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Die Galerie Thomas Zander zeigt in der aktuellen Ausstellung „Comrades of Time“ (2010/11) eine Installation mit Video- und Fotoarbeiten der Konzeptkünstlerin Andrea Geyer. Erstmalig wurde ein Teil dieser Installation während des Artforum Berlin 2010 präsentiert. Die in New York lebende Künstlerin ist seit 2008 in der Galerie Thomas Zander vertreten und zeigte dort in einer Einzelausstellung bereits ihre international beachtete Serie „Spiral Lands / Chapter 1“.

Der Titel der neuen Arbeit „Comrades of Time“ nimmt Bezug auf einen Text des Kunst- und Medientheoretikers Boris Groys, in dem dieser den Begriff des Zeitgenossen interpretiert als einen Genossen der Zeit, der nicht in, sondern mit der Zeit ist. In Geyers Arbeit formiert sich über sieben Monitore, die als Teil eines leicht verschobenen Raums in der Ausstellung installiert sind, eine Gruppe junger Frauen, die einen Schreibtisch teilen und die im Groysschen Sinne zeitgenössisch oder „Comrades of Time" sind. Der Schreibtisch selbst ist einem Entwurf von Marcel Breuer für das Bauhaus nachempfunden und suggeriert als Verbindungsglied zwischen den jungen Frauen eine Form des kollektiven Arbeitens.

Für „Comrades of Time“ hat die Künstlerin gemeinsam mit sieben New Yorker Frauen die Bedeutung von historischen Textpassagen von KünstlerInnen, ArchitektInnen, SchriftstellerInnen, PhilosophInnen und politischen OrganisatorInnen aus den bewegten Jahren der Weimarer Republik erarbeitet. Reden, Briefe und Essays, datiert zwischen 1916-1941, sind die Grundlage für sieben konzentrierte Monologe, die Geyer zusammengestellt und verfasst hat und die ihre Protagonistinnen in separaten Videos sprechen oder vielmehr verkörpern. Ihre Stimmen oszillieren zwischen Reflexion und Prophezeiung, während sie über die politische Situation sprechen, die sie umgibt. Die Betrachter werden oftmals, wenn auch nicht immer aktiv, angesprochen als KameradIn, FreundIn oder KollegIn. Die Frage nach dem politischen Imaginären ist dabei ein wiederkehrendes Thema. Die emotionale Identifizierung und gleichzeitige Entfremdung zu den Texten von Helene Stöcker, Rosa Luxemburg, Alfred Döblin, Elisabeth Sussmann, Walter Benjamin, Alice Salomon, Sigmund Freud, George Grosz u.a. ist in den Frauen und ihrer performativen Verkörperung von Geschichte deutlich spürbar. Durch diese Brechtsche Brechung gelingt es der Künstlerin, einen Raum der Reflexion zu schaffen, in dem die individuelle Verinnerlichung von historischem und politischem Wissen im Mittelpunkt steht.

Die Weimarer Republik, die durch die Arbeit wie ein Echo hallt, war eine Ära der kollektiv erweckten Vorstellungskraft aller Teile der Gesellschaft. Während extremistische Bewegungen sich zu formieren und aufzubauen drohten, versuchten die neuen Kräfte der jungen Republik, die Menschen zu mobilisieren, indem sie an ihren Verstand und ihre Verantwortung für die Gemeinschaft appellierten. Durch die Verschiebung der vorliegenden Texte in die heutige Zeit wird die lineare Verbindlichkeit von Geschichte aufgebrochen und die Erfahrung von historischer Zeit in die Jetztzeit verlagert. Wie in vorangegangenen Werkserien inszeniert Andrea Geyer mit „Comrades of Time“ eine aktive Form des Erinnerns im Hier und Jetzt, abstrahiert vom jeweiligen historischen Kontext. Eine Geste, die man wörtlich als Vergegenwärtigung verstehen kann, die gleichzeitig Nähe schafft und Distanz bewusst macht.

Andrea Geyer (geb. 1971 in Freiburg) lebt und arbeitet in New York. Nach einem Studium der Fotografie, Film und Design in Bielefeld und Braunschweig nahm die Künstlerin am Whitney Independent Study Program in New York teil. Seit 1994 stellt Geyer in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Europa und den USA aus und erhielt besonders durch ihre Teilnahme an der documenta 12 mit der Serie „Spiral Lands“ große Aufmerksamkeit. Aktuell sind ihre Arbeiten in New York im Rahmen der Biennale Performa11 und in der Gruppenschau „Walking Forward – Running Past“ bei Art in General zu sehen. Im Januar zeigt das Museum of Modern Art die Arbeit „9 Scripts from a Nation at War“ (mit S.Hayes/ K.Sander/D.Thorne/A.Hunt). Am New Yorker MoMA wurde Geyer ebenfalls mit einem Forschungsstipendium für das Jahr 2012 ausgezeichnet. Andrea Geyers Werke sind u.a. in der Sammlung der Princeton University Art Gallery, in der Neuen Galerie der MHK Kassel, der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland und dem Museum of Modern Art, New York vertreten.