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Andrew Frost (*1968) absolvierte von 1986–1989 das Queensland College of Art in Brisbane, Australien, welches er mit dem Bachelor of Fine Arts abschloss. Anschließend erwarb er 1999 ein Graduiertendiplom in Bildender Kunst am Victorian College of Art. Der Künstler ist gebürtiger Australier und lebt und arbeitet seit 2008 in Berlin.

Vom 07. März bis zum 11. April 2009 zeigt Sebastian Brandl drei groß- und vier mittelformatige Arbeiten in der Technik mixed media auf Papier, montiert auf MDF-Platten sowie eine Auswahl von Zeichnungen aus den Jahren 2003-2006.

Als grundsätzliche Maxime für Andrew Frosts gegenwärtiges Schaffen lässt sich das folgende Statement zitieren: “With works from 2000–2007 I have removed the notion of a 'finished' work from my art practice.“ Der Künstler arbeitet meist parallel an mehreren Werken, die er über einen Zeitraum von einigen Jahren wiederholt bearbeitet. Einzelne Motive und Strukturen tauchen identisch oder in variierter Form wieder auf und verzahnen so die Arbeiten zu einer Art Gesamtgewebe untereinander. Ein weiteres Merkmal ist das Arbeiten in Schichten, die als solche auch sichtbar bleiben – eine Technik, die zum einen konkret mit dem wiederholten Bearbeiten des Bildgrundes zusammenhängt, zum anderen eine abstrakte Bedeutung trägt, als sie auf eine Tiefendimension sowohl in zeitlicher als auch inhaltlicher Hinsicht verweist und nicht zuletzt mit den verborgenen Prozessen von Gehirn, Gedächtnis und Unbewusstem korrespondiert. Frost entwickelt seine Kompositionen zunächst auf großen Papierbögen, zerschneidet diese zu A-4-formatigen Blättern und klebt sie in neuer oder alter Reihenfolge auf einem Untergrund aus Papier auf. Nicht nur dadurch, dass er keine auf Keilrahmen aufgespannten Leinwände benutzt, nimmt man sein Œuvre weniger als Malerei im klassischen Sinne wahr, sondern eher als Makrozeichnungen – es sind auch der skizzenhafte, vorläufige Charakter, die konturenbetonte Anlage der Figuren, das häufige Einfügen von handschriftlichen Texten. Immer wieder hat man den Eindruck eines Schriftsteller-Zeichners, der die heterogenen Elemente seiner visuellen und politischen Umwelt zu kühlen und wuchernden, von anthrazitfarbener Tonalität dominierten Collagen zusammenfügt, wie etwa in 'Sex, Violence and This Ragged Remnant of Empire', 2008, 150 x 185 cm.

Mit den aktuellen Werken markiert der Künstler einen neuen Abschnitt innerhalb seines Gesamtwerks: Im Herbst 2008 verlässt er seinen Heimatkontinent, der ihm nicht mehr die nötige Freiheit und Atmosphäre zum Arbeiten bietet und geht nach Berlin: “Living in Berlin enables me to have a voice that was taken from me in Australia.“ Verkörperung für den Übergang vom einen Zustand in den anderen ist 'The Rapture Process (Recoup)', 2008/09, 150 x 200 cm. Der Begriff 'Recoup', der auch die gesamte Ausstellung betitelt, liefert einen wichtigen Schlüssel für die Bedeutung des Bildes als auch des Ortswechsels für den Künstler und bedeutet soviel wie einen Verlust wiedereinzubringen, für etwas entschädigt zu werden. Zwei Holzböcke befinden sich im Zentrum, der eine wie in einer Paarung in den anderen verkeilt, einem dreidimensionalen 'Papierfell' und einem Totenkopf als Haupt versehen. Als einziger Farbakzent läuft eine Art Energielinie in Orange von einer Bildecke zur anderen. Das Motiv des Totenschädels taucht in dieser Werkreihe aus bisher vier Arbeiten wiederholt auf, ebenso ist es im Titel 'The Natural World (Ossuary)' enthalten (ossuary = Beinhaus). Auch der Holzbock zieht sich wie ein Schlüsselsymbol durch die Werke und wirkt als Variable für eine Kreuzung aus Mensch, Tier und dinglicher Realität, als Signet statisch gewordener Bewegung. Aus der Reihe tritt prägnant 'The Subjugation Waltz (Sometimes I Like the Working Classes)', 2008/09, 150 x 230 cm, hervor, mit seinem starken Kontrast zwischen Mintgrün und Pink und den an den Bildkanten angebrachten weißen Federboas. Trotz der ironischen Impulse und der Verwendung von banalen Texten wie auf dem Bild mit dem Bambimotiv spürt man vor allem in der Titelgebung, dass es um grundsätzliche Aspekte der menschlichen Existenz von teilweise fast biblischer Schwere geht. Den Spiegel der gesellschaftlichen Kritik kann man ebenso nach innen drehen – durch seinen Schaffensprozess verleiht der Künstler den inneren Dämonen Gestalt und löst sich damit von ihnen ab.

Für seine Zeichnungen verwendet Andrew Frost gebrauchte DIN-A-4-Blätter, die neben den typischen Alterungsspuren (Vergilbung, Einrisse) teilweise auch Notizen der früheren Besitzer enthalten. Hand- und maschinenschriftliches wird mit Skizzen in Bleistift, Kugelschreiber, Filzstift, Tinte etc., Photographien und kleinen gemalten bzw. aufgeklebten Segmenten kombiniert. Von zurückhaltender Farbigkeit, tastend, fragil und zart, wirken diese Arbeiten aus den Jahren 2003–2006 fast wie intime Tagebuchaufzeichnungen.

Nicht zuletzt zeigt sich hier exemplarisch im Detail, was auch für die komplexen Formate gilt: das Entwickeln der Themen und Kompositionen in einem work in progress, der wie ein tektonisches Geschiebe zwischen sozio-politischer und individueller Fragestellung hin- und heroszilliert.

Gabriele Wurzel