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Bei ihrer aktuellen Serie von Papierarbeiten beschäftigt sich Angela Dwyer erstmals wieder mit der Gegenständlichkeit, nachdem sie die letzten 20 Jahre praktisch ausschließlich abstrakt gearbeitet hat. Geradezu obsessiv widmete sich die Künstlerin in dieser Zeit Quadraten oder Rastern, deren geometrische Präzision von einer pastos gespachtelten Malerei in raue, plastische Gebilde transformiert wurde. Parallel dazu entstanden immer wieder Schriftbilder auf Papier, deren Verfahren eng mit dem Begriff des Samplings verbunden ist, wie er aus der Musik bekannt ist. Textfragmente aus Gedichten, Romanen, Essays, Bibelstellen, Zeitungsartikeln, oder persönliche Notizen werden dabei aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst und als handgeschriebene Elemente in das Material der Bilder eingebettet.

Als Weiterentwicklung dieses Prinzips tauchen in der neuen Serie nun auch Bild-Zitate aus der Kunstgeschichte auf, etwa Brueghels Turm zu Babel oder Tizians Diana. Ebenso fließen aber auch Zeichnungen von lebenden Modellen oder Skizzen als Bildmaterial ein. Diese unterschiedlichen Bausteine verbinden sich bei Angela Dwyer zu einer dicht gewobenen Bild-Text-Synthese, die Assoziationen an archaische, alchemistische Prozesse weckt. Die einzelnen Elemente bleiben letztlich noch erkennbar, doch scheinen sie unter dem Einfluss von Hitze oder großen Druck zu einem schlackehaltigen, teilweise brüchigen Amalgam verschmolzen zu sein: Mehrere Papierschichten überlagern sich oder sind aufeinander geklebt, die Ränder sind ausgefranst und eingerissen, das Werk ist in einem fragilen, verletzlichen Zustand belassen.

Die Magie von Angela Dwyers Bildern fußt auf der ungemein sinnlichen Behandlung des Materials, der intensiven Leuchtkraft und feinen Nuancierung der Farben sowie der grundsätzlichen Haltung gegenüber dem Bild als Objekt. Ihre Werke sind der Sphäre des Ateliers noch stets sehr nahe, als ob die Transformation der Materie in einer Art Zwischenstadium, einem Limbo am Rande der Hölle, belassen wurde. Angela Dwyer entführt die Betrachter damit in eine Welt, in der der künstlerische Akt eine Präsenz hat, wie sie vielleicht zuletzt im Kino, in Jacques Rivettes Meisterwerk La belle noiseuse von 1991, zu sehen war. Vor ihren Bildern meint man das Kratzen des Kohlestiftes, das Knacken von Pigmentpartikeln, das Wischen der Hand auf dem Papier zu hören. Es sind existentielle Zeugnisse eines Dialogs, in dem die Künstlerin auf zweifache Weise gegenwärtig bleibt. Zum einen in Gestalt des handwerklichen Prozesses und zum anderen in Form einer Geistigkeit, die sich in der Auswahl und Verwendung der Texte manifestiert und deren reichhaltige Referenzen von jedem Betrachter unterschiedlich erschlossen werden können.

Text von Marc Wellmann

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Angela Dwyer
girls, dogs, falling cities.