press release only in german

Eröffnungsvortrag In ihrer Installation "Undine renoviert!" inszenieren Andrea Hanak und Andreas Stambader in einem innerhalb der Galerie abgetrennten Raum eine private Renovierungssituation, die als Metapher für persönliche Erneuerung, für Umbruch und Veränderung überhaupt zu verstehen sein soll. Maler- und Tapeziermaterialien und -geräte werden von schriftlichen Renovierungsanweisungen kommentiert, die sich auch als Gebote für ein neues Leben lesen lassen. Filzstiftzeichnungen auf Nadeldruckerpapier, private Gegenstände und Mobiliardetails deuten in dem fiktionalen und temporären Raum eine Aura der Realität und des kontinuierlich Gewordenen an und ermuntern den Betrachter zum Assoziieren und zur (Re-)Konstruktion möglicher Geschichten und Hintergründe.

Dabei bleibt das Konzept aber offen und vage genug, um dem Betrachter den größtmöglichen individuellen assoziativen Spielraum zu lassen. Und auch wenn man sich nicht auf die narrative Ebene der Arbeit einlassen möchte, besitzen schon alleine die rein skulpturalen Momente der Arbeit, der überbordende und liebevolle Gestaltungswille, die Absorbtionskraft für alle möglichen Fundstücke, die krude 'estetica povera' der Einbauten, ihr Reagieren auf und ihre Kommunikation mit der heruntergekommenen Umgebung, einen ganz eigenen Reiz.

Die naheliegendste Frage lautet vermutlich jedoch: In wessen Abwesenheit ist der Betrachter in dieses intime Szenario eingedrungen? Welche Geschichte findet hier ihren offensichtlichen Wendepunkt? Wer ist es, der hier renoviert?

Die abwesende Kernfigur, auf die die Arbeit ihrem Titel nach offensichtlich anspielt, ist die aus dem Reich der Wassergeister stammende Protagonistin der Erzählung "Undine geht" (1961) von Ingeborg Bachmann, die sich wiederum auf das populäre romantische Kunstmärchen "Undine" (1811) von Friedrich de la Motte Fouqué bezieht. Undine ist eine Grenzgängerin zwischen der Welt der Mythen und der Natur einerseits und jener der Menschen mit ihren Konventionen und Zwängen andererseits. In ihr manifestiert sich der unauflösbare Widerspruch zwischen Natur und Kultur, Wildheit und Domestizierung, Gefühl und Vernunft, Freiheit und Norm, oder gar (vielleicht) zwischen Weiblichkeit und Patriarchat. Bei Bachmann kulminiert dieser Konflikt in der Abschiedsrede Undines, in der sie enttäuscht Klage führt über die bestehende Gesellschaft und über das Scheitern ihres Versuchs der Versöhnung zwischen den Gegensätzen.

In ihrer intendierten Offenheit und ihrem beinahe romantischen Rückgriff auf das Dämmerlicht von Mythos und Geheimnis steht die Arbeit von Hanak und Stambader für eine aktuell sehr bedeutende künstlerische Position, die die Eigenheit und Notwendigkeit künstlerischer Sprache verteidigt gegenüber den allzu expliziten bis dokumentarischen Versuchen, in der Kunst lediglich die Welt zu verdoppeln.

Hier geht es also im scheinbar Intimen, Persönlichen doch letztlich um Größeres, und die Protagonistin Undine ist irgendwo - wie Bachmann sagte - bei allen subjektiven und biographischen Bezügen doch "keine Frau, auch kein Lebewesen, sondern, um es mit Büchner zu sagen, 'die Kunst, ach die Kunst'. Und der Autor, in dem Fall ich, ist auf der anderen Seite zu suchen (...)."

In diesem Fall aber – um darauf zurückzukommen – genaugenommen auf zwei anderen Seiten. Zum einen auf der des künstlerisch tätigen Subjekts und zum anderen auf der Seite des betrachtenden Subjekts. Der Betrachter wird hier in die Autorrolle mit hineingenommen. Die Versuchsanordnung erinnert ein wenig an das Verfahren, das man in der Psychologie den thematischen Apperzeptionstest nennt: dabei wird den Probanden eine Serie von Bildern vorgelegt, und die Probanden sollen eine Erklärung, eine Geschichte zu diesen Bildern liefern. Die individuelle Erklärung – zwei Personen unterhalten sich über ein ernstes Thema, die zwei essen romantisch zu Abend, der Mann und die Frau streiten sich über was auch immer – liefert dem Psychologen relevante Informationen über die Verfassung, die Erwartungen, die Weltsicht des/der Probanden. Hier freilich gibt es keine übergeordnete Autoritätsperson. Der Erkenntnisgewinn tritt – möglicherweise – beim betrachtenden Subjekt selbst ein. Dieser gewissermaßen konstruktivistische Ansatz, der machtvoll auf die Deutungshoheit des Betrachters beharrt, ist sicher zentrales konstitutives Moment dieser Arbeit. Eine Detail allerdings habe ich bislang bewußt außer Acht gelassen, ein Detail, das die Rezeptionshaltung ja unter Umständen doch in eine bestimmte Richtung zu lenken vermöchte: schließlich firmiert die Arbeit ja nicht, wie schon erwähnt und wie überall zu lesen ist, unter dem schönen, manchmal viel- und manchmal nichts-sagenden Titel "ohne Titel". Der Titel, also wörtlich der "kennzeichnende Name eines Werks", gibt schließlich doch eine gewisse Lesart vor. Renovieren: Erneuern, Instandsetzen, Wiederherstellen. Wieder erneuern, vielleicht. Er/Sie/Es renoviert: dieser Bestandteil des Titels ließe sich lesen als eine fast triviale Bestandsaufnahme der condition humaine in der Spätmoderne. Das Subjekt renoviert beständig und immer aufs neue: sich selbst, seine Biographie, sein Selbst, seine Vergangenheit, seine Zukunft, sein Bild. Wenn die fragmentierte Biographie und das fragmentierte Selbst quasi zum Normalfall geworden sind (wie man uns allenthalben sagt), kommt den Renovierungsvorgängen als den Schnittstellen zwischen den möglicherweise stark heterogenen Fragmenten eine besondere Bedeutung zu. Die Renovierungsprozesse wären dann die sichtbaren Bruchstellen – das Fragment leitet sich ja von frangere=brechen ab. Gleichzeitig stellen sie aber die Momente der Versöhnung zwischen den Unterschieden und Extremen in der Entwicklung dar; jene Momente, die darüber entscheiden, ob das Nicht-Identische, das Vorher und Nachher als Kontinuität und als sinnvolle Einheit erfahren werden kann. Die Renovierung ist somit auch eine Art idealtypischer Rite de Passage, das Gießen eines eminent bedeutsamen Vorgangs in eine kulturell normierte und legitimierte Form. Ein Handhabbarmachen des Unerhörten, eine – mit Freud zu sprechen – Übersetzung des Un-Heimlichen ins Bekannte und Vertraute. Ich nehme an, daß diese Praxis der privaten und öffentlichen Renovierungsrituale jedem bzw. jeder Einzelnen der Anwesenden aus seinem eigenen sogenannten Privatleben vertraut genug ist, als daß ich hier weiter ausführen müßte.

Die Sache mit der Renovierung ist nun das eine, aber warum renoviert ausgerechnet Undine? Wenn es ausschließlich um das Renovieren ginge könnte der Titel auch lauten "Andrea Hanak renoviert" oder "Andreas Stambader renoviert". Aber auch wenn jeder und jede Anwesende hier seinen Namen einsetzen könnte: es ist doch Undine, die als phantomhafte Präsenz in dem wundersamen und bewußt collagenhaften Raum in der Galerie Royal anwesend ist. Und das Phantomhafte, unbestimmte, zwischen den Welten stehende und zwischen den Stühlen sitzende, ist diesem Namen gewissermaßen eingeschrieben. Friedrich de la Motte Fouqué hatte den Namen und das Wesen bei Paracelsus entlehnt, auf den er hinwiederum via Schlegel, Novalis und Jakob Böhme kam. In Paracelsus' Werk mit dem stattlichen Titel Liber de nymphis, sylphis, Pygmaeis et Salamandris et de caeteris spiritibus teilt dieser die Elementargeister ein nach "Wasserleutten", "Bergleutten", "Feuerleutten" und "Windleutten". Und zu den erstgenannten "Wasserleutten" gehören neben den Nymphen eben auch die sog. "Undinen". Erst bei Fouqué wird aus der Gattung das Exemplar, das Individuum, wenn auch noch unbeseelt, weder ganz Natur noch ganz Geist. Wobei die Wassergeister als Einzige der oben genannten wenigstens eine Chance haben, noch nachträglich eine Seele zu erhalten, und zwar dann und nur dann, wenn Sie einen Menschen heiraten. Was ja Undine dann auch tut, wenn es denn auch nicht lange gut geht, sind die Welten aus denen die beiden kommen doch zu verschieden, und die Probleme interkultureller Ehen sind ja mittlerweile gut erforscht. Und als ihr Gemahl sie dann auch noch auf einem Schiffe zu schelten wagt, also gewissermaßen in ihrem eigenen Element: da muß sie zurück ins Wasser und ihre Seele ist sie auch wieder los. Ganz am Ende muß sie sogar noch durch seinen Tod verhindern, daß er treulos eine andere heiratet.

Das grundlegenden Motiv des Scheiterns an der Übersetzungsarbeit zwischen dem Nicht-Identischen, zwischen eigenem und anderem, war also schon bei Fouqué irgendwo vorhanden, wenn auch in einer etwas verquasten, manierierten Form, die auf den ersten Blick wenig mit der Bachmann-Paraphrase gemein hat. Und es ist immer noch da in der künstlerischen Umsetzung und Transformation, die wir heute Abend zu zeigen das ausnehmend große Vergnügen haben. Nun allerdings stirbt und verströmt Undine nicht mehr, Undine geht nicht mehr, sie renoviert. Hoffnungsvoll stimmt diese Entwicklung für Undine in ihrer Eigenschaft als Individuum, hoffnungsvoll, wenn Undine nun doch eben "die Kunst, ach die Kunst" sein sollte. Die Kunst, die man ja auch als einen Versuch des Übersetzens zwischen Nicht-Identischem und letztlich Inkommensurablem betrachten kann, als einen Versuch der Kommunikation bei gleichzeitiger Wahrung der Différance, muß hier nicht enttäuscht über ihre Wirkungslosigkeit und ihr integrales Scheitern fortgehen und Adieu sagen. Sie renoviert, wechselt ihre Sprache ein weiteres Mal, sie erfindet sich neu und versucht es einfach noch mal. Frohen Mutes. Sie verströmt sich nicht im L'art pour l'art und sie läßt sich auch nicht so total auf die Welt der Menschen ein, daß Sie einfach deren Doppelgänger würde. Sie erschafft sich einfach aufs Neue einen autonomen Raum, der ohne Zweifel ganz ihr gehört und der doch bestückt ist mit Materialien aus der Welt des Außerhalb. Einen schönen, einen geradezu entrückend schönen Raum. Und vor allem: einen Raum, der eine Türe hat, die offen ist zur Welt. Und die Welt: das ist nur zunächst die Galerie. Und auch aus der kann man hinaustreten und dann tritt man nach Pasing und dann nach München und dann nach Bayern etc., ad infinitum. Das sind dann nur noch fließende Übergänge. Und genauso fließend könnte man jetzt munter weitersprudeln mit möglichen Lesarten und Allegorien: das offene Kunstwerk läßt diesbezüglich ja alle Freiheiten. Text: Peter T. Lenhart 2002

only in german

Andrea Hanak & Andreas Stambader - Undine renoviert!