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Die Arbeitsidee war, mich, wenn es sein musste, vom Morgengrauen bis drei Uhr nachts mit dem Strom des Protests zu bewegen – und die Flauten, das Warten und das Geschehen am Rand der Ereignisse aufzunehmen. Die Faustregel für diese Form des Anti-Fotojournalismus: kein Blitz, kein Zoomteleobjektiv, keine Gasmaske, kein Autofokus, kein Presseausweis und kein Druck, auf Teufel-komm-raus das eine definitive Bild dramatischer Gewalt einzufangen. Später bei der Arbeit am Leuchtpult und bei der Lektüre der zunehmend stereotypen Beschreibungen des neuen Gesichts des Protests, erkannte ich noch mehr, dass eine einfache deskriptive Physiognomie geboten war. Das Bündnis auf der Straße war sogar noch eigenartiger, vielfältiger und inspirierter, als es die nette Alliteration von »teamsters« und »turtles« (Transportarbeiter und Schildkröten) vermitteln konnte. Beschreibe die Haltung von Menschen, die, manchmal bewusst nackt in der winterlichen Kälte, auf das Gas, die Gummigeschosse und die Schockgranaten warten. Es gab Momente ziviler Feierlichkeit, urbaner Angst und Momente des Karnevals. Wieder bleibt etwas sehr Einfaches unverstanden, wenn dies als eine im Cyberspace gegründete Bewegung beschrieben wird: Der menschliche Körper behauptet sich in den Straßen der Stadt gegen die Abstraktion des globalen Kapitals. Die Kundgebung hatte eine starke feministische Dimension, und sie hatte auch eine Dimension, die in der Erfahrung der Arbeit gründete. Schließlich waren es die in den Docks arbeitenden Männer und Frauen, die den Strom der Container unterbrachen – gestützt auf das individuelle Wissen, dass auf der anderen Seite des Meeres immer ein anderer Körper steht, der dieselbe Arbeit verrichtet, dass der gesamte globale Handel nicht nur die Sache eines Mausklicks ist. Eine flüchtige Halluzination ließ sich nicht fotografieren. Während die Explosionen der Schockgranaten zwischen den Hochhäusern des Stadtzentrums widerhallten, lieferte jemand mit einer Boom-Box umsichtig die musikalische Begleitung dazu: Jimi Hendrix' spöttisch-hysterische Version der amerikanischen Nationalhymne. In diesem Augenblick kehrte Hendrix in die Straßen von Seattle zurück und karikierte schlau die aufgeblasene Souveränität der einzig verbliebenen Supermacht der Welt. Allan Sekula (Übersetzung: Wilfried Prantner)

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Allan Sekula - Auf Tränengas warten
[vom weißen Globus zum schwarzen]