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12.11.2021 - 28.01.2022

ANNA EHRENSTEIN feat. DNA, FADESCHA, REBECCA-POKUA KORANG
THE ALBANIAN CONFERENCE: HOME IS WHERE THE HATRED IS

Manchmal zeigt die Kunst, wie Fortschritt gehen könnte, weil sie – ausprobierend – etwas tut, was in großen gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Skalen nicht so einfach ist, auch wenn es dringend angeraten scheint oder zumindest von progressiven Stimmen längst gefordert wird. Zum Beispiel? Faire globale Kollaboration, entkolonialisierte Verhältnisse, Solidarität über angestammte Wir-Bezüge hinaus, ein Kümmern um Belange, die nicht unbedingt die eigenen sind, aber wichtig für Einzelne wie auch fürs Ganze. Hat da jemand Commons-Diskurs gesagt? Ja, auch das. Und wer das Wort noch nicht kennt, möge sich bitte daran gewöhnen: Commoning (als gelebte Praxis der Gemeinwohlorientierung und -ökonomie, auch in der Kunst) wird uns in den kommenden Jahren noch reichlich beschäftigen.

Klingt kompliziert? Nur ein bisschen. Anna Ehrensteins Ausstellung probiert aus – tut und macht–, was dringend angeraten scheint. Sie schafft Anlass, Bühne und Ökonomie für ein kulturelles Kollaborationsmodell der Gemeinstimmigkeit und Koproduktion, das politische Forderungen von verschiedenen Flecken der Erde miteinander verbindet. Sie tat sich zusammen mit Fadescha, einer einflussreichen Kunst- und Kulturaktivistin aus Delhi, DNA, einem Musiker-Duo aus Lagos alias Blair Opara und Clint Opara, und Beccy-Pokua Korang, einer afro-deutschen Performerin. Gemeinsam arbeiteten die fünf in Ehrensteins Heimat Albanien an der Produktion von vier Videos, die den Kern der Ausstellung bilden.

Ausgangspunkt der Zusammenarbeit: Die Erfahrungen, die alle Beteiligten während öffentlicher Proteste machten, die sie jeweils aktiv unterstützen. Proteste gegen die Polizei- und Behördenwillkür und Korruption in Nigeria, Proteste gegen die Kastenhierarchie, die heteropatriarchale Gewalt und die reaktionäre Regierung in Indien, Proteste gegen genderdiskriminierende Gesetze in Ghana, antirassistische Proteste in Deutschland. Ausgangspunkt auch: Gemeinsame Forderungen nach LGBTQ-Akzeptanz, besserer Grundversorgung der Bevölkerung, Entkolonialisierung. Forderungen, die lange schon erhoben werden.

Und so waren ein weiter, historischer Ausgangspunkt des Projektes die afro-asiatischen Schriftstellerkonferenzen, die zuerst 1958 in Tashkent abgehalten wurden und als Forum für ebensolche Forderungen Geschichte schrieben, ohne viel zu erreichen, wie es so oft der Fall ist. In antiker Kulisse findet das Kollektiv um Anna Ehrenstein in Albanien vor der Kamera zusammen, um ihrerseits eine an Occupy-Methoden geschulte Konferenz in den Raum zu stellen und Forderungen zu erheben, die teils utopisch sind, teils schon Erreichtes und Erkämpftes reklamieren. Zwei Musikvideos von DNA aus Lagos rücken Staatskorruption und digitale Formen der Nachbarschaftsdenunziation („Community Policing“) ins Rampenlicht. Ein vierter Film führt Zitate vor, die wir lesen sollten, um voranzukommen.

Dass die vier Videoproduktionen der Arbeitsgemeinschaft im Galerieraum auf Fitnessgeräten zu sehen sind, geht zurück auf Fadeschas Überzeugung, dass Protest nicht nur inhaltlich, sondern auch als ein Trainingsprogramm für den Körper zu begreifen sind, der sich im öffentlichen Raum stark zu machen hat. Dass weitere Bilder und Skulpturen in hybrid knirschender Ästhetik den Diskurs des Projektes in Form bringen, ist Teil der Ambition, kollektive populäre Bildsprachen zu nutzen (und zu überprüfen), um progressive Inhalte vermittelbar, ja künstlerisch attraktiv und gestaltbar zu machen. Da mag auch ein Sandsack aus der Boxwelt eine plausible Metapher sein, denn das Ganze könnte auch damit zu tun haben: Mit der Wut, mit der Lust und der Not, zuzuschlagen.

Denn wie sollte man nicht wütend sein, oder? Wie sollte, alles oben Gesagte reflektiert, nicht Wut das Ergebnis sein? Das in der Ausstellung Gezeigte kennt und integriert diese Wut, bricht sie aber um in eine positive Sprache der Aktivität, der Kollaboration, des Gemeinsinns, auch der Musik und der körperlichen Äußerung von Emotion, ja, auch der körperlichen Äußerung von politischer Haltung und von gelebter, lebender Veränderung des Bekannten (das auch Produkt kolonialer, rassistischer und sexueller Gewalt ist, damals wie heute). Und so ist diese Ausstellung nicht trotz, sondern gerade angesichts ihrer Themen, im Grunde heiter.

Sie spricht vom Leiden, ohne die Sprachen einer Kunst zu sprechen, die gerne Profit aus diesem Leiden schlägt, wenn sie Opfer in ihren Darstellungsformen ein zweites Mal zu Opfern macht, anstatt zu Handelnden (hat jemand Dokumentarismus gesagt?). Sie spricht von dem, was wehtut, ohne selber wehzutun, und inspiriert dazu – und sei es nur versuchshalber – das Gemeinsame zu ermächtigen.