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Altitude, als Begriff aus der Kartographie bekannt, beschreibt die messbare Höhe, aufsteigend oder fallend, je nach Betrachtungsstandort, die senkrechte Stecke oder Distanz zwischen zwei Punkten. Altitude versinnbildlicht ein vertikales Areal, eine Denkfigur für die Künstler. Die fortschreitende Höhe geht über in die Schwerelosigkeit, die nur außerhalb terrestrischer Gravitation anzutreffen ist. Schwerelos verlagern sich Ideen und Projekte in die Höhen des freien Raums, der von den Künstlern als urbaner Raum, als politischer Raum, als physischer Raum oder als metaphysischer Vorstellungsraum definiert wird.

Die sechs Motive aus dem „Bremer Portfolio“ von Horst Müller sind in den Schwebezustand versetzt, frei von rekonstruierbaren Zwängen wie sie Schwerkraft und Statik verkörpern, entsteht ein neues Raumschema in dem die Motive als kontextfreie Gestalten erscheinen. Dieses Denkmodell fordert hypothetisch auf zur „Besiedelung der Lüfte“ (Rem Koolhaas, Delirious New York 1978), ein Zitat, entlehnt aus dem Text von Horst Müller „Ein Bremer Portfolio“, 2008. Das Grenzenlosigkeit implizierende Zitat von Rem Koolhaas wird im Kontext dieser Ausstellung zu einem Fokus in dem verschiedenste Ideen aufeinander treffen.

Midori Hirose hat Urwälder im Harz und im Hassbruch, in der Nähe Bremens, fotografiert. Es sind Orte abseits der Zivilisation. Stets aus gleicher Perspektive fotografiert, werden Unterholz, Büsche, Blaubeerkraut, Heide zu einem undurchdringlichen Dickicht ohne Horizont. Die fotografische Präzision rückt alle Details des Waldes in den Vordergrund, ein All Over, nur von vertikale Baumstämme strukturiert, entsteht. Alle Elemente befinden sich gleichermaßen an der Oberfläche, der perspektivischer Raum verliert an Bedeutung. Zugleich führt die Abstufungen der Grüntöne zu einer farblichen Opulenz, die Tiefe suggeriert.

Claudia Kapp ist in der Ausstellung mit drei Fotografien vertreten, die zwar unterschiedlichen Werkkomplexen zuzuordnen sind, aber alle die gleiche Struktur aufweisen. Die exzentrische Positionierung von Gegenstände oder Personen verweist auf den Kreis als Figur, die Innen und Außen unterscheidet. Das Zentrum bleibt leer und entwickelt als Projektionsfläche eine Dynamik, mal rauschhaft, mal religiös, mal von transzendentaler Überzeugung geprägt. Die schwarzen Degustationsgläser, aus der Untersicht gesehen, erscheinen schwerelos, schwebend in luftigem Raum von flüchtigen Aromen getragen. O.T., 2008 Der leere Tisch im Stuhlkreis wird zur Projektionsfläche meditativer Erwartungen, „Suddenly is sooner than you thought“, 2008 und das religiöses Beieinandersein in „Feeling without Touching“, 2008 entrückt die Nonnen aus dem irdischen Dasein.

Achim Bitter hat eine Wand des Ausstellungsraums in lockerer Folge mit Farb-und Schwarz/Weißkopien bestückt und davor Verpackungskörper aus Karton und Holz platziert, „Tree House“, 2009, sie bilden Volumenkörper, die mit den abgebildeten Hütten und Zeltbauten korrespondieren. Die Bilderwand zeigt einen Rückblick in die jüngere Geschichte der Baumhäuser und Baumbesetzer – angefangen mit Gordon Matter Clark`s „Tree Dance“ von 1971 bis zu der AKW Bewegung Gorlebens, dazwischen befinden sich Anleitungen zum Bau eines Baumhauses. Diese Form der „Besiedelung der Lüfte“ reiht sich ein in die Spielarten temporärer Architektur und ist zugleich Teil einer bewährten politische Aktionsform.

Knut Eckstein entwickelt Tragekonstruktionen für schwebende Skulpturen, die sich wie mit Helium gefüllte Ballons, unter der Decke dümpelnd, scheinbar den Anziehungskräften der Gravitation, entzogen haben. Die Zeichnungen in der Ausstellung relativieren dieses Vorstellungsbild, sie zeigen die Tragekonstruktionen, die dieser Illusion zu Grunde liegen.

Martin Walde ist mit einer sechsteiligen Serie in der Ausstellung vertreten. Halicugenia Products nennt er die Serie, der Titel verweist auf ein kleines Multiple, das Halicugenia, das anlässlich der Documenta X in Kassel zu erwerben war. Weitere Products sind die „Schwärme“, schwarze, elastische Gummiobjekte, die 1997 in der ersten Ausstellung Martin Waldes in der Galerie für Gegenwartskunst in Bremen zu sehen waren. Während einer Performance entstanden die Bilder. Der Künstler beobachtete die unterschiedlichsten Flugbahnen der Halicugenia Products in der Luft. Sie folgen einem unbekannten Bewegungssystem. Als fremdartige Flugobjekte, die sich nicht enträtseln ließen, glichen sie dem Halicugenia einem Urtier aus dem Kambrium, das sich bisher jeder wissenschaftlichen Interpretation entzogen hat.

Astrid Nippoldt’s Diptychon mit dem Titel „Toi Toi Toi“ zeigt eine ungezählte Reihe mobiler Toilettenhäuschen in Rom vor antiker Kulisse, die für ein internationales Sportereignis aufgestellt waren. „Toi Toi Toi“, das Kürzel für „Viel Glück“, unendlich oft auf den Toilettenhäuschen als Signet beschworen, steht unfreiwillig für die Erwartungen, die in sportlichen Massenveranstaltungen projiziert werden: nationaler Siegestaumel oder große Depression, dazwischen passt nichts.

„Aus der Höhe blickt man in die Tiefe, Abgrund und Höhe bedingen einander, bilden ein Paar“, wie Claudia Medeiros Cardoso beschreibt. Den Blick in den Abgrund thematisiert die Künstlerin in den beiden Digitalfotos aus dem verregneten Sao Paulo. Als Metapher ist das Graffiti „Abismo“ (portugisisch: der Abgrund) in diesen Fotografien doppelt codiert: der Blick aus großer Höhe und der soziale Abgrund Sao Paulo`s bilden sich gleichermaßen ab.

Für diese Ausstellung hat Max Frey drei Objektkästen einer 30 teiligen Edition ausgewählt, die aus der Installation „pong ping“, 2007 entstanden sind. Die Installation besteht aus einer schrägen Rampe auf die Tischtennisbälle fallen, die in eine Öffnung rollen um von einem Luftstrom getragen, erneut in die Höhe fliegen um dann wieder hinab zufallen. Ein vorgegebener Fluß von Tischtennisbällen erzeugt bewegte Bilder, die konstant bleiben und sich zugleich stets ändern. Die Tischtennisbälle in den drei „Pong ping Boxen“ entwickeln skulpturale Qualität und bildhafte Assoziationen zugleich. Der Blick in die Kästen assoziiert Film Stills, die den prozesshaften Bewegungsfluß der Installation als Erinnerung bewahren. Der dritte Kasten, der von Bällen ganz ausgefüllt ist, zeigt den Kreislauf unterbrochen, quasi einen Stau.

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Altitude

Künstler: Achim Bitter, Claudia Medeiros Cardoso, Knut Eckstein, Max Frey, Midori Hirose, Claudia Kapp, Horst Müller, Astrid Nippoldt, Martin Walde