Spring is ended by the rupture of the dream, the awakening to reality. “Et in Arcadia ego”, means rather than the romantic call “I was born in Arcadia!“, but the smiling Death “Me, I’m also in Arcadia!”.

The artist Alex Tennigkeit (*1976 i. Heilbronn; lives and woks in Berlin) juxtaposes to the idealism of the old Arcadia the concept of the memento mori. Here Death speaks against all eternity, against the romantic imagination of being immortal in this or a more golden world. The backward-looking vision of an unsurpassable felicity, relished in the past but never achieved, appearing only in memory, is cut down by the approaching Death. (see E. Panofsky, Et in Arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen; in: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Dumont 2002)

In her third solo exhibition at the Gallery Jette Rudolph, Alex Tennigkeit stages the “Flipside of Arcadia” in using the media of sculpture, large-sized paintings and extremely fine glazed drawings. Led by a huge obelisk, hanging upside down- the herald, the sent beam, the portal and the way between the here and the afterlife, flanked by several small-sized drawings, which are subscribed by “Plus Ultra” equivalent to “further” on the captured passions of confraternity of Men. Above the obelisk as the metaphoric bridge we are located at the flipside of Arcadia, in fact displaced from today’s awareness. No, there are not playing fauns, muses, nymphs of old, also not current manufactures` representatives e.g. lolling girls of advertising, tv or party-flyers rather the symbolism of death, the well known images of global political phenomenon alike massacre, war and executions.

Tennigkeit designed a medial and psychological pull to involve the recipient into bearing and torture. Meanwhile the strong diagonal and parallel axes find their correspondence to the tessellated floors, the images are transformed into a stage set, a walkable vision. By several concurrent plot lines, e. g. two hands, one clenched and one ill-treated by nails- stand for fighting and bearing, an angel sent on a cloud is crowning the Death, the cart wheel as an instrument of torture, the heavens on fire, all of them bode ill for the future.

In another painting a mural obscures the recipient’s view of the vaguely perceptible Arcadia refers to a cabinet of vanity fair, decorated with souvenirs like sparkling treasures, a catlike naked female body, crawling on all fours, multiplied female legs against the golden ball framed by a clock-face, a blazon and a memorial plate with tendrils of ivy and a broken egg. Also the cobalt blue popcorn-bag sculpture as a symbol of youth and its consumption within a prepared bird refers to a hidden detail of the transience.

The Bodies in their gestures and their attitudes are devoid of nativeness; the actual spring of delight, the innocent game, is polluted, the fair gift of love is perverted into the accumulation of gold-soaked, sparkling treasures like fetishism. The culmination of the scenery, past the ruins of columns our view is led to a scene of destruction and decay by all over dying and putrid bodies and limbs. “Dystopia!” the allegorical objection to the here and now. It starts to ache. Is that the remembrance of the end? Is that the agony, into which we are born, which we make every efforts to forget?

The critical reference to the mass controlled by a benevolent, ego attended grandeur, is self-destructed in craving the medial insemination of: „You need it? You can get it!”, on the one side violent on the other condemned to desperation. The desire for collecting of captured promises becomes an ulcer; the promise of a better world is dying. Arcadia is dead!

“This human, from whom we spoke and you was invited to free, is already the consequence of repression, stronger than himself.” “(…) by the exercise of power in order to control the bodies, in and also at the body, at their whole lifetime they are punished, and (…) monitored, trained and corrected, bound on the production apparatus.” (free translation: M. Foucault, Überwachen und Strafen, in: die Geburt des Gefängnisses; Suhrkamp 1976)

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Alex Tennigkeit: FLIPSIDE ARCADIA