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„Am Schlimmsten: nicht im Sommer sterben, wenn alles hell ist und die Erde für Spaten leicht.“ Mit diesem lakonischen Hinweis beendet Gottfried Benns sein Gedicht „Was schlimm ist“ und gibt damit eben jenem schwer greifbaren Gefühl Ausdruck, das sich irgendwo zwischen heiterer Ironie und zynischer Schicksalsergebenheit befindet; dasselbe mulmige Gefühl, das bleibt, wenn man vielleicht im stillsten Moment einer Beerdingung das Lachen über einen plötzlichen Gedanken schuldbewusst erstickt, die seltsame Leere, in der das Erschrecken über die eigene Einstellung angesichts einer grotesken Begebenheit widerhallt.

Genau dieses Gefühl auf dem schmalen Grat zwischen Lachen und Weinen ist es, das die Künstler der Ausstellung auf ganz unterschiedliche Weise fasziniert.

Donna Conlon lies eine Kolonne von Blattschneiderameisen zerschnittene Friedenszeichen und Flaggenfragmente der damals 191 (heute 192) Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen tragen. Ihr Video „Coexistencia“ (2003) zeigt allerdings nicht alle dieser Flaggen: hinter dem angeknabberten Friedenszeichen wird ein Stück kroatischer Flagge getragen, Turkmenistan, Oman, Osttimor – die Zeichen der Länder, deren jüngere Vergangenheit von militärischen Konflikten geprägt sind, werden samt des CND-Symbols in den Ameisenhügel verschleppt.

Insekten sind auch der Grundbestandteil der fragilen Skulpturen von Tessa Farmer, deren winzige „Hell’s Angels“ eine so unmittelbare Nähe des Betrachters fordern, dass die Identifizierung ihrer Bestandteile als organisches Material – Wurzelstücke und Insektenteile – die Entzückung über die minutiöse Ausarbeitung in Schaudern verwandeln.

In nicht weniger winzigem Format arbeitet der koreanische Künstler Ham Jin, dessen Gipsfiguren wie Kobolde aus Kinderträumen über den Boden springen, sich in Nischen verstecken und aus den unmöglichsten Stellen in ihre eigene Welt hervorlugen, die sich schnell zum Alptraum wandelt.

Eine ähnlich kindliche Anmutung zerfällt in der Multimediainstallation „Special Things“ (2006) von Jennifer und Kevin McCoy: sechzehn stereotype Idyllen von springenden Lämmchen und Blumenumrankten Kindern hängen, gefilmt von Sicherheitskameras, von der Decke. Ein Monitor im Hintergrund setzt die in den Bühnenbildern eingelassenen Worte zu Sätzen wie „You Can Smell Flowers“ oder „The Children Feel Special Today“ zusammen, deren fröhlich-unschuldige Botschaft durch die hysterische Bonbonfarbigkeit im Staccato der Präsentation an den Rand einer Bedrohung getrieben wird.

Anne Wilsons Videoinstallation „Errant Behaviors“ (2004) lässt seltsame Gebilde aus Nadeln und Faden entstehen; die Projektion zieht den Betrachter hinein in eine mit verzerrten Klängen und Geräuschen unterlegte Welt, in der sich Strukturen scheinbar willkürlich formen und ein assoziatives Spiel hervorrufen, in dessen Mikrokosmos das Skurrile das Gewohnte ersetzt.

Johanna Karlsson dagegen greift zurück auf den wohl berühmtesten Stich „Les Pendus“ (Die Gehängten) von Jacques Callot, der 1633 in einer 18teiligen Reihe den 30jährigen Krieg zum ersten Mal in der Kunstgeschichte nicht als heroisches Schlachtengemälde glorifiziert, sondern die Gräuel durch die Darstellung der Täter und Opfer enthüllt. Johanna Karlsson allerdings isoliert den Baum, an dem die Gehängten „wie unglückliche Früchte“ baumeln, wie es auf dem Originalblatt heißt, wieder von ihren Tätern und überführt den Inhalt in eine dreidimensionale, greifbare und in ihrer Zeitlosigkeit doch unfassbare Form. Auf einer völlig anderen Grundlage stehen Thom Kublis „Virilio Cubes“ (2003): Der Medientheoretiker Paul Virilio sieht den Menschen als „endogenen Maschinenbetrieb“ in einer Umgebung permanenter Beschleunigung, dessen einziger Ausweg die Rückkehr zur Natur ist. Ausgehend von dieser Theorie tönen aus fünf Lautsprecherspulen, die in Würfel aus von Haut gewonnener Gelatine eingelassen sind, die Geräusche von Skateboards im urbanen Raum. Die fast schon hektische Dynamik der Installation, die durch die Übertragung der Audiosignale auf organisches Material noch verstärkt wird, wirft Fragen nach der Notwenigkeit der von Virilio geforderten Rückkehr zur Langsamkeit auf.

In Tom Molloys Arbeiten schwingt ein ähnlicher Gedanke mit: eine zum Globus zusammengeknüllte Weltkarte („Globe“, 2004) pendelt vor den aus einer Dollarnote ausgeschnittenen Umrissen der fünf Kontinente („Map“, 2007); ein kleiner, spitzfindiger Kommentar zum Pro und Contra einer scheinbar kleiner werdenden Welt, in der Geld nur vielleicht alles möglich macht.

Kathleen Vances Canyon Trunk dagegen scheint aus dieser Welt, ob kleiner oder nicht, einen Ausgang zu versprechen. Nur durch einen Spalt in der alten Reisetruhe kann man einen Blick erhaschen auf das, was das wirkliche Reisen vielleicht greifbare Nähe gebracht hätte: Ein Panorama einer in goldenes Licht getauchten Landschaft voll satt grüner Bäume, durch die sich ein Flussbett schlängelt, das Ideal friedlicher Zurückgezogenheit und ein Sinnbild für die Sehnsucht nach dem Fernen.

Eine pragmatischere Art der Suche nach dem Paradies bietet Ryan Wolfes Sketch of a Field of Grass: Einzelne, von Motoren getriebene Grashalme sind an der Wand angebracht und simulieren den Wind, der durch die Wiese wehen könnte, wäre es eine echte. Die Synthetisierung des selten bewusst wahrgenommenen und trotzdem so vertrauten Naturereignisses ist in seiner Befremdlichkeit von einer ganz eigenen Poesie, die mechanische Bewegung der Grashalme auf der weißen Wand ist irritierend beruhigend – ob in sich selbst oder nur durch die Assoziation mit einer wirklichen Wiese, diese Frage bleibt jedem Betrachter selbst zu entscheiden.

Die Schneekugeln von Paloma Muñoz und Walter Martin hingegen locken mit ihrem positiv-kitschigen Image in ganz andere als die gewohnten Szenen: Seltsam deplatziert wirkt ein einzelner Mann im Anzug, der mit Koffer und Kleidertasche in der Hand über Eisschollen stapft, eine Figur sitzt in einsam in einem Baumhaus zu dem keine Leiter führt, kurz vor dem rettenden Fels treibt herrenloses Boot und eine Figur mit dem Gesicht zum Wasser. Wie ein Archiv reihen sich die insgesamt über 100 „Traveler“ aneinander, in jedem ein Souvenir – eine Erinnerung – an eine andere Nuance menschlicher Angst.

Was Piero Steinle “Paradiesvögel” (2003) nennt und mal durch barock anmutende Früchteberge, mal nur über weißen Hintergrund von Bild zu Bild laufen lässt, ist tatsächlich aus ökonomischen Gründen federlos gezüchtetes Schlachtgeflügel. Während die Nacktheit der Naturzustand des Menschen ist, resultiert sie hier aus hochtechnologisierten Züchtungsverfahren, und während der nackte Mensch aus dem Paradies vertrieben wurde, setzt Piero Steile die ihrer Natürlichkeit beraubten Tiere in eine Umgebung von arrangiertem, künstlichen Garten Eden – und vielleicht ist es hier wirklich am schlimmsten, nicht im Sommer zu sterben…

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Am Schlimmsten / Nicht im Sommer sterben
Kuratoren: Elke Gruhn, Katharina Klara Jung

mit Nils Olav Boe, Donna Conlon, Michael Counts, Tessa Farmer, Ham Jin, Johanna Karlsson, Thom Kubli, Walter Martin & Paloma Munoz, Jennifer & Kevin McCoy, Tom Molloy, Piero Steinle, Richard Stipl, Studer / van den Berg, Yoshihiro Suda, Kathleen Vance, Anne Wilson, Ryan Wolfe