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Diese Ausstellung präsentiert Werke von KünstlerInnen, die in einem kulturellen Feld arbeiten, das wohl am treffendsten als „Kultur der Camouflage“ beschrieben werden kann. Wenn man der spanischen Theoretikerin Danne Ojeda folgt, stellt sie ein spezifisches Charakteristikum der lateinamerikanischen Kunst dar. Dieses Konzept kann jedoch auch herangezogen werden, um sich mit Aspekten der gesamten Kultur auseinander zu setzen: „Es ist offensichtlich, dass eine Kultur, die aus dem Widerstand gegen hegemoniale Herrschaft entstand und sich um sie herum entwickelte, unweigerlich zu einer Kultur der Camouflage wird. Indem die Macht den Widerstand unterdrückt, wird dieser nur stärker, da er gezwungen ist, subtilere und raffiniertere Überlebensstrategien zu entwickeln.“¹

Die Ausstellung und die damit verbundenen Aktivitäten, u.a. eine Podiumsdiskussion zwischen den KünstlerInnen, Shaheen Merali und Bettina Steinbrügge, Führungen und eine Publikation, sollen es ermöglichen, Bedingungen von Herrschaft unter dem Gesichtspunkt einer Praxis der Befreiung zu explorieren. Die Arbeiten entstanden oftmals unter Bedingungen, welche die KünstlerInnen als „extrem einschränkend oder gänzlich unmöglich“ beschrieben haben. Befreiung war unter diesen Voraussetzungen weniger der Ausdruck eines Begehrens als vielmehr einer Notwendigkeit. Die Arbeiten verweisen auf experimentelle, befreiende Aktionen, bei denen verschiedene Materialien verwendet wurden. Als Strategien werden sowohl High Art als auch Ortsspezifizität eingesetzt, um Machtstrukturen, Historiographien und Positionen darzustellen und miteinander zu vermischen, wobei wiederum eine Wendung gegen bestimmte Erzählungen erfolgt und sich Widerstand in Arbeiten materialisiert.

Die Artikulationen einiger Arbeiten beziehen sich auf Muster der Camouflage als solche, um das, was die Situation schwierig macht, nochmals zu verdunkeln. Sie bestätigen die vorsichtige, wenn nicht gar verborgene Position, die für die Freiheit der Meinungsäußerung erreicht wurde. Die Arbeit Donald Rodneys aus seiner letzten Einzelausstellung kurz vor seinem vorzeitigen Tod erzeugt für den Kunstraum der Universität Lüneburg eine monumentale Eingangssituation. Sie verdeckt den Eingang zum Teil und verweist auf diese Weise auf die ursprüngliche Funktion. Diese kam dem Gebäude als Ort einer Panzereinheit in einer Kaserne zu, die während der Nazizeit errichtet wurde. Die Installation ermöglicht es dem Betrachter, zwei aufeinander zulaufende aber scheinbar unverbundene Punkte zu erfassen, die es jedoch erlauben, historiographische Debatten aus Perspektiven zu verstehen, die auf ‚Rasse’ und Gedächtnis gründen. Es liegt im Potential von Übersetzungen, dass jeder Akt der Befreiung zu neuen Machtverhältnissen führen kann, was wiederum eine inhärente Gefahr von Herrschaft offen legt. Die gewonnene Freiheit muss stets gesichert werden, d.h. die wieder hergestellte Beweglichkeit von Machtbeziehungen muss durch das, was Foucault die „Praktiken der Freiheit“ nennt, kontrolliert werden.

„Inmitten der Kräfte, die auf uns einwirken, können wir eine transformierende Macht ausüben. Foucault kehrt zur griechisch-römischen Antike zurück, um das Selbst im Sinne eines individuellen Handlungspotentials, das durch Autarkie und Auto-Affektion gekennzeichnet ist, zu entdecken. Die ‚entmächtigenden’ Kräfte, gegen die wir uns wehren, seien sie materieller, historischer, ökonomischer oder sozio-politischer Art, sind gleichzeitig die Kräfte, die unserer Fähigkeit, uns auf andere Weise zu erschaffen, Auftrieb geben. Das meinte Foucault als er uns vorschlug, die Kraft zu schöpfen, unser Leben als Kunstwerk zu erschaffen – ihm eine andere Form zu geben als die, die uns die externen Mächte aufzwingen. Das, was Foucault eine „Ästhetik der Existenz“ nannte, sollte daher als eine Praxis der Freiheit verstanden werden.“²

Die Arbeiten der Künstlerin Sabine Fassl sind Reflexionen über die Undurchschaubarkeit der strategischen Gestaltungskraft der Natur wie sie in der Kultur von Flora und Fauna zum Ausdruck kommt. Shilpa Gupta gibt unmittelbare Einblicke in einen Kampf gegen die Abneigungen des gesunden Menschenverstands und die Zunahme der sich wiederholenden Monstrositäten in der Welt. Die Künstler Hetain Patel und Kwesi Owusu-Ankomah benutzen ihre eigenen Körper, um Bilder herzustellen und Performances aufzuführen, die sich auf eine vielschichtige und kryptische Sprache stützen. Sie greifen Elemente ihrer ethnischen Hintergründe auf, um die irreführende Transparenz des zeitgenössischen multikulturellen Diskurses zu durchkreuzen. Elmgreen und Dragsets Bild eines Jugendlichen in einem tarnfarbenen T-Shirt, mit erigiertem Glied aber fehlendem Kopf auf Grund des gewählten Anschnitts, wirft die Frage nach der Repräsentation des natürlichen Körpers auf. Nomeda und Gediminas Urbonas Performance und ihre Produktion von Tarnkleidung für eine Modenschau in den transnationalen, öffentlichen Räumen des postkommunistischen Litauen befinden sich in der Schwebe zwischen Sozialgeschichte und den Mechanismen der Vokalisierung. Die beiden in China lebenden Künstler Song Dong und Zhang Dali präsentieren interessante Werke, die auf ihrer historischen und politischen Kritik gründen. Seit einigen Jahren schreibt Song Dong ein Tagebuch mit Wasser auf Stein – dieses unsichtbare Buch wird dem Publikum im Ausstellungsraum zur Verfügung gestellt, damit es seine eigenen Gedanken mit Wasser auf einem großen flachen Stein niederschreiben kann – das Geschriebene bleibt für einen kurzen Augenblick sichtbar, bevor es aufgrund der Raumtemperatur verdunstet. Zhang Dali verbrachte die letzten beiden Jahre damit, auf subversive Weise Originalbilder von Mao Zedong mit verfälschten Propagandaarbeiten zu kombinieren, um so eine Auseinandersetzung mit den Mechanismen der modernen chinesischen visuellen Kultur in Gang zu setzen. Yukiko Teradas genähte Arbeiten beziehen sich zum Teil auf ihre Schwester, die 2002 starb. Unter Verwendung des menschlichen Körpers werden Formen der Erinnerung und der räumlichen Abwesenheit konstruiert. Die Bilder von Johannes Wohnseifer und Lisl Ponger liefern ein faszinierendes, sich auf die Kunstgeschichte beziehendes Modell, um die Vergangenheit in der Gegenwart zu fixieren. Diese Fragmente tragen zur Offenlegung einer saturierten Medienwelt bei, die in ihren unflexiblen Schließungen nicht wirklich berichtet. Die Arbeit von Hew Locke wird in einer Vitrine zusammen mit anderen Objekten, die in Westeuropa als „niedrige Kultur“ gelten, gezeigt – Lockes Brosche der schwarzen Königin und seine anderen Multiples einer Einkaufstüte spiegeln eine Multitude wieder. Dieser Overkill bringt das kollektive Einheitsbild einer Straßenkultur als modische Uniform, oder sogar Tarnung als das Monoparadigma eines subkulturellen Chic, an die Oberfläche.

Shaheen Merali

¹Aarnoud Rommens, “C stands for Censorship”, in AS Mediatijdschrift no 176 Winter 2005-06 Peter Bürger, Theory of the Avant-Garde, Theory and History of Literature, Volume 4, Antwerpen: p. 68 ²Benda Hofmeyer, “From Usurpation to Subversion: Foucault meets Cultural Capitalism- About a little place called AVL-ville”, in Peter Bürger, Theory of the Avant-Garde, Theory and History of Literature, Volume 4, Antwerpen: Mediatijdschrift no 176 Winter 2005-06, p. 107

Shaheen Merali ist Leiter der Abteilung Bildende Kunst, Film und Neue Medien am Haus der Kulturen der Welt in Berlin, an dem er seit 2003 arbeitet. Am HKW kuratierte er Traum und Trauma (2005), ein Filmfestival und eine Ausstellung ‚bewegter Bilder’, eine Ausstellung von zwölf Künstlern palästinensischer und israelischer Herkunft, sowie die einflussreiche Ausstellung The Black Atlantic, mit neuen Auftragsarbeiten von Isaac Julien, Keith Piper und Lisl Ponger /Tim Sharp. Er war Ko-Kurator von ‚The First Chapter-Trace Root: Unfolding Asian Stories’ für die 6. Gwangju Biennale, Korea 2006. Als Leiter der Abteilung Bildende Kunst, Film und Neue Medien organisierte er Gruppenausstellungen und Auftragsarbeiten, darunter 2006: Tropicalia, A revolution in Brazilian culture (Kurator Carlos Basualdo); Interventions : Four site specific works from Brazil (Kurator Luiz Camillo Osario) ; Image of the Sound : Football –Thirty Brazilian artists (Kurator Felipe Tarboda); China – Zwischen Vergangenheit und Zukunft (Kuratoren Wu Hung und Christopher Philips) 2005: Räume und Schatten, Zeitgenössische Kunst aus Südostasien (Kuratoren Jeab Gaweewong und Ong Keng Sen) und Über Schönheit (Kurator Wu Hung), sowie 2003/4: Entfernte Nähe, Neue Positionen Iranischer Künstler (Kurator Rose Issa) und body.city, Siting Contemporary Culture in India (Kuratoren Geeta Kapur und Jyotinder Jain). Zu den jüngsten Publikationen, die unter seiner Verantwortung herausgegeben wurden, zählen Räume und Schatten, Zeitgenössische Kunst aus Südostasien und Über Schönheit (ein interdisziplinäres Projekt über zeitgenössische und interkulturelle Vorstellungen von Schönheit), beide 2005. 2004 war er Mitherausgeber von Entfernte Nähe, Neue Positionen Iranischer Künstler.

Dieses Projekt findet im Rahmen des Projekts translate statt. Es wird durch das Kultur 2000 Programm der Europäischen Union unterstützt.

Kunstraum der Universität Lüneburg Künstlerisch-wissenschaftliche Projektleitung: Beatrice von Bismarck, Bettina Steinbrügge, Diethelm Stoller, Ulf Wuggenig

www.translate.eipcp.net

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